Markus Söder hat einen Geheimplan. Der bayerische Ministerpräsident rechnet nicht mehr damit, die absolute Mehrheit noch retten zu können. "Wir werden in eine Koalition gezwungen", heißt es in der CSU-Zentrale mit Blick auf die schlechten Umfragewerte.
Doch während in München über die Optionen mit SPD (denen an der Wahlurne fast die Zerschlagung droht), FDP (die mit der Fünf-Prozent-Hürde kämpft) und Grünen (die zweitstärkste Partei werden könnten) geraunt wird, hat Söder ein ganz anderes Ziel: Er bereitet ein Regierungsbündnis mit den Freien Wählern vor.
Die Freien Wähler sind in Bayern traditionell ungewöhnlich stark. Bei der Landtagswahl 2013 erreichten sie mit 9,0 Prozent der Wählerstimmen und 19 Mandaten den dritten Platz noch vor den Grünen. Die Umfragen sagen ihnen auch diesmal ein ähnliches Ergebnis voraus. Mit der CSU - auch mit einer stark geschwächten - scheint eine regierungsbildende Mehrheit erreichbar, vor allem dann, wenn die FDP den Sprung ins Maximilianeum nicht schafft. Die Kunst im Wahlkampf der CSU wird nun darin bestehen, dies den Wählern zu vermitteln, ohne selbst Stimmen zu verlieren.
Weltanschaulich sind die Freien Wähler der CSU ziemlich nahe, weswegen sie zuweilen als "CSU light", "Christsoziale Freibier-Partei", "Lokalpatriotische Vereinigung der CSU" oder als "Bauernverband der CSU" verspottet werden. Dennoch sind sie lokalpolitisch tief verwurzelt in Bayern und wirken vielerorts als die wertkonservativen Bodenstandsbayern. Sie verfolgen eine konsequente Bürgernähe und bringen es immerhin auf rund 600 Bürgermeister und 14 Landräte.
Ein Bilderbuchprovinzler
Das Verhältnis von Freien Wählern und CSU ist wie das von pubertierenden Söhnen selbstgefälliger Väter. Ihr Landesvorsitzender Hubert Aiwanger beschimpft Söder schon mal als "größenwahnsinnig", macht aber im Landtagswahlkampf keinen Hehl daraus, dass er gerne mit der CSU koalieren würde. Er ruft den Wählern mit jesuitischer Schläue zu: "Ich möchte nicht, dass die AfD so stark wird, dass Bayern schwarz-grün regiert wird." Aiwanger ist "der bayerischste Bayer" (FAZ), ein "basisdemokratischer Bauer" ("Süddeutsche Zeitung") und damit eigentlich Fleisch vom Fleische der CSU.
Aiwanger ist Bilderbuchprovinzler, er wohnt im 70-Seelen-Dorf Rahstorf (Ortsteil Inkofen der Stadt Rottenburg an der Laaber) und bewirtschaftet dort den elterlichen Bauernhof. Er ist Vorsitzender im örtlichen Jagdschutz-Verband und engagiert bei der Feuerwehr. Der gelernte Landwirt studierte an der Fachhochschule Weihenstephan (Diplomingenieur der Landwirtschaft) ausgerechnet mit Hilfe eines Stipendiums der CSU-nahen Hanns-Seidel-Stiftung. Er wirkt in seinem Trachtenjanker exakt so, wie man sich in Hamburg oder Düsseldorf den typischen CSU-Kommunalpolitiker vorstellt - Familienvater natürlich, in seiner Jugend Lektor und Vorsitzender in der Katholischen Landjugendbewegung. Wertkonservativ durch und durch. Wo die CSU den Heimatbegriff erst neu entdeckt, verkörpert Aiwanger ihn - genau so wie die Vernachlässigung des ländlichen Raums. Aiwangers Partei wildert mitten in der Kernwählerschaft der CSU, weil sie aus ihr hervorgegangen ist.
Und so kritisiert Aiwanger die CSU im Ton eines besser wissenden Verwandten. Die CSU, so Aiwanger weiter, habe durchaus einiges richtig gemacht. Aber da sie durch die absolute Mehrheit auf niemand anderen hören müsse, laufe eben auch einiges falsch. Das führe dann dazu, dass "der Ministerpräsident ein millionenschweres Weltraumprogramm auflegt, aber nicht in der Lage ist, die Hebammen ordentlich zu bezahlen".
