Argentinien legt die Axt an

  04 September 2018    Gelesen: 975
Argentinien legt die Axt an

Die argentinische Zentralbank pumpt Milliarden Dollar in den Markt, aber den Absturz des Peso hält das nicht auf. Das bringt die Regierung in enorme Schwierigkeiten, da sie Kredite in harter Währung zurückzahlen muss. Ein radikaler Sparplan soll den IWF gnädig stimmen.

Die Rückseite der Casa Rosada ist neu gestaltet. Hinter dem argentinischen Präsidentenpalast glänzt seit einigen Monaten akkurat geschnittener Rasen, nur unterbrochen durch ein großes "H" auf einem runden Fleck Asphalt. Hier können Gäste mit dem Hubschrauber empfangen werden, oder das Staatsoberhaupt kann in dringenden Fällen flugs abheben. Im Angesicht der nahenden Wirtschaftskrise ist Präsident Mauricio Macri offenbar vorbereitet - und das weckt Erinnerungen.

Eines der Dinge, mit denen Argentinier derzeit die sozialen Netzwerke fluten, ist ein montiertes Foto, auf dem sich Macri in einem Onlineshop interessiert ein Hubschraubermodell ansieht. Es gibt auch eine Tonaufnahme, auf der das marktliberale Staatsoberhaupt den Argentiniern gut zuredet, während ein Rotorengeräusch immer lauter wird - als stünde der Präsident kurz vor dem Abflug. Es soll an die Ausschreitungen während der großen Krise 2001 erinnern, als der damalige Präsident Fernando de la Rúa zurücktrat. Wegen der gewaltsamen Auseinandersetzungen vor dem Präsidentenpalast verschwand de la Rúa per Helikopter.

Ist Macri also machtlos und kurz vor der Flucht durch die Luft? Nein, so weit ist es noch lange nicht. Weder ist Argentiniens Präsident handlungsunfähig, noch belagern wütende Demonstranten seinen Amtssitz am zentralen Plaza de Mayo. Doch die Zeiten sind so kritisch wie noch nie während seiner fast dreijährigen Amtszeit. Argentinien rutscht in die Rezession. Die Inflation ist kaum zu bremsen, das Haushaltsdefizit wird bislang nicht geringer, und im Juni war das Bruttoinlandsprodukt im Vergleich zum Vorjahresmonat um 6,7 Prozent geschrumpft. Der Präsident spricht bereits von der schlimmsten Phase seiner Amtszeit. Sein wirtschaftspolitischer Spielraum wird immer enger.

Eine Kombination aus Misstrauen gegenüber der eigenen Wirtschaft und Währung, geringer werdenden Dollarreserven und attraktiven nordamerikanischen Zinsen erzeugt einen Strudel, in dem das argentinische Geld verschwindet und der eigenen Wirtschaft entzogen wird. Nun hat Macri geradezu panisch eine Mischung aus Regierungsumbildung, Sparmaßnahmen und neuen Steuern verkündet. "Es ist ein Notfall", sagte er bei einer Fernsehansprache.

"Eine schlimme Steuer"


Das Sparpaket ist ein Kahlschlag: Zwei Vizekabinettschefs, zugleich Minister, müssen gehen. Zehn Ministerien schließen und müssen sich teilweise in andere Ressorts integrieren, darunter das Arbeits-, Kultus-, Gesundheits-, Energie-, Tourismus- und Umweltministerium. Bei Gehältern von Staatsangestellten sollen 20 Prozent eingespart werden. Staatliche Investitionen kappt die Regierung radikal um die Hälfte und reduziert Subventionen von Gas, Strom und öffentlichen Transportmitteln weiter. Die Preise für Verbraucher könnten so um bis zu 500 Prozent steigen.

Zugleich erhebt der Staat wieder Ausfuhrzölle. Exporteure von Dienstleistungen, Landwirtschafts- und Industrieprodukten sollen bis mindestens Dezember 2020 für jeden verdienten Dollar zahlen. "Es ist eine schlimme Steuer, aber wir brauchen Ihren Beitrag", sagte Macri in Richtung der Unternehmer. Das Haushaltsdefizit ohne Zinszahlungen soll so in diesem Jahr gedrückt werden und bereits 2019 komplett verschwinden.

