Als Christian Prokop den Presseraum in den Katakomben der Arena am Berliner Ostbahnhof enterte, versprühte er jene Leichtigkeit, die von Menschen Besitz ergreift, die mit sich im Reinen sind. Der Bundestrainer hüpfte auf das Podium, klatschte seinen Kollegen Didier Dinart ab und legte dann, als sein Statement gefragt war, richtig los: "Danke Berlin, das war heute eine Wahnsinns-Atmosphäre. Wir sind überglücklich, dass wir dem aktuellen Weltmeister einen Punkt abknüpfen konnten." Eigentlich gehören Pressekonferenzen - das betont Prokop immer wieder gern - zu den lästigen Pflichtaufgaben, die der Trainer des wichtigsten Handballteams der Nation, nun mal zu absolvieren hat.
Doch an diesem Abend war der gebürtige Köthener richtiggehend in Spiellaune. Bei seinen Aussagen war in den Augen von Prokop ein Funkeln zu sehen, das verdeutlichte, dass der 40-Jährige jede Silbe genauso meinte. Die Sache mit dem Punktgewinn konnte man durchaus so sehen, nach dem höchst intensiv voller Leidenschaft geführten Schlagabtausch mit dem Titelverteidiger, das nach dramatischem Spielverlauf mit einem 25:25 (12:10) geendet hatte.
Man hätte allerdings als Vertreter der deutschen Nationalmannschaft auch durchaus zu dem Urteil gelangen können, den Sieg leichtfertig hergeschenkt zu haben, nachdem Gensheimer, Wolff und Co. in der Schlussphase mit zwei Treffern Vorsprung geführt hatten, um dann den doppelten Punktgewinn doch noch mit einem Gegentreffer mit der Schlusssirene aus der Hand zu geben.
Hanning: "beste Leistung unter Prokop"
Doch auf dieses Gefühlskino mochte sich Prokop gar nicht erst einlassen. Stattdessen lobte er seine Mannschaft über den grünen Klee, hob "die emotionalen und die Kampfwerte" hervor, "die entscheidend sind, um solch ein Spiel zu gewinnen". Da war es schon wieder, das Remis, das sich anfühlte wie ein Sieg. Bob Hanning, Vizepräsident des Deutschen Handball-Bunds (DHB) hatte "die beste Leistung der Mannschaft" gesehen, "seit Christian Prokop die Nationalmannschaft übernommen hat".
Der Bundestrainer gab das Lob gerne weiter und rühmte die enorm starke Defensive um die beiden überragenden Hendrik Pekeler und Patrick Wiencek im Mittelblock und mochte auch den Stab nicht über seinem linken Rückraumangreifer Fabian Böhm brechen, der in der dramatischen Schlussphase zur tragischen Figur geworden war. Der 29-Jährige vom TSV Hannover-Burgdorf hatte das deutsche Angriffsspiel in der zweiten Halbzeit spürbar belebt, um dann in den entscheidenden Momenten gleich drei Fehlleistungen in Reihe zu produzieren, die letztendlich den Sieg kosteten: Zunächst scheiterte er völlig freistehend am französischen Keeper Vincent Gerard, produzierte im folgenden Angriff einen Fehlpass und holte sich zu allem Überfluss auch noch eine Zwei-Minuten-Strafe ab. Vor allem der Fauxpas, seinen Nebenmann Uwe Gensheimer beim Anspiel nicht gefunden zu haben, wurmte den baumlangen Kerl: "Da habe ich zu zaghaft gespielt, es war ein blödes Missverständnis, das ich auf meine Kappe nehmen muss."
Kämpferisch stark
Doch selbst bei Böhm überwogen die positiven Eindrücke nach 60 Minuten, die mit mehr Tempo und Intensität kaum geführt hätten werden können. Er sprach von einem "sehr, sehr guten Auftritt, er gibt uns ein sehr, sehr gutes Gefühl für den weiteren Turnierverlauf." Es war vor allem die kämpferische Attitüde, mit der die deutschen Akteure zu Werke gingen, die sämtliche Beobachter begeisterte. Bei jeder gelungenen Abwehrhandlung sprang die gesamte Bank auf, als sei gerade ein entscheidender Treffer gefallen. "Wir haben von der ersten Minute an Vollgas gegeben", betonte Kreisläufer Jannik Kohlbacher: "Du hast bei jedem das Feuer in den Augen gesehen. Das macht Bock auf mehr." Sein Kollege Böhm sprach von der "Mega-Thermik in der Halle".
Wenn die alte Sportlerweisheit, nach der die Offensive Spiele und die Defensive Turniere gewinnt, tatsächlich zutreffen sollte, müssen sämtliche Titelanwärter von nun an die deutsche Mannschaft auf dem Radar haben. Zumal an einem bemerkenswerten Tag neben der tollen Vorstellung gegen die Franzosen noch der glückliche Umstand hinzukam, dass die Brasilianer gegen Russland gewonnen hatten. Ein aus deutscher Perspektive wunderbares Ergebnis, denn nun wird es voraussichtlich so kommen, dass die unglückliche Punkteteilung gegen die Russen als belangloser Betriebsunfall abgehakt werden kann, weil die Zähler aus dieser Begegnung nicht mit in die Zwischenrunde genommen werden. Das unverhoffte Geschenk rundete einen schönen Abend ab, DHB- Präsident Andreas Michelmann wähnte die deutsche Mannschaft gar vom Handball-Gott begünstigt: "Das war Beistand von oben", sagte der Kommunalpolitiker aus Aschersleben in Sachsen-Anhalt.
Die Deutschen werden nach dem abschließenden Vorrundenspiel am Donnerstag gegen Serbien (ab 18 Uhr im Liveticker bei n-tv.de) voraussichtlich mit nur einem Minuspunkt und drei Punkten auf der Habenseite zur Zwischenrunde in Köln aufbrechen. Selbst der Umstand, in den beiden zurückliegenden Begegnungen aufgrund fehlender Cleverness zwei Mal den Sieg verschenkt zu haben, mochte die allgemeine Hochstimmung nicht trüben. "Ist doch schön“, verkündete Kohlbacher mit einem Grinsen, „wenn da noch was ist, wo du dich verbessern kannst." Sein Chef macht sich ebenfalls keine Sorgen: "Irgendwann werden wir uns belohnen", sagte Christian Prokop, bevor er in der Berliner Nacht verschwand: "Das ist doch glasklar."
Quelle: n-tv.de
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