In einem Beitrag im „Turkish Policy Quarterly“ geht Micha’el Tanchum davon aus, dass die Türkei auf Grund der Realitäten in der Region davon ausgehen muss, den Iran in irgendeiner Form in das TANAP-Projekt mit zu integrieren, da die Fortschritte der türkischen Diversifizierungsstrategie nicht schnell genug vorangehen und der Iran ebenso wie Russland das Potenzial aufweisen, in einer dem Projekt abträglichen Weise dazwischenzufunken. Außerdem machen Bündnisse mit weiteren Versorgungspartnern, unter anderem Israel, Sinn, wenn es darum geht, einseitige politische Abhängigkeiten zu vermeiden. Insbesondere stellen Russland und der Iran potenzielle Störfaktoren mit Blick auf die ins Auge gefassten Energiepartner der Türkei dar.
Der Ausbau der TANAP-Kapazitäten wird voraussichtlich mit einem jährlichen Leistungsplus von mindestens einer Milliarde Kubikmeter pro Jahr vonstattengehen. Um die am Ende angestrebte Kapazität von 60 bcm erreichen zu können, wird es erforderlich sein, neben Aserbaidschan noch weitere regionale Akteure mit ins Boot zu holen. Die Reserven Aserbaidschans alleine würden Berechnungen zufolge nur noch für 40 Jahre ausreichen, ehe sie erschöpft sind. Gleichzeitig wird der Energiebedarf der Türkei weiter steigen, da auch mit einem weiteren Wachstum der Investitionen und Konsumausgaben zu rechnen ist. Deshalb ist es trotz der Konkurrenzsituation auch für Baku von Interesse, auch andere Nationen in das TANAP-Projekt zu integrieren.
Offizieller Werbefilm zum TANAP-Projekt in türkischer Sprache:
Das türkische Hauptinteresse an TANAP besteht neben der Verminderung der Abhängigkeit von russischen Energielieferungen nicht zuletzt auch daran, selbst als Transitland für Erdgaslieferungen in die EU zu profitieren. Aserbaidschan will strategisch vor allem internationale Stakeholder in sein Konzept politischer Souveränität durch Energie-Infrastruktur miteinbeziehen.
Solange der Iran nicht Teil des TANAP-Projekts ist, ist Turkmenistan der wichtigste zusätzliche Versorger im Rahmen des Erdgasprojekts, wo die weltweit viertgrößten Reserven zu finden sind. Ankara hat sich aus diesem Grund bereits positiv zu der Überlegung geäußert, fünf bis sechs bcm turkmenischen Erdgases in die TANAP-Leitung mit aufzunehmen. Dafür ist es erforderlich, für fünf Milliarden US-Dollar die 300 Kilometer lange Transkaspische Pipeline unter dem Meeresboden zwischen Turkmenistan und Aserbaidschan zu errichten – was jedoch voraussetzt, dass Baku und Aschgabat ihren politischen Konflikt um das Kohlenwasserstofffeld 145 Kilometer vor der Küste Aserbaidschans bei Serdar (turkm.)/Kyapaz (aserb.) beilegen oder eine gemeinsame Nutzungsvereinbarung abschließen.
Darüber hinaus neigt Turkmenistan tendenziell dazu, sich nicht in externe Gasversorgungsprojekte miteinbeziehen zu lassen, und sich stattdessen damit zu begnügen, Gas an seine eigenen Grenzen zu befördern. Mit Aschgabats Beteiligung am Ausbau des TANAP-Projekts insgesamt wird daher nur eingeschränkt zu rechnen sein. Aus diesem Grund schaltete sich auch der für die Energieunion zuständige Vizepräsident der Europäischen Kommission, Maroš Šefcovic, kürzlich ein, um sich am 1. Mai 2015 im Rahmen eines Vierergipfels zwischen der EU, der Türkei, Aserbaidschan und Turkmenistans in Aschgabat um eine Beschleunigung des Projekts anzustoßen und die Reaktivierung des White-Stream-Projekts ins Gespräch zu bringen. Dieses würde auch Georgien eine Schlüsselrolle einräumen – weshalb infolge des Gipfels auch eine Annäherung dahingehend stattfand, dass Turkmenistans Präsident Gurbanguly Berdymuhamedov ein Dekret zur Eröffnung einer georgischen Botschaft in Aschgabat unterfertigte.