Grund für die radikalen Schritte ist der Internationale Währungsfonds (IWF), der Argentinien Auflagen für Kredite macht. Vor der Einigung mit dem IWF wurde für dieses Jahr ein Haushaltsdefizit inklusive Zinszahlungen in Dollar auf 7,9 Prozent vorhergesagt. Im kommenden Jahr muss Argentinien Kredite im Umfang von fast 25 Milliarden Dollar zurückzahlen.

Macri hatte nach seiner Amtsübernahme unter anderem diese Exportabgaben gestrichen, die Wechselkontrollen von Devisen abgeschafft, Subventionen abgebaut und Schulden mit Hilfe internationaler Investoren umstrukturiert. So scharte er die Unternehmer des Landes hinter sich. Die Belastung für Bürger und Wirtschaft wollte die Regierung nur in kleinen Schritten erhöhen. Doch die erwartete Krise macht Macri einen Strich durch die Rechnung. Sein Plan, mit ausländischen Investitionen die nationale Wirtschaft und Währung nachhaltig zu stabilisieren, ist krachend gescheitert. Die Inflation ist höher als bei seinen linken Vorgängern, Nestór und Cristina Kirchner. Nun treibt die Argentinier die Angst vor einem Zusammenbruch wie 2001/02 um, als der IWF das Land auflaufen ließ und es seinen Bankrott erklären musste.

Anstehen vor den Wechselstuben


Der aktuelle "Notfall", den hat die Regierung selbst mit ausgelöst.  So fiel der Peso am vergangenen Mittwoch um 7 Prozent gegenüber dem Dollar. Argentinien rief nach einer weiteren Kredittranche des IWF, woraufhin sich der Dollar innerhalb weniger Stunden um über 20 Prozent auf 42,50 Peso verteuerte.

Im Bankenviertel von Buenos Aires warteten Argentinier vor den Wechselstuben, manche Geldhäuser stoppten zeitweise den Dollarhandel. Aus Angst, ihre Preise nicht schnell genug anpassen zu können und Verlust zu machen, lieferten Großhändler manche Produkte nicht mehr aus. Als sich der Preis des Dollar vorübergehend bei 41 Peso stabilisierte, applaudierten manche Wartenden höhnisch. In Macris Präsidentenresidenz außerhalb der Hauptstadt jagte derweil eine Krisensitzung die nächste.

Am Montag hatte sich der Dollar dann wieder bei rund 38 Peso eingependelt. Dennoch ist das ein nomineller Wertverlust von mehr als 50 Prozent seit Jahresbeginn. Der Fonds hatte dem Land im Juni Kredite von bis zu 50 Milliarden Dollar reserviert, 15 Milliarden davon nahm Argentinien bereits kurz danach in Anspruch. Die Zentralbank versucht seit April gegenzusteuern und die eigene Währung zu stabilisieren, ist damit aber nur vorübergehend erfolgreich.

Erschwerend kommt eine Auflage des IWF hinzu: Die argentinische Notenbank darf nur noch in Ausnahmesituationen Dollar verkaufen, um den Peso zu stützen. Vor diesem Hintergrund erhöhte die Zentralbank den Leitzins Ende vergangener Woche von 45 auf 60 Prozent. Das soll unter anderem verhindern, dass Anleger ihr Geld ins Ausland transferieren. Doch der Peso fiel trotzdem.

Nun will Finanzminister Nicolás Dujovne dem IWF in Washington den neuen Sparplan der Regierung vorlegen. Für Präsident Macri wird es damit riskant: Stabilisiert sich die argentinische Wirtschaft nicht, ist seine Wiederwahl im kommenden Jahr in Gefahr. Nicht nur weite Teile der Bevölkerung könnten sich von ihm abwenden, sondern auch der einflussreiche Landwirtschaftssektor und andere Unternehmer. Sie hatten ihn vor seiner Wahl 2015 unterstützt – mit dem Ziel, dass er die Ausfuhrzölle abschafft. Doch nun führt Macri sie wieder ein.

Quelle: n-tv.de


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