Ungarn hat angekündigt, sich an den Europäischen Gerichtshof (EuGH) zu wenden, um das Ergebnis der Abstimmung im Europaparlament anzufechten. Das Votum hatte in der vergangenen Woche den Weg zur Einleitung eines Rechtsstaatsverfahrens gegen Budapest freigemacht.
Bei der Abstimmung sei die erforderliche Zweidrittelmehrheit nur deshalb zustande gekommen, weil die Stimmenthaltungen nicht mitgezählt worden seien, sagte der ungarische Kanzleramtsminister Gergely Gulyas in Budapest. "Das Ergebnis der Abstimmung ist deshalb falsch festgestellt worden, das Verfahren ist nicht durchzuführen", sagte der Politiker nach Angaben der Nachrichtenagentur MTI. Die rechtliche Lage ist umstritten (lesen Sie hier eine Analyse).
Das Europaparlament hatte am vergangenen Mittwoch Ungarn eine "systemische Bedrohung der Demokratie, der Rechtsstaatlichkeit und der Grundrechte" bescheinigt und ein Rechtsstaatsverfahren nach Artikel 7 der Europäischen Verträge ausgelöst. Im schlimmsten Fall kann dieses zum Entzug der Stimmrechte des osteuropäischen EU-Mitgliedslandes in den EU-Gremien führen.
Bei der Abstimmung im Europaparlament war eine Zweidrittelmehrheit erforderlich. In der Regel werden bei der Ermittlung des Ergebnisses die Stimmenthaltungen nicht berücksichtigt. Bei dem Votum hatten 448 Abgeordnete für die Auslösung des Sanktionsverfahrens gestimmt, 197 dagegen. 48 hatten sich der Stimme enthalten.
Unterschiedliche Rechtsauffassungen
Bereits zwei Tage vor der Abstimmung hatte Ungarns EU-Botschafter Olivér Várhelyi einen Brief an Parlaments-Generalsekretär Klaus Welle geschickt und darauf gepocht, dass die Enthaltungen mitgezählt werden.
Der Rechtsdienst des EU-Parlaments sieht hingegen keine Probleme. Zwar sei im Lissaboner EU-Vertrag nicht festgelegt, ob die Enthaltungen mitgezählt werden oder nicht, schrieben die Juristen bereits am 7. September an Parlamentspräsident Antonio Tajani. Aber in der Geschäftsordnung des Parlaments stehe eindeutig, dass bei Abstimmungen nur Ja- und Neinstimmen gezählt werden. Und das sei bisher auch immer so erfolgt.
Selbst wenn der Europäische Gerichtshof die Abstimmung zur Einleitung des Strafverfahrens für rechtmäßig erklärt, gelten Sanktionen gegen Ungarn als unwahrscheinlich. Polen hatte angekündigt, in dem Verfahren sein Veto einzulegen.
spiegel
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