Zentralrat-Chef der Muslime in Deutschland: „Neue Dimension des Hasses“

  12 Januar 2016    Gelesen: 603
Zentralrat-Chef der Muslime in Deutschland: „Neue Dimension des Hasses“
Nach dem Skandal-Silvester in Köln werden die in Deutschland lebenden Muslime immer häufiger Opfer von Anfeindungen und rechten Angriffen. „Man darf sich nicht von einem braunen Mob treiben lassen“, sagt nun der Vorsitzende des Zentralrats der Muslime in Deutschland, Aiman Mazyek. Ein Interview.



Herr Aiman Mazyek, nach den Übergriffen in Köln am Silvesterabend beklagen Sie nun eine "neue Dimension des Hasses" in Deutschland. Können Sie das erläutern, wie äußert sich das genau?

Das äußert sich dadurch, dass die Mails mit Hassbotschaften sich zum Teil verzehnfacht haben oder sogar noch mehr. Die Drohanrufe sind gestiegen, es gab eine ganze Reihe von Briefen. Das sind die ersten Erkennungszeichen. Und natürlich auch die allgemeine Stimmung, die man zum Beispiel bei größeren Versammlungen spürt, oder wie sie in Köln am Wochenende war.

Sie haben es gerade angesprochen: In Köln hatte es am Wochenende Angriffe auf Ausländer gegeben. Kann man in diesem Zusammenhang auch von einer neuen Angst sprechen, die Muslime in Deutschland jetzt haben?

Die haben sie schon vorher gehabt. Weil wir nach solchen Anschlägen, wie in Paris im vergangenen Jahr, immer wieder solche Ausfälle gehabt haben. Besorgniserregend ist nun, dass nach der Silvesternacht zum Teil Brandbeschleuniger verbaler Art auch in den Medien Gehör gefunden haben. Diese haben eben einen falschen Zusammenhang zu der Tatsache gezogen, dass die Menschen aus dem Herkunftsland Nordafrika stammen. Dann wurde ein Zusammenhang mit der Religion, der Nation oder der Rasse vorgenommen. Und das ist hochgefährlich. Weil Kriminelle nicht entscheiden, woher sie kommen. Sie müssen verurteilt werden für das, was sie getan haben. Und diese Diskussion ist uns da ein bisschen aus dem Ruder gelaufen.

Nachdem sich in der vergangenen Woche bereits Bundesinnenminister de Maizière geäußert hatte, ist nun auch NRW-Innenminister Jäger vor die Kameras getreten. Beide geben der Polizei eine massive Mitschuld an den Vorkommnissen vom Silvesterabend. Sehen Sie einen bestimmten Schuldigen oder mehrere Schuldige?


Möglicherweise gab es da eine Unterschätzung. Man sollte beim nächsten Mal darauf achten, dass man an Bahnhöfen und öffentlichen Plätzen noch einmal verstärkt polizeiliche Massierungen vornimmt. Ich hatte auch den Vorschlag gemacht, dass man noch einmal nachdenkt dafür zu werben, mehr Menschen mit Migrationshintergrund in den Polizeidienst zu stellen. Auch das kann sicherlich deeskalierend wirken und auch bei den Kriminellen für eine gewisse Ernüchterung sorgen.

Wie muss denn, Ihrer Meinung nach, die Politik jetzt im Folgenden agieren? Es wurden Gesetzesvorschläge ins Rennen geschickt, die SPD will mehr Einsatzkräfte auf die Straßen bringen. Wie muss es weitergehen?

Man muss jetzt Besonnenheit zeigen und sich nicht von einem braunen Mob treiben lassen, der sich insbesondere im Internet und den sogenannten sozialen Netzwerken breit macht. Und der ein Stück weit auch Teile der Politik und auch der Medien vor sich her treibt. Wir müssen aufpassen, dass wir nicht Getriebene werden, sondern Herr der Lage. Wenn man von der "Herrschaft des Rechts" spricht, ist da auch mit gemeint, dass man sich nicht zum Treibenden machen lässt.

Nun sagen Sie, man darf Muslime natürlich nicht unter Generalverdacht stellen. Ihr Verband will auch den zunehmenden Ressentiments mit Aufklärung und Besonnenheit entgegentreten. Wie muss man sich das konkret vorstellen?

Man muss Muslime weiter anhören. Wir sind zurzeit doppelt betroffen: Abgesehen davon, dass es im Islam eine Todsünde ist, Frauen zu belästigen, oder gar zu vergewaltigen. Wir erleben ja gerade, dass durch diesen falschen Zusammenhang zur Religion Menschen unter Generalverdacht gestellt werden — obwohl sie durch diese Kriminellen genauso bedroht sind. Das zu thematisieren wäre wichtig. Und das machen Sie auch hier in diesem Interview und das nehme ich dann auch zum Anlass, darüber zu reden. Man muss noch einmal deutlich machen, dass wir da in einem Boot sitzen und nicht in zwei verschiedenen Lagern. Wir haben kein Interesse, das so etwas passiert, im Gegenteil, wir verurteilen das aufs Schärfste. Und wir sollten gemeinsam gegen Hassbotschaften vorgehen.

Wie sprechen Sie in diesem Zusammenhang mit den Muslimen hier in Deutschland? Es geht ja immer wieder um das Stichwort "Multikulti", da müssen ja natürlich auch beide Seiten etwas dafür tun.

Das leisten auch beide Seiten. Ich glaube, es geht nicht um die Auflistung irgendwelcher Bringschuldigkeiten, sondern Muslime müssen auch Präsenz zeigen, müssen deutlich machen, wofür sie stehen. Trotz der Angst, die sie haben. Viele sagen ja, sie könnten gut darauf verzichten, sich öffentlich zu positionieren, weil dies einen Shitstorm und Hassbotschaften nach sich ziehen könnte. Das kann ich verstehen, aber trotzdem müssen wir uns jetzt nicht in unsere Schneckenhäuser verkriechen, sondern Gesicht zeigen.

Am Samstag hatte die Polizei in Köln Ausschreitungen verhindert, als Rechtsextremisten und Pegida dort aufmarschiert waren. Die Stimmung kocht aktuell sehr hoch. Mit welchen Gefühlen blicken Sie auf das Jahr 2016 und auch die nächsten Monate?

Man muss zum Teil schon sagen, dass das neue Jahr so beginnt, wie das alte Jahr aufgehört hat. Ich habe wirklich sehr gemischte Gefühle. Und man versucht auch da, seine Kräfte zu mobilisieren, um sich einzubringen und einzusetzen. Man darf das große Ziel nicht aus dem Auge verlieren, nämlich dass dieser Keil zwischen den verschiedenen Konfessionen nicht noch größer wird. Wir müssen da zusammenstehen. Und wie wir das machen, wie wir das organisieren, das beschäftigt mich momentan sehr stark.






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