Im Internet zeigt sich Ana Caroline Campagnolo, 27, gern mit einem Gewehr im Arm. Doch ihre Lieblingswaffe ist das Handy: Mit Mobiltelefonen sollten Brasiliens Schüler ihre Lehrer filmen, wenn diese im Unterricht "politisch oder parteilich gefärbte Kritik" am gewählten rechtsextremen Präsidenten Jair Bolsonaro übten, empfahl die junge Frau Ende Oktober auf ihrer Facebook-Seite.
Die Schüler sollten den Namen des Lehrers, das Datum und den Ort der Schule notieren und das Material an ihre Mitarbeiter schicken. Seit Jahren kämpft Campagnolo dafür, aus ihrer Sicht linksideologisch geprägten Unterrichtsstoff und Sexualkunde, die gegen "Sitte und Anstand" verstößt, aus Brasiliens Schulen zu verbannen.
Früher wurde sie dafür als rechtsextreme Außenseiterin belächelt. Doch im Oktober wurde die glühende Bolsonaro-Anhängerin als Abgeordnete in das Regionalparlament von Santa Catarina gewählt. Jetzt ist sie als Bildungsministerin des südbrasilianischen Bundesstaats im Gespräch.
Hexenjagd auf alles vermeintlich Linke
"Escola sem partido" (Parteilose Schule) nennt sich das Konzept einer vorgeblich "ideologiefreien Erziehung", das Campagnolo und ihre Anhänger propagieren. Unter Bolsonaro soll die Hexenjagd auf alles vermeintlich Linke Regierungspolitik werden. Der Ex-Militär will den ultrakonservativen Philosophieprofessor Ricardo Vélez Rodríguez zum Bildungsminister ernennen, einen gebürtigen Kolumbianer, der die Idee der "parteilosen Schule" mitentwickelt hat.
Der öffentliche Aufruf zum Denunziantentum ist Teil einer rechten Revolution, mit der Brasiliens gewählter Präsident die staatlichen Schulen und Universitäten ideologisch umkrempeln will. Denn die Bildungsinstitutionen gelten als Hochburgen des Widerstands gegen Bolsonaro. Während des Wahlkampfs war es an den Unis zu Krawallen zwischen seinen Anhängern und eher linken Studenten gekommen.
Religiöse Fundamentalisten, die in der zukünftigen Regierung Bolsonaro über großen Einfluss verfügen, treiben das Projekt "Escola sem partido" voran. Der zukünftige Bildungsminister gehört dem konservativen Flügel der katholischen Kirche an; zu den engsten Vertrauten Bolsonaros, der selbst Katholik ist, zählen ultrarechte evangelikale Prediger.
Den Fundamentalisten geht es nicht nur um die Bekämpfung vermeintlich linken Gedankenguts, sie wollen vor allem Sexualkunde und Genderthemen aus dem Unterricht verbannen. "Sie glauben, dass die Genderdiskussion Teufelswerk ist", sagt die Historikerin Marlene de Fáveri.
Die angesehene Geschichtsprofessorin ist das erste Opfer der Hexenjagd. Vor fünf Jahren hatte sie zugestimmt, die Masterarbeit der damaligen Studentin Campagnolo zu betreuen. Thema: "Die Geschichte der Geschlechter". Doch die streng katholische Studentin überwarf sich rasch mit ihrer Professorin: Sie warf ihr öffentlich vor, feministische Thesen zu propagieren und die Geschlechterdiskussion zu ideologisieren.
"Eklat von Anfang an geplant"
Schließlich verklagte sie ihre Professorin wegen "ideologischer Verfolgung und religiöser Diskriminierung" vor Gericht. Als Beleg zitierte sie ein Buch der deutschen Theologin und Feministin Uta Ranke-Heinemann, das de Fáveri ihr zur Lektüre empfohlen hatte.
Campagnolo verlor den Prozess zwar, aber sie hatte ihr Ziel erreicht: Der Streit machte Schlagzeilen, sie wurde im ganzen Land bekannt. "Sie hatte den Eklat von Anfang an geplant", glaubt de Fáveri. "Es war der Beginn ihrer politischen Karriere."
Im Juli trat Campagnolo als Gastrednerin auf dem "Ersten Antifeminismus Kongress" in Rio de Janeiro auf, der von einer ehemaligen Frauenrechtlerin organisiert wurde, die zur extremen Rechten übergelaufen war. Bei der Veranstaltung im Nebensaal einer Kirche ging es vor allem um den Kampf gegen die Abtreibung. Gleichzeitig machten die ultrarechten Frauen Wahlkampf: Vor dem Eingang verkauften sie Bolsonaro-T-Shirts.
Angst vor Übergriffen
"Als nächstes werden die Bolsonaro-Leute dafür eintreten, dass die Evolutionstheorie aus dem Unterricht verbannt wird", fürchtet Historikerin De Fáveri. Seit 28 Jahren lehrt sie an der Bundesuniversität von Santa Catarina in Florianópolis. Sie ist Verfasserin eines mehrfach ausgezeichneten Standardwerks über die Nazi-Vergangenheit des Bundesstaats. Faschistisches Gedankengut war unter den zahlreichen Deutschstämmigen in Santa Catarina weit verbreitet, die NSDAP eröffnete in der Stadt Blumenau sogar ein eigenes Auslandsbüro.
Unter Bolsonaro gilt Santa Catarina nun als ein Testlabor für die rechte Revolution. Bei der Präsidentschaftswahl holte der Ex-Militär in dem Bundesstaat über 70 Prozent. "Kollegen von mir wurden von Bolsonaro-Anhängern verprügelt, weil sie ein rotes Hemd trugen", sagt De Fáveri.
Die Professorin hat jetzt auch Angst vor tätlichen Übergriffen. "Ich dachte, unsere Demokratie wäre gefestigt", sagt sie. "Doch sie ist viel zerbrechlicher, als ich angenommen habe".
Quelle : spiegel.de
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