Verachtet, diskriminiert, missbraucht

  09 Januar 2016    Gelesen: 1332
Verachtet, diskriminiert, missbraucht
Die Übergriffe auf Frauen in Köln sorgen seit Tagen für Schlagzeilen in Deutschland. In vielen arabischen Ländern gehört die sexuelle Belästigung zur Tagesordnung. Das liegt vor allem am patriarchalen Frauenbild.
KairoSo manchem fiel nach den Ereignissen in Köln und Hamburg sofort der Tahrir-Platz in Kairo ein. Was dort am 11. Februar 2011, am Abend des Rücktritts von Ägyptens Diktator Hosni Mubarak, mit dem Missbrauch der CBS-Journalistin Lara Logan durch dutzende junger Männer begann, wuchs sich in den folgenden Jahren zu regelmäßigen sexuellen Massenverbrechen gegen Frauen aus, an denen sich rasende Mobs von hunderten junger Täter beteiligten. „Es ist eine Schande“, schimpfte damals aus dem fernen Washington Hillary Clinton, sprach von einem „tief beunruhigenden Muster“ und nannte solche Exzesse „eines so großen Volkes unwürdig“.

Übergriffe gegen Frauen sind in Ägypten, aber auch anderen Nationen des Nahen Osten weit verbreitet, nicht nur auf öffentlichen Plätzen, auch im Alltagsleben und in den Familien. Von einem „sozialen Krebs“ spricht eine Studie des „Ägyptischen Zentrums für Frauenrechte“, nach der 83 Prozent der ägyptischen Frauen sexuelle Gewalt erleben, 46 Prozent sogar täglich – egal ob verschleiert oder unverschleiert.

„Ich werde Tag für Tag hundert Mal angemacht. Ich habe alles versucht, dies zu stoppen, aber es hört einfach nicht auf“, berichtete eine junge Frau, die als Verkäuferin arbeitet. „Ich trage weite Kleider, schminke mich nicht mehr, tue alles, um meinen Körper zu verbergen“. Einmal seien ihr zwei Männer gefolgt, „plötzlich packten sie mir vor aller Augen zwischen die Beine – ich schrie und rannte weg, keiner der Passanten griff ein“.

Ägypten sei eine männerdominierte Gesellschaft und „die Männer sehen es als ihr Recht an, Frauen anzugrapschen oder ihnen anzügliche Bemerkungen hinterher zu rufen“, sagt Shahira Amin, ehemalige Starmoderatorin des ägyptischen Fernsehen. In den überfüllten U-Bahnen oder Bussen haben die Täter leichtes Spiel.

Für Frauen ist die tägliche Fahrt zur Arbeit oft eine demütigende und nervenaufreibende Tortur – eindrucksvoll dokumentiert in dem populären Spielfilm „Cairo 678“. „Egal ob im Bus oder Minibus, jedes Mal fühle ich, wie eine Hand versucht, mich zu berühren“, berichtet eine junge Studentin. „Es kommt derart häufig vor, dass ich den Sitz hinter mir inzwischen ständig im Auge behalte – als wäre ich verrückt.”

Die Ursachen für solche Exzesse sexueller Gewalt sind vielfältig. Im Vordergrund stehen soziale Gründe wie „Armut, Arbeitslosigkeit und Mangel an Lebenschancen“, erläutert Said Sadek, Professor für Soziologie an der Amerikanischen Universität in Kairo. Auf dem hart umkämpften Arbeitsmarkt betrachteten Männer die Frauen als unliebsame Konkurrenten und machten ihnen deshalb das Leben in der Öffentlichkeit schwer. Viele Täter seien junge Arbeitslose, die die hohen Kosten für eine Hochzeit nicht aufbringen könnten. „Sie sehen in diesen Übergriffen für sich die einzige Möglichkeit, ihre Sexualität auszuleben.“

Die tieferen Wurzeln jedoch liegen in dem traditionellen Frauenbild der arabischen Welt und ihrer autoritären, patriarchalischen Mentalität, für die eine systematische Verachtung von Frauen selbstverständlich ist. Männer weigern sich in der Schule, mit den Lehrerinnen ihrer Kinder zu sprechen. Wohnungen sind überfüllt, Väter oder Onkel daheim nahezu unbeschränkte Herrscher, die sexuelle Übergriffe für ihr gutes Recht halten.

Mädchen und junge Frauen dagegen wagen es nicht, ihre Peiniger aus der Verwandtschaft anzuzeigen. „In patriarchalischen Gesellschaften werden bei Vergewaltigungen nicht die Täter bestraft, sondern die Opfer“, erläutert Hoda Zakaria, Professorin für politische Soziologie an der Universität von Zaqaziq, die einen Dokumentarfilm zu dem Thema drehte.

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