Als Lenin getötet werden sollte

  30 Auqust 2018    Gelesen: 892
Als Lenin getötet werden sollte

Russland vor 100 Jahren: Die Sowjetmacht kämpft um ihr Überleben. Im Moskauer Michelson-Werk wird Revolutionsführer Lenin durch ein Attentat schwer verletzt. Die Täterin ist eine Sozialrevolutionärin, die ihn des Verrats an der Revolution bezichtigt.

Der Spätsommer des Jahres 1918 ist in Russland eine politisch turbulente Zeit. Fast ein Jahr nach der Oktoberrevolution befindet sich die Sowjetmacht im Überlebenskampf. Die Truppen der Revolutionsgegner, der sogenannten Weißen, rücken vor. Ausländische Mächte unterstützen sie im Kampf gegen die Bolschewiki. Revolutionsführer Wladimir Iljitsch Lenin, als Vorsitzender des Rates der Volkskommissare so eine Art Ministerpräsident von Sowjetrussland, tourt durch das von der gerade erst gegründeten Roten Armee kontrollierte Land. Er hält Reden, eilt von Betrieb zu Betrieb. Lenin spornt die Arbeiter zu höheren Leistungen bei der Rüstungsproduktion an. Er verabschiedet Truppen die Front.

So auch am 2. August. Lenin absolviert in dieser Zeit eine Vielzahl von Auftritten. Als er im Moskauer Michelson-Werk, wo Waffen hergestellt werden, noch vor der abendlichen Sitzung mit seinen Volkskommissaren (Ministern - d.R.) Regierung zu den Arbeitern spricht. Lenin bekommt nur verhaltenen Beifall der Menschen mit den ausgezehrten Gesichtern. Aber die Veranstaltung läuft ohne Zwischenfälle ab.

Anders fast einen Monat später, am 30. August: Wieder sucht Lenin das für die Kriegswirtschaft wichtige Michelson-Werk auf. Großen Beifall gibt bei seiner Ankunft. Lenin hält eine Rede mit vielen Allgemeinplätzen. Er, der die Diktatur des Proletariats im gesamten Vielvölkerstaat errichten will, geißelt die Demokratie. "Wo Demokraten herrschen, herrscht auch der nackte Raub. Wir kennen die wahre Natur der sogenannten Demokraten." Doch dann redet er sich in Rage: "Wir müssen all unsere Streitkräfte an die tschechoslowakische Front (dort war die Lage für die Bolschewiki besonders kritisch - d.R.) werfen, um die ganze Bande zu zerquetschen (…) Für uns gibt es nur die Alternative: Sieg oder Tod." Nach seiner Rede eilt Lenin zum Ausgang.

"Heute habe ich auf Lenin geschossen"

Als er sich seinem Dienstwagen näherte, ertönten drei Schüsse. Lenin liegt regungslos neben dem Wagen. Allen Anwesenden ist klar: Auf den Revolutionsführer ist ein Attentat verübt worden. Wie der mittlerweile verstorbene russische Militärhistoriker Dmitri Wolkogonow in seinem 1994 erschienen Buch "Lenin - Utopie und Terror" schildert, steht in der Nähe des Tatortes eine Frau mit Aktenkoffer und Regenschirm an einem Baum: Fanny Kaplan, 28 Jahre alt, eine Sozialrevolutionärin. "Ich heiße Fanja Kaplan. Heute habe ich auf Lenin geschossen", sagt sie bei einem Verhör der Tscheka, der kürzlich für den Kampf gegen die Konterrevolution gebildeten Geheimpolizei: "Ich tat das nach eigener Entscheidung. Ich werde nicht sagen, von wem ich den Revolver bekommen habe. Ich werde keine Details nennen. Ich hatte schon lange beschlossen, Lenin zu töten. Ich halte ihn für einen Verräter der Revolution."

