Es könnte die deutsche Personalie des Jahres 2019 werden. In Helsinki treffen sich in dieser Woche die bürgerlichen Parteien Europas und wählen ihren Spitzenkandidaten für die Europawahlen. Auf dem Kongress der Europäischen Volkspartei (EVP) wird der potenzielle Nachfolger für EU-Kommissionschef Jean-Claude Juncker bestimmt und zur Wahl stehen nur noch zwei Kandidaten: der CSU-Politiker Manfred Weber und der ehemalige finnische Regierungschef Alexander Stubb. In Deutschland hat es kaum einer für möglich gehalten, aber ausgerechnet der CSU-Politiker aus Niederbayern gilt als Favorit.
Weber hat - abseits der politischen Wirrungen von Berlin und München - in den vergangenen Wochen geschickt Europadiplomatie in eigener Sache betrieben und sich mit offizieller, aber unterkühlter Rückendeckung von Bundeskanzlerin Angela Merkel breite Unterstützung in den Mitgliedsstaaten gesichert. Ein Europa-Schwergewicht nach dem anderen, am Ende sogar der vielerorts favorisierte Brexit-Chefunterhändler Michel Barnier haben verzichtet. Und nun steht Weber, der bereits Vorsitzender der EVP-Fraktion im Europaparlament ist, kurz vor einem politischen Großdurchbruch.
Gelingt ihm die Nominierung, könnte Weber zum ersten Deutschen an der Spitze der EU seit Walter Hallstein in den 1960er-Jahren aufsteigen. Denn nach derzeitigen Umfragen wird die EVP auch nach den Europa-Wahlen im Mai wieder stärkste Parlamentsfraktion. Beste Aussichten also für Weber, wenn er jetzt in Helsinki obsiegt, nächster EU-Kommissionspräsident zu werden.
Mann der leisen Töne
Der 46-jährige Weber gilt als ein ungewöhnlich liberaler CSU-Politiker und dazu als ein konziliantes Naturell. Er wirkt klug und bedacht und leitete als ein Vordenker seiner Partei von 2009 bis 2014 die CSU-Grundsatzkommission. Wo sein finnischer Konkurrent, ein 50-jähriger Ironman-Triathlet mit ausgeprägtem Hang zur Selbstdarstellung, lautstark schwadroniert, wählt Weber eher die leisen Töne. Der studierte Ingenieur präsentiert sich den Europäern als freundlicher Versöhner: "Es gibt kein Europa von Ost und West, von Reich und Arm und kleinen und großen Ländern", verkündet er. Er wolle "die Interessen zusammenbringen" und "Brücken bauen". Sonst habe "Europa keine Chance in der heutigen Welt".
Weber hat allerdings zwei Nachteile im Wettstreit um das Amt des EU-Kommissionspräsidenten. Zum einen ist er Deutscher, muss also die Sorge vor einer Bevormundung durch das übermächtige Deutschland zerstreuen; zum anderen hat er keinerlei Regierungserfahrung. Der erste Nachteil wird dadurch gekontert, dass Angela Merkel den europäischen Partnern signalisiert, notfalls auf einen deutschen EZB-Präsidenten (der hoch respektierte Bundesbank-Präsident Jens Weidmann schien hier eigentlich gesetzt) zu verzichten, falls ein Deutscher EU-Kommissionspräsident werde.
Unterstützung von Orbán
Die fehlende Exekutiverfahrung macht Weber wiederum mit programmatischer Führung wett. Er gießt die Mehrheitspositionen der EVP - zur Freude seiner Parlamentskollegen - regelmäßig in präzise Forderungen. So kündigt Weber unmissverständlich an, er würde als Präsident der EU-Kommission die Gespräche über einen EU-Beitritt der Türkei beenden. Er wolle "eine enge Partnerschaft" zwischen der Türkei und Europa, "aber wir müssen klarmachen, dass eine Vollmitgliedschaft der Türkei nicht funktionieren kann".
Weber stellt sich mit seinen Positionen klar gegen den deutlich weiter links positionierten Stubb, der "die Verteidigung der europäischen Werte" ins Zentrum seiner Kampagne gerückt und sich zu einer offenen Konfrontation mit dem ungarischen Ministerpräsidenten Viktor Orbán entschieden hat. Weber dagegen hat zwar deutliche Kritik an Orbán geübt, ist aber zugleich bemüht, auch Nationalkonservative wie die ungarische Fidesz-Partei in der EVP zu halten. Orbán läßt nun wissen, dass seine Stimme Weber gehöre.
Auswirkung auf CSU-Machtarchitektur
Daraus versucht wiederum der Finne auf der Zielgeraden Kapital zu schlagen und fordert den Ausschluss Orbáns aus der EVP. "Wenn Viktor Orbán gesagt hätte, ich unterstütze Alexander Stubb, wäre das ein Todeskuss gewesen", sagt er. Für Weber sei das anders: "Er kommt aus einer etwas anderen Tradition als ich. Und offenkundig liegt Bayern viel näher an Ungarn als Finnland." Was Stubb nicht sagt: Webers Position ist keine Frage geografischer Nähe, sondern die Mehrheitsmeinung in der EVP.
Der Aufstieg Webers verändert nebenbei auch die Machtarchitektur der CSU. Da Horst Seehofer den CSU-Vorsitz alsbald niederlegen dürfte, gelten Markus Söder, Alexander Dobrindt und eben Manfred Weber als denkbare Nachfolge-Kandidaten. Weber aber nimmt sich mit einer Europa-Karriere nun selbst aus diesem Rennen, denn Artikel 9 im Verhaltenskodex der Europäischen Kommission schreibt vor, dass Kommissionsmitglieder zwar Mitglieder von politischen Parteien sein können, dort aber keine Führungsaufgaben übernehmen dürfen. Es wäre also nicht erlaubt, Kommissionspräsident und zugleich CSU-Vorsitzender zu sein.
Für Markus Söder ist das eine bequeme Regelung. Weber lobt er nach Brüssel, Dobrindt kann er demonstrativ die politische Macht der CSU in Berlin überlassen und selber ohne Widerstand den CSU-Vorsitz in München ergreifen.
Quelle: n-tv.de
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