Auf Korsika braut sich was zusammen

  29 Dezember 2015    Gelesen: 960
Auf Korsika braut sich was zusammen
Wochenlang waren die französischen Politiker in Paris ganz auf den nationalistischen Front National fixiert, der bei Regionalwahlen im Dezember erstaunlich viele Stimmen gewonnen hat. Darüber wurde übersehen, dass sich auf einer idyllischen Insel im Mittelmeer eine zweite Herausforderung für die Republik zusammenbraute. Die Korsen haben in ihrer Geschichte oft gegen Einwanderer gekämpft, gegen kriegerische Invasoren, aber auch gegen friedliche Ferienhaus-Erbauer. Nun machen etliche Korsen wieder gegen Menschen mobil, die sie als Fremde empfinden. Betroffen sind zum einen muslimische Einwanderer, zum anderen die Festlandsfranzosen selbst.
Die Unruhen begannen an Heiligabend in einem sozial schwierigen Einwandererviertel der korsischen Hauptstadt Ajaccio namens Jardins de l`Empereur. Eine Gruppe Vermummter legte ein Feuer, um die Rettungskräfte in eine Falle zu locken. Als die Feuerwehr eintraf, bewarfen die Randalierer deren Auto mit Steinen. Dann schlugen sie mit Baseball-Schlägern und Stangen auf die Feuerwehrleute ein.

Da die freiwillig dienenden Feuerwehrleute auf Korsika besonders angesehen sind, reagierten viele Korsen rabiat. Hunderte zogen am ersten Weihnachtsfeiertag in das Problemviertel und skandierten "Araber raus" und "Das ist unsere Heimat". Ein Teil der Demonstranten stürmte und verwüstete dann einen muslimischen Gebetssaal, wobei die Gewalttäter einige Koran-Ausgaben anzündeten. Am zweiten Weihnachtstag gingen die Proteste in Ajaccio weiter. Der Präfekt der Insel hat nun ein Demonstrationsverbot erlassen, das vorerst bis zum 4. Januar gilt.

Korsika ist eine ländlich geprägte Insel mit stark verwurzelten Traditionen und einer selbstbewussten korsischen Identität. Die Probleme französischer Großstädte kennen die Korsen oft nur aus dem Fernsehen. Jetzt müssen sie erleben, dass manche Gegenden Ajaccios vergleichbare Schwierigkeiten wie die berüchtigten Cités von Paris, Lyon oder Marseille haben: hohe Arbeitslosigkeit insbesondere unter Jugendlichen, Kriminalität, junge Leute aus Migrantenfamilien, die sich gegen den Staat austoben, sowie Alteingesessene, die gegen "die Muslime" hetzen.

Zugleich wächst auf Korsika wieder einmal der Zorn auf die Regierung in Paris. Frankreich gehe zu lax gegen die Kriminalität auf der Insel vor, vernachlässige die Landwirtschaft, fördere den Klientelismus und lasse es zu, dass Festlandfranzosen die Küsten mit Bungalows und Ferienanlagen zubauten, während viele Korsen leer ausgingen, klagen viele Bewohner.

Bei den französischen Regionalwahlen hat sich der Ärger nun Luft gemacht. Zur Überraschung aller - auch der Sieger - wurde eine Einheitsliste korsisch-nationalistischer Gruppen zum ersten Mal überhaupt stärkste Kraft im Inselparlament. Das Geheimnis ihres Erfolges: Die diversen Gruppen, die für eine Unabhängigkeit oder Autonomie Korsikas eintreten, bekämpften sich bei der Stichwahl ausnahmsweise nicht untereinander, sondern schlossen ihre Kräfte zusammen. Das neue Parlament wählte dann Jean-Guy Talamoni, der für einen unabhängigen Staat Korsika eintritt, zu seinem Präsidenten und den Autonomisten Gilles Simeoni zum Chef der Insel-Regierung. Dann erklang die korsische Hymne, die den Sieg über die Feinde beschwört.

Die Regierung in Paris hatte gehofft, die Weg-von-Frankreich-Bewegung verliere an Schwung; immerhin hatte 2014 die größte Untergrundgruppe der Insel, die korsische Befreiungsfront FLNC, den bewaffneten Kampf aufgegeben. Doch nun führen ihn die legalen Kräfte politisch weiter. Talamoni und Simeoni fordern, Korsisch neben Französisch als offizielle Inselsprache einzuführen, "politische Gefangene" freizulassen und den Immobilienkauf durch Korsen zu fördern. Fernziel, zumindest für Talamoni, bleibt die Unabhängigkeit. 2013 hatte er der Süddeutschen Zeitung gesagt: "Wir sind eine von Frankreichs letzten Kolonien." Jetzt meint er: "Korsika ist keine Verwaltungseinheit eines anderen Landes. Es ist dazu berufen, eine eigene Nation zu sein."


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