Der OSZE-Generalsekretär traf bereits am 4. September mit einem Arbeitsbesuch in Armenien ein. Der armenische Außenminister, Mnatsakanjan, erwähnte beim Gespräch mit Greminger die Bedingungen Armeniens für Fortschritte bei den Verhandlungen über den Konflikt. Der Außenminister sagte, dass für Armenien die Feststellung des rechtlichen Status von Bergkarabach und Sicherheitsfragen bei den Verhandlungen eine vorrangige Rolle spielen. Er sagte weiterhin, dass die Schaffung einer Atmosphäre des Vertrauens für die friedliche Beilegung des Konflikts sehr wichtig sei. In dieser Hinsicht hielt der armenische Außenminister die Erfüllung der zuvor erzielten Vereinbarungen für vorrangig: Das Ende der Waffenstillstandsverletzungen und der kriegerischen Rhetorik.
Aserbaidschan wirft Armenien vor, den Verhandlungsprozess über die Konfliktlösung auf Eis gelegt zu haben. Zu der Frage der „vertrauensbildenden Maßnahmen“ sagen die aserbaidschanischen Offiziellen, dass das Vertrauen erst durch die Rückgabe zumindest eines Teils der aserbaidschanischen Gebiete um Bergkarabach, die ebenso von Armenien besetzt sind, und der gleichzeitigen Verbesserung der wirtschaftlichen Beziehungen zwischen den beiden Kaukasusrepubliken wiederhergestellt werden könnte. Der endgültige rechtliche Status von Bergkarabach gilt als gordischer Knoten bei den Friedensgesprächen. Die aktuellen Friedenslösungen auf der Grundlage der so genannten Madrider Prinzipien sehen vor, dass über diese Frage viele Jahre später, quasi am Ende des Friedensprozesses, durch ein Referendum unter Beteiligung der armenischen und aserbaidschanischen Bevölkerung entschieden werden solle. Baku und Jerewan stellen sich jeweils entgegenstehende Bedingungen. So versucht Aserbaidschan, selbst eine hypothetische Möglichkeit der Abspaltung von Bergkarabach durch ein solches Referendum im Voraus auszuschließen. Armenien schließt seinerseits im Voraus jegliche Möglichkeiten aus, dass Bergkarabach ein Teil Aserbaidschans bleiben könnte. Baku verspricht die weltweit „höchste“ Autonomiestufe für das mehrheitlich armenisch besiedelte Gebiet unter Voraussetzung, dass es völkerrechtlich weiterhin Aserbaidschans Staatsgebiet bleibt. Die Bergkarabach-Armenier, die nach der gewaltsamen Vertreibung der aserbaidschanischen Bevölkerung im Zuge des armenisch-aserbaidschanischen Kriegs in den 1990-er Jahren praktisch als einzige ethnische Gruppe in der umstrittenen Region leben, fordern vollständige Unabhängigkeit.
Es ist auffällig, dass der OSZE-Generalsekretär Armenien und Aserbaidschan mit einem Zeitabstand von einer Woche besucht. Denn normalerweise werden bei einer Reise in die Region diese beiden Länder kurz nacheinander besucht. Der aserbaidschanische Politologe, Arzu Naghijew, schließt nicht aus, dass Greminger im Rahmen seines Besuchs in Armenien, mit der offiziellen Zustimmung Bakus die besetzten aserbaidschanischen Gebiete besichtigen könnte. „Vielleicht ist eine Woche Pause damit verbunden. Darüber hinaus wird bald ein Treffen zwischen dem russischen Präsidenten Wladimir Putin und dem armenischen Premierminister Nikol Paschinjan erwartet. Es ist gut möglich, dass alle diese Fragen miteinander zusammenhängen“, so der Experte.
Seit der „samtenen Revolution“ in Armenien im Frühling dieses Jahres hat es keine Treffen zwischen dem neuen armenischen Regierungschef Paschinjan und dem aserbaidschanischen Präsidenten Alijew gegeben. Offenbar befinden sich Baku und Jerewan noch im Wartemodus, da sich die innenpolitische Situation in Armenien noch nicht beruhigt hat. Die sonst angespannte Situation an der Waffenstillstandslinie blieb in den Sommermonaten trotz der teils düsteren Expertenprognosen relativ friedlich: Im Sommer 2018 kam es in Bergkarabach zu keinen größeren militärischen Auseinandersetzungen.
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