Schauprozess gegen Nadja Sawtschenko: Russlands wichtigste Gefangene

  12 Januar 2016    Gelesen: 1052
Schauprozess gegen Nadja Sawtschenko: Russlands wichtigste Gefangene
Seit anderthalb Jahren sitzt die ukrainische Soldatin Sawtschenko in russischer Haft. Moskau stellt sie als kaltblütige Mörderin dar, die schuld sei am Tod russischer Reporter. Doch die Anklage verstrickt sich immer tiefer in Widersprüche.
Das Untersuchungsgefängnis Nummer 3 liegt am Rande der südrussischen Stadt Nowotscherkassk, ausgerechnet an der Ukraine-Straße. Hinter roten Backsteinmauern wartet Russlands wichtigste Gefangene auf ihr Urteil. Sie heißt Nadja Sawtschenko, stammt aus Kiew und ist Oberleutnant der ukrainischen Streitkräfte.

An Sawtschenko scheiden sich die Geister: Viele Ukrainer sehen in ihr ein Symbol des Widerstands gegen Putins aggressives Russland. Sawtschenko sagt, sie wolle "lieber in der Ukraine sterben, als in Russland leben zu müssen". Moskau stellt sie dagegen als heimtückische Mörderin dar.
Seit Sommer 2014 sitzt Sawtschenko in Haft, seit Sommer 2015 wird ihr der Prozess gemacht. Die Anklage lautet auf Beihilfe zum Mord an zwei Journalisten des russischen Staatsfernsehens. Anton Woloschin und Igor Korneljuk waren am 17. Juni 2014 in der Nähe der ostukrainischen Separatistenhochburg Luhansk getötet worden, durch Artilleriebeschuss der ukrainischen Armee.

Sawtschenko wurde am gleichen Tag in der Nähe gefasst. Russische Medien und Justiz legten sich fest, sie habe das Geschützfeuer gezielt auf die Reporter gelenkt. "Getötet für die Wahrheit: In der Ukraine geht die Jagd auf Journalisten weiter", titelte das Moskauer Massenblatt "Argumenty i Fakty" damals. Der zum Gazprom-Imperium gehörende Sender NTW sprach von "gezieltem, zynischem Mord".

In dem Gerichtsverfahren drohen Sawtschenko bis zu 25 Jahre Haft. Prozess und Urteil sind für den Kreml von Bedeutung. Sie sollen die These stützen, Kiew führe in der Ostukraine einen verbrecherischen Krieg, Russlands Unterstützung für die Separatisten sei moralisch gerechtfertigt. Gegen mehrere ukrainische Spitzenpolitiker hat die russische Justiz Verfahren wegen "verbotener Methoden der Kriegsführung" eröffnet. Vor Gericht stellen konnte sie nur Sawtschenko.

Anklage verstrickt sich in Widersprüche

Je länger der Prozess dauert, desto tiefer verstrickt sich die russische Seite in Widersprüche. Daten von Sawtschenkos Mobiltelefon belegen, dass sie zum Zeitpunkt des Angriffs auf die Reporter bereits in Gefangenschaft auf einem Separatisten-Stützpunkt war.

Sawtschenko wirft dem russischen Geheimdienst vor, sie aus der Ostukraine nach Russland verschleppt zu haben. Moskau bestreitet das, sie sei freiwillig über die Grenze und habe sich als Flüchtling ausgegeben, nachdem die Separatisten sie am 23. Juni hätten laufen lassen.

Glaubwürdig ist das nicht: Geiseln sind wertvoll, die Separatisten tauschen sie aus gegen in Gefangenschaft geratene Kameraden. Den Rebellen war auch klar, dass ihnen ein dicker Fisch ins Netz gegangen war. Am 19. Juni berichtete der Sender NTW, Sawtschenko werde verdächtigt, das Feuer auf die russischen Reporter gelenkt zu haben. Hinzu kommt: Sawtschenko hat in der Ukraine einen bekannten Namen. Sie hat vor Jahren eine Pilotenausbildung beim Militär absolviert, als erste Frau in der Ukraine. Sie war mehrfach Gast im Fernsehen.