Der Landes- und Bundesvorsitzende der Freien Wähler sowie deren Fraktionsvorsitzender im Landtag zählt gern die Erfolge seiner Landtagsfraktion auf: die Abschaffung der Studiengebühren, die Wiedereinführung des neunjährigen Gymnasiums und die Abschaffung der Straßenausbaubeiträge. Tatsächlich ist Aiwanger in der Verfolgung seiner Ziele ungewöhnlich fleißig und hartnäckig. Beim Thema Straßenausbau hat er gebetsmühlenartig monatelang für sein Anliegen geworben und Unterschriften gesammelt. Solange, bis es der CSU zu heikel wurde und Fraktionschef Thomas Kreuzer verkünden musste: "Wir werden rückwirkend zum 1. Januar 2018 die Straßenausbaubeiträge abschaffen."
Die nächste Unterschriftenkampagne läuft schon
In der Flüchtlingspolitik ist Aiwanger ganz auf Söders Linie von Kontrolle und Grenzsetzungen. Merkels Politik sei "politisches Versagen", es sei "Gefahr im Verzug", Asylbewerber seien "nur Gäste auf Zeit" und es brauche eine striktere Anwendung des Rechts. Österreich betreibe die richtige Politik, vor einem "Familiennachzug in großen Stil" warnt er: "Wir können ja nicht ganz Syrien ins Land holen". Auch den derzeit diskutierten "Spurwechsel" von abgelehnten Asylbewerbern in den Arbeitsmarkt lehnt er ab.
Das Parteiprogramm liest sich im Übrigen wie ein Aktionsplan der Unions-Mittelstandsvereinigung - einfachere Steuern nach dem Kirchhoff-Modell, Abschaffung von Erbschaftssteuer und kalter Progression, flächendeckender Breitbandausbau, offensive Bauern- und Mittelstandsförderung. In der CSU wird ihm gerne das Etikett des "Freibier-Onkel" ans Revers geheftet. Aiwanger und seine Freien Wähler forderten bei jedem Projekt immer noch etwas mehr an Wohltaten - so wollen die Freien Wähler, dass die Kinderbetreuung in Bayern völlig kostenlos wird. Junge Familien in Bayern müssten bis zu 1000 Euro an Krippengebühren im Monat zahlen. "Ich finde es menschenverachtend, diese jungen Leute so hängen zu lassen." Auch hierzu haben die Freien Wähler bereits eine Unterschriftensammlung gestartet.
An diesen Themen würde eine Koalition mit der CSU kaum scheitern, dazu sind die Spielräume im bayerischen Staatshaushalt viel zu groß. In der Frage des Münchner Flughafenausbaus könnte es freilich knirschen. Denn Aiwangers Partei fordert eine "Stärkung des Flughafens Nürnberg statt 3. Startbahn in München". Zudem ist Aiwanger nicht zimperlich mit seiner Kritik an der Selbstgefälligkeit der CSU und Söders.
Die Freien könnten unbequeme Zöglinge der Macht werden. Einen Vorgeschmack liefert Aiwangers Spott über Söders Pläne für ein bayerisches Raumfahrtprogramm "Bavaria One". Es sei lustig, wenn Söder Pläne einer "bayerischen Weltraumfahrt" schmiede. "Das einzige was mich dabei enttäuscht hat, dass Sie dabei an unbemannte Flugkörper denken, die sie zum Mond schicken wollen. Eigentlich gehört da schon ein Mann rein", witzelte Aiwanger. Und nach dem Motto der CSU gehörten da "nur die Besten hinein" - nämlich Söder. "Und dann fliegen Sie mal los und grüßen uns vom Mond."
Wahrscheinlicher ist, dass beide demnächst von der Regierungsbank in München aus grüßen. Aiwanger wird Söders Macht retten, denn er möchte vor allem, "dass Bayern weiter stabil regiert wird". Das möchte Söder auch - solange er das Sagen hat. Und das ist vom Mond weniger gut möglich als mit dem unbequemen Bauern aus Rahstorf.
Quelle: n-tv.de
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