Die Ironie gilt als österreichische Spezialität, serviert mit feiner Klinge, gern genutzt für Auseinandersetzungen mit der Obrigkeit. Das hat die ÖVP/FPÖ-Regierung unter Bundeskanzler Sebastian Kurz am Montagabend zu spüren bekommen. Genau 881.569 Österreicher und Österreicherinnen haben das "Don't Smoke"-Volksbegehren unterschrieben, gaben die Initiatoren bekannt.
Krebshilfe, Ärztekammer und andere Gesundheitsexperten fordern mit dieser Aktion gemeinsam ein komplettes Rauchverbot in den Wirtshäusern des Landes. Ein vor Jahren schon beschlossener Tschick-Bann wäre im Mai in Kraft getreten, doch die neue Koalition räumte das Gesetz in letzter Sekunde ab, zum Entsetzen selbst einiger ÖVP-Politiker. Das Wort vom "Aschenbecher Europas" machte die Runde, das Ausland wunderte sich über den Rückfall in eine vormoderne Gesundheitspolitik.
Die FPÖ, die selbsternannte Partei des kleinen Mannes, ließ sich dagegen von ihrer Klientel als Wahrer der österreichischen Wirtshauskultur feiern. Und musste zuschauen, wie die empörte Anti-Raucher-Koalition ihre eigenen Waffen gegen sie wendete. Seit Jahrzehnten schon treten die Freiheitlichen für den massiven Ausbau der direkten Demokratie ein, im Wahlkampf forderten sie verbindliche Volksabstimmungen ab 250.000 Unterschriften. Nun sieht sie sich mit "Don't Smoke" einem der zehn erfolgreichsten Volksbegehren seit dem Zweiten Weltkrieg konfrontiert.
Volkes Stimme gegen ein Lieblingsprojekt der Direkte-Demokratie-Partei FPÖ - diese Konstellation entbehrt nicht einer gewissen Komik. Entsprechend ernst waren die Gesichter der Koalitionspolitiker von ÖVP und FPÖ, die sich noch am Montagabend im Fernsehen äußern mussten. Sie überbrachten eine humorlose Botschaft: Die Regierung denke gar nicht daran, über das Rauchverbot verbindlich vom Volk abstimmen zu lassen. Eine Strategie, die für beide Parteien Gefahren birgt.
Klammern an den Koalitionsvertrag
Vor allem die FPÖ setzt damit ihren Ruf als Vorkämpferin für mehr plebiszitäre Demokratie aufs Spiel, meint der Wiener Politikberater Thomas Hofer im Gespräch mit n-tv.de. "Für die FPÖ wäre der richtige Umgang mit dem Ergebnis wohl der generöse Ansatz: Ja, das sind richtig viele Stimmen, lasst uns darüber abstimmen." Alle verfügbaren Umfragen deuten darauf hin, dass die Rechten ein Referendum über das Rauchverbot verlieren würden. Aber, argumentiert Hofer: "So nimmt die FPÖ eine thematische Niederlage in Kauf, bleibt glaubwürdig und schreitet Richtung plebiszitärer Demokratie."
Der FPÖ-Fraktionsvorsitzende Walter Rosenkranz sagte im ORF, die Regierung halte sich an den Koalitionsvertrag. Der sieht tatsächlich nur einen schrittweisen Ausbau der direkten Demokratie vor. Bislang muss jedes Volksbegehren mit mehr als 100.000 Unterstützern im Parlament behandeln werden, wo es meist in einem Ausschuss auf Nimmerwiedersehen verschwindet. Künftig sollen sie wie reguläre Gesetzesentwürfe behandelt werden, inklusive Rederecht für die Initiatoren und Stellungnahmen der Minister.
Klappt das nicht, soll in einem zweiten Schritt ein Automatismus entstehen: Ab 900.000 Unterschriften muss ein Volksbegehren in ein Gesetz münden, passiert das nicht, wird es zur Volksabstimmung gestellt. FPÖ-Chef Heinz-Christian Strache geht das angeblich nicht schnell genug. Er sagte im Februar, er wolle "am liebsten sofort" über das Rauchverbot abstimmen lassen und versprach ein verbindliches Referendum, sollte "Don't Smoke" die 900.000 Unterstützer überschreiten.