Kaplan bezeichnet sich als Anhängerin der verfassungsgebenden Versammlung, die am Morgen des 18. Januar 1918 im Taurischen Palast in Petrograd einberufen und am Abend von den Bolschewiki für aufgelöst erklärt wurde. Das Zentralkomitee der Sozialrevolutionäre hatte sich kurz danach getroffen und sich für den bewaffneten Widerstand gegen Lenin und die Seinen entschieden: "Bolschewismus basiert, anders als die zaristische Selbstherrschaft, auf den Arbeitern und Soldaten, die noch immer blind sind, ihr Vertrauen noch nicht verloren haben und nicht sehen, wie fatal diese Sache für die Arbeiterklasse ist." Aber gegen Lenins roten Terror kamen die Sozialrevolutionäre nicht an.

Attentäterin wird hingerichtet

Lenin überlebt. Zwei der von Kaplan abgegebenen drei Kugeln hatten ihn getroffen. Wolkogonow zitiert aus einer Verlautbarung des Rates der Volkskommissare zum Attentat: "Am 30. August 1918 wurden um 23 Uhr zwei Schussverletzungen festgestellt. Eine Kugel drang unter dem linken Schulterblatt ein, stieß in den Brustraum vor, verletzte den oberen Lungenlappen, verursachte einen Bluterguss am Brustfell und blieb in der rechten Seite des Halses, über dem rechten Schlüsselbein, stecken. Die andere Kugel drang in die linke Schulter ein, zersplitterte den Knochen und blieb unter der Haut des linken Schulterraumes stecken. Innere Blutgerinnsel konnten festgestellt werden. Der Puls liegt bei 104. Der Kranke war und ist bei vollem Bewusstsein. Zur Behandlung wurden die besten Spezialisten und Chirurgen herangezogen."

Fanny Kaplan wird am 3. September 1918 erschossen. Es gibt keinen Prozess. Menschen wie sie, die bereits unter Zar Nikolaus II. im Zuchthaus gesessen hatte, empfinden dies die Krönung ihres revolutionären Lebens. Die Bolschewiki nehmen das Attentat zum Anlass, um noch härter gegen Oppositionelle vorzugehen.

Es ist nicht der erste Anschlag, der auf Lenin verübt wurde. Bereits im Januar 1918 wird auf ihn geschossen, als nach einer Rede vor Einheiten in der Petrograder Michailow-Manege mit seinem Auto in Richtung Smolny unterwegs war. Die Karosserie wird an mehreren Stellen von Kugeln durchlöchert. Lenin bleibt unverletzt.

Kugel im Hals erst vier Jahre später entfernt


Am 19. Januar 1919 befindet sich Lenin mit seiner Schwester und seinem Leibwächter auf dem Weg nach Sokolniki, wo sich seine Frau Nadeschda Krupskaja befand. Auf der Strecke hielten drei Bewaffnete das Auto an. Sie durchwühlen Lenins Taschen und entreißen ihm den damals üblichen Passierschein und seine Waffen - einen Browning. Der Führer der Oktoberrevolution, die die Welt erschüttern sollte, ist Opfer eines Überfalls von gewöhnlichen Straßenkriminellen. Nach dem Ereignis wird in Moskau verstärkt gegen die Kriminalität vorgegangen - Dutzende Menschen werden festgenommen. Lenin wird nun besser geschützt. Er bleibt - auch aus gesundheitlichen Gründen - fast nur noch in Moskau.

Denn von den Folgen des Kaplan-Attentats sollte sich Lenin nicht mehr vollständig erholen. Die Kugel im Hals wird ihm erst vier Jahre später, im Jahr 1922, vom deutschen Chirurgen Moritz Borchardt entfernt. Nach der Meinung des Professors hat das Blei der Kugel Lenins Kopfschmerzen verursacht. Nach der schwierigen Operation tritt bei Lenin keine gesundheitliche Besserung ein, er erleidet einen Schlaganfall. Lenin hatte bereits vor der Operation mehrere kleinere Hirninfarkte erlitten.

Ein weiterer Schlaganfall und massive Durchblutungsstörungen setzen Lenins Leben ein Ende. Er stirbt im Alter von nur 54 Jahren am 21. Januar 1924 in Gorki bei Moskau.

Quelle: n-tv.de


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