Dennoch bleibt der anhaltende Widerstand Russlands und des Iran gegen das Projekt ein Unsicherheitsfaktor. Der Iran hatte sich zwar selbst als Transitstaat ins Spiel gebracht, ihm fehlt es jedoch an den erforderlichen Kapazitäten, um das turkmenische Erdgas in die Türkei und den EU-Markt weiter zu transportieren. Die erforderliche Infrastruktur zu schaffen, würde mindestens fünf Jahre in Anspruch nehmen.
Was bereits jetzt existiert, ist ein Abkommen zwischen der Türkei und der nordirakischen Kurdenregion (KRG) über den Import von Erdgas. Jährlich werden auf dieser Basis zehn bcm an Erdgas aus der KRG in die Türkei geliefert, wo die von der staatlichen Versorgungseinrichtung Botaş gesteuerte türkische Energieunternehmung TEC als Partner fungiert. Diese Pipeline verläuft aber durch ein Territorium, in dem die terroristische PKK ihre Hochburgen hat und immer wieder durch Sabotage, Terroranschläge und Diebstahl für Ausfälle entlang der Pipeline Kirkuk-Ceyhan sorgt. Seit dem Wiederaufflammen des Bürgerkrieges in der Südosttürkei wurde mehrfach der Ausnahmezustand über Städte entlang der Route verhängt. Es ist damit zu rechnen, dass der Schutz der Pipeline noch weitere zusätzliche finanzielle Belastungen für den türkischen Staatshaushalt schaffen wird. Auch im Nordirak ist mit Störungen zu rechnen – auch wenn die Terrormiliz IS in der Kurdenregion keinen nennenswerten Spielraum zu haben scheint.
Vor allem nehmen die oppositionelle Gorran-Partei und weitere Oppositionskräfte innenpolitisch Anstoß an der Weigerung des Präsidenten Masoud Barzanis und seiner KDP, nach dem Ablauf der zweijährigen Amtszeitverlängerung durch das Parlament am 19. August 2015 für einen Übergang zu sorgen. Dies könnte zu einem weiteren Unruheherd beitragen, in den sich der Iran einschalten könnte. Dieser pflegt sowohl zu Barzani als auch zu den Oppositionsparteien PUK und Gorran gute Beziehungen, dennoch könnte Teheran, wenn seine Interessen im TANAP-Umfeld nicht gewahrt bleiben, für eine Seite Partei ergreifen und beispielsweise seine Militärpräsenz in PUK-kontrollierten Gebieten verstärken – oder Gorran unterstützen.
Dazu kommt, dass die derzeit niedrigen Gaspreise Druck auf die Türkei entfalten, das Abkommen mit der KRG neu zu verhandeln, um von diesen gesunkenen Preisen auch selbst profitieren zu können.
Um die Risiken zu minimieren und gleichzeitig an der Energiefront mehr Sicherheit und Unabhängigkeit zu erlangen, liegt es also im Interesse der Türkei selbst, zum einen mit Ländern wie Israel neue Energiepartnerschaften zu erschließen, zum anderen den Iran in das TANAP-Projekt mit einzubinden, um die Risiken der Obstruktion oder des Scheiterns des Projekts auch zu dessen eigenen zu machen. Die staatliche aserbaidschanische Energieversorgungsgesellschaft SOCAR hat aus diesem Grund bereits kurz nach Abschluss des Atomdeals der 5+1-Nationen mit dem Iran einen Vorschlag für ein Beteiligungsmodell entworfen, das auch Teheran nach Wegfall der Sanktionen zum Stakeholder machen würde.
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