"Das wäre Haarspalterei"
Auf die magische Marke fehlten der Anti-Raucher-Koalition am Ende 18.431 Unterschriften. Unbedeutend, meint Ärztekammer-Präsident Thomas Szekeres im Gespräch mit n-tv.de. "Wir hoffen, dass die Politik das Gesetz sofort ändert oder eine verbindliche Abstimmung ansetzt." Alles andere wäre "Haarspalterei". "Es geht darum, die Menschen im Land vor den Folgen des Rauchens zu schützen. Ich glaube, eine Mehrheit im Parlament will das auch tun."
Tatsächlich ist es kein Geheimnis, dass viele ÖVP-Abgeordnete nur aus Koalitionsdisziplin der Raucherpartei FPÖ auf ihrem Feldzug für das Tschicken im Gasthaus beistanden. 35 ÖVP-Mandatare hatten das Rauchverbot sogar noch 2015 an der Seite der SPÖ beschlossen, nun mussten sie es rückgängig machen. Bundeskanzler Sebastian Kurz, üblicherweise kein Politiker, der sich auf die Taktiktafel schauen lässt, räumte im ORF unumwunden seine Lage ein: "Als Nichtraucher verstehe ich die Bedenken. Aber es war eine Koalitionsbedingung der FPÖ."
Nicht an die Koalitionsdisziplin gebunden fühlen sich die starken ÖVP-Landesfürsten. Salzburgs Landeshauptmannstellvertreter Christian Stöckl sagte noch am Montagabend, das Rauchervolksbegehren sei "ein klassisches Beispiel, wo ein verbindlicher Volksentscheid sinnvoll wäre." Der ÖVP-Bürgermeister Siegfried Nagl aus Graz, immerhin die zweitgrößte Stadt des Landes, stimmte zu: "Wenn ein Thema politisch nicht zum Heben ist, muss man den Publikumsjoker nehmen." Ignoriert Kanzler Kurz die Hinweise, könnte er die einsetzende Entfremdung zwischen seiner Bundes-ÖVP und den ÖVP-Landesverbänden wie Tirol und Salzburg verstärken, die auf die Koalition mit der FPÖ zunehmend mit Bauchgrimmen reagieren.
Ein Lebenszeichen, aber ein gutes?
Der Kanzler und seine Koalition müssen auch eine Richtungsentscheidung treffen: Wollen sie Österreich wirklich auf den Weg Richtung mehr direkte Demokratie schicken? Am Montagabend endete nicht nur die "Don't Smoke"-Kampagne, sondern auch das Frauen-Volksbegehren für mehr Gleichberechtigung und Frauenrechte, das fast eine halbe Million Stimmen einsammeln konnte. Auf rund 320.000 Stimmen kam die Initiative für die Abschaffung der Gebühren für den Öffentlich-Rechtlichen Rundfunk ORF. Alle drei Begehren werden also demnächst zumindest im Parlament behandelt. "Die Waffe der direkten Demokratie war ein wenig stumpf geworden in Österreich", urteilt Politikberater Thomas Hofer. "Das ist ein Lebenszeichen."
Eines, das Hofer mit gemischten Gefühlen vernimmt. "Bei aller Freude bei den Initiatoren: Es ist gefährlich, weil man Tür und Tor für eine plebiszitäre Demokratie öffnet. In Österreich gibt es eine gewisse Tradition, dass Volksbegehren für parteipolitische Zwecke missbraucht werden." Die Befürchtung liegt auf der Hand: Eine politische Landschaft, die von Stimmungen abhängig ist, könnte auf lange Sicht ein Vorteil für die Rechtspopulisten sein. Wenn ausgerechnet das Rauchervolksbegehren ein erster Schritt in diese Richtung wäre - was wäre das für eine Ironie.
Quelle: n-tv.de
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