Der Haushaltsstreit zwischen Rom und Brüssel ist ein eindrucksvolles Beispiel dafür, wie eine Krise herbeigeredet werden kann. Hierzulande lautet das gängige Narrativ so: Verantwortungslose Italiener werfen fröhlich Geld, das sie nicht haben, zum Fenster heraus. Weil sie damit Regeln verletzen und den immensen Schuldenberg weiter vergrößern, muss die EU ihnen mit Hilfe der Finanzmärkte Disziplin beibringen.
Derweil setzt die italienische Regierung aus Links- und Rechtspopulisten ebenfalls auf Eskalation. Ein Beispiel: Angelo Ciocca, ein Abgeordneter der rechten Lega im Europaparlament, griff sich nach einer Pressekonferenz der EU-Kommission in Straßburg die Notizen von Wirtschaftskommissar Pierre Moscovici und hieb mit einem seiner Schuhe auf sie ein.
All das ändert nichts daran, dass der italienische Haushalt sehr viel vernünftiger ist als er dargestellt wird. Die Italiener wollen für Wirtschaftswachstum sorgen und kalkulieren für das kommende Jahr mit einem Haushaltsdefizit von 2,4 Prozent des Bruttoinlandsprodukts (BIP). Das ist zwar dreimal höher als von der Vorgängerregierung versprochen, liegt aber im Grunde noch im grünen Bereich. Denn die so genannten Maastricht-Kriterien erlauben ein Defizit in Höhe von 3 Prozent.
Ein großes Problem ist dagegen die Gesamtverschuldung Italiens von rund 2,3 Billionen Euro. Das sind 132 Prozent des BIP, erlaubt sind nur 60 Prozent. Die EU verlangt, dass die italienische Regierung weniger Geld ausgibt, um den Schuldenberg abzubauen. Deshalb hat sie den Haushaltsentwurf zurückgewiesen. In der kommenden Woche muss Rom eine überarbeitete Version vorlegen. Es sieht allerdings nicht danach aus, dass die Koalition nachgeben wird.
Während die einen also auf dem Einhalten der im Maastricht-Vertrag festgelegten Grenzen bestehen, fordern die anderen Flexibilität. Die entscheidende Frage ist dabei nicht, wie hoch die Schulden Italiens in absoluten Zahlen sind. Entscheidend ist, wieviel Italien für Zinszahlungen und die Erneuerung von auslaufenden Krediten aufwenden muss und ob dafür die Einnahmen ausreichen. Derzeit kann die italienische Regierung den erforderlichen Schuldendienst leisten.
Damit das in Zukunft auch sicher der Fall ist, muss der Schuldenberg abgebaut werden. Das kann auf zweierlei Weise gelingen: Die absolute Höhe der Schulden sinkt - oder das Bruttoinlandsprodukt steigt.
Italien braucht Wachstum
Seit 2008 steckte Italien zweimal in einer Rezession. Für das vergangene Quartal meldeten die Statistiker Nullwachstum. Die Arbeitslosigkeit liegt bei mehr als zehn Prozent, bei den 15- bis 34-Jährigen bei fast 20 Prozent. Ein Sparkurs würde die Situation nicht erleichtern, sondern verschlimmern.
Italien ist dringend auf Wirtschaftswachstum angewiesen und braucht deshalb einen Konjunkturimpuls. Dabei sind Standard-Rezepte wie Investitionen in Infrastruktur oder Bildung sinnvoll. Nötig sind aber auch Maßnahmen, die schnell wirken.
Die von der Regierung angekündigten Steuersenkungen für Selbstständige und Handwerker, die wenig Umsatz machen, gehen in die richtige Richtung. Auch das umstrittene "Grundeinkommen" für Arbeitslose, arme Rentner und besonders Benachteiligte von monatlich 780 Euro ist nicht völlig abwegig. Es ergibt ökonomisch Sinn, Geringverdiener zu unterstützen. Denn das Geld geht an Menschen, die es ausgeben. Über die Art und Weise sowie die Höhe lässt sich dagegen diskutieren.
Vielleicht kommt es doch noch dazu, dass sich die EU auf Gespräche über geeignete und finanzierbare Maßnahmen einlässt. Hilfreich wäre es in diesem Zusammenhang, wenn die italienische Regierung die ambitionierten Wachstumsprognosen senkt, um das 2,4-Prozent-Defizit-Ziel wirklich einhalten zu können - und die Steuersenkungs- und Ausgabenpläne der Realität anpasst.
Das bisherige Gezerre hat bereits dazu geführt, dass die Renditen für italienische Staatsanleihen steigen. Für die EU-Kommission ist das ein Ausdruck dafür, dass die Finanzmärkte die italienische Regierung disziplinieren und auf Kurs bringen werden. Für die Regierung in Rom ist das Erpressung.
Die Konfrontation ist mit erheblichen Risiken verbunden: Sollte die drittgrößte Volkswirtschaft der Eurozone in Finanzierungsprobleme geraten, wird das der gesamte Währungsraum zu spüren bekommen.
Steigende Renditen bedeuten, dass die Kurse der Anleihen im Gegenzug fallen. Das erhöht den Druck auf italienische Banken, die knapp 70 Prozent der heimischen Staatsanleihen in ihren Büchern haben. Wenn sie die in erheblichem Maße abschreiben müssen, droht dem Euro-Raum eine ausgewachsene Bankenkrise.
Italien steckt nicht in einer Finanzkrise. Brüssel und Rom arbeiten gemeinsam daran, dass sich das ändert.
Quelle: n-tv.de
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