Alexander Bastrykin, Chef des russischen Ermittlungskomitees und Studienfreund von Präsident Putin, beteuert unverdrossen, Sawtschenko habe sich tagelang frei auf russischem Territorium bewegt. Sie habe Sabotageakte geplant und sei "erst am vierten Tag, also am 30. Juni", festgenommen worden. Aus den Gerichtsakten geht aber hervor, dass Sawtschenko bereits am 25. Juni verhört wurde, von einem Untergebenen Bastrykins.

Die Belege für einen gezielten Schlag gegen die Journalisten sind dünn. Die Geschosse schlugen an einem Checkpoint der Separatisten ein, mit denen das russische Team unterwegs war. Kurz nach dem Angriff berichtete der Taxifahrer der Reporter von mindestens zehn Separatisten, die ebenfalls getroffen wurden. Erst vor Gericht behauptete er plötzlich, den Angriff gar nicht gesehen zu haben.

Ihr Verteidiger: Pussy-Riot-Anwalt Mark Feigin

Verteidigt wird die Ukrainerin von Mark Feigin, er war früher Anwalt der Protest-Guerilla-Gruppe Pussy Riot. Feigin sieht Parallelen. Wie damals handele es sich um einen Schauprozess, der Schuldspruch stehe lange fest. "Wir können nicht gewinnen", sagt Feigin. "Aber wir können Nadja retten." Um das zu erreichen, hat er eine Strategie gewählt wie damals bei Pussy Riot - er mobilisiert die Weltöffentlichkeit. Feigin hofft, dass der Kreml unter Druck aus dem Ausland einem Gefangenenaustausch zustimmt. In Kiew sitzen zwei russische Offiziere in Haft.

Die Verteidigung hat die Kampagne #FreeSavchenko ins Leben gerufen. Der ukrainische Präsident Petro Poroschenko hat der Gefangenen den Ehrentitel "Heldin der Ukraine" verliehen, die staatliche Post hat eine Sondermarke herausgegeben für "unsere Nadja". Feigin ist mit Sawtschenkos Mutter zu Samantha Power geflogen, der Uno-Botschafterin der Vereinigten Staaten, EU-Außenbeauftragte Federica Mogherini hat eine Freilassung gefordert. Als das EU-Parlament die Liste der Kandidaten für den Sacharow-Preis 2015 veröffentlichte, stand auch die Soldatin Sawtschenko darauf, obwohl im Namen des Russen Sacharows eigentlich Verdienste um Menschenrechte und Meinungsfreiheit ausgezeichnet werden.
Die Verklärung ist eine Taktik. Unter ehemaligen Kameraden ist Sawtschenko umstritten. Während ihrer Armeezeit war sie Teil des ukrainischen Kontingents im Irak. Zwei ihrer damaligen Kameraden bezeichneten ihre Dienstzeit damals als "skandalbehaftet". Sawtschenko sei aggressiv aufgefallen, sie habe "kaum erwarten können, endlich rumzuballern". Ihr Spitzname war Kugel. Im März 2005 entfernte sie sich nachts unerlaubt von der Truppe und wurde mit mehreren Granaten im Rucksack aufgegriffen. Kurz darauf kehrte sie zurück in die Ukraine.

Sawtschenkos Anwalt sagt, seine Mandantin sei ohne Zweifel ein komplizierter Mensch, aber auch ein starker Charakter: "Wäre sie es nicht, die anderthalb Jahre im russischen Gefängnis hätten sie längst gebrochen." Russlands Geheimdienst habe sie in der Haft bearbeitet. Man habe ihr eine Frau als Zellengenossin zuweisen wollen, die sie zur Kooperation mit der Justiz habe überreden wollen. Feigin sagt, Sawtschenko habe gedroht, der Frau die Augen auszukratzen: "Seitdem lassen sie sie in Ruhe."

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