Mit Blick auf den den Holocaust-Gedenktag an diesem Sonntag hat sich Bundesaußenminister Heiko Maas für ein Umdenken in der Aufarbeitung der jüngeren deutschen Vergangenheit ausgesprochen. "Unsere Erinnerungskultur bröckelt, sie steht unter Druck von extremen Rechten", warnte Maas in einem Gastbeitrag für die "Welt am Sonntag".
"Umso gefährlicher ist das Unwissen gerade der jungen Deutschen", betonte der SPD-Politiker. Ein Anteil von 40 Prozent der jungen Deutschen wüsste eigener Einschätzung zufolge kaum etwas über den Holocaust, schrieb Maas. "Das sind schockierende Zahlen, die wir nicht tatenlos hinnehmen dürfen."
"Wer heute geboren ist, für den ist etwa die Pogromnacht zeitlich genauso weit entfernt wie bei meiner Geburt ein Reichskanzler Bismarck", schrieb Maas weiter. Das verändere das Gedenken und schaffe mehr Distanz. Nötig seien neue Ansätze, um historische Erfahrungen für die Gegenwart zu nutzen. "Unsere Geschichte muss von einem Erinnerungs- noch stärker zu einem Erkenntnisprojekt werden", mahnte Maas.
Wiesenthal-Zentrum lobt Deutschland
Der Holocaust-Gedenktag wird jedes Jahr am 27. Januar begangen, dem Jahrestag der Befreiung des Vernichtungslagers Auschwitz-Birkenau. Sowjetische Truppen hatten das Lager an jenem Tag im letzten Kriegsjahr 1945 erreicht. Die Befreiung des Lagers jährt sich im kommenden Jahr zum 75. Mal. Am Holocaust-Gedenktag wird der sechs Millionen ermordeten europäischen Juden gedacht, der Sinti und Roma, der Zwangsarbeiter und der vielen anderen Opfer des Nationalsozialismus.
Bundeskanzlerin Angela Merkel rief anlässlich des Gedenktags dazu auf, null Toleranz gegenüber Antisemitismus und Hass zu zeigen. "Dieser Tag lässt uns daran erinnern, was Rassenwahn, Hass und Menschenfeindlichkeit anrichten können", sagte Merkel.
Das Wiesenthal-Zentrum hob zuletzt ausdrücklich den Einsatz der deutschen Justiz gegen NS-Verbrecher in den vergangenen Jahren positiv hervor. In dem Jahresbericht des Zentrums, der zum Internationalen Holocaust-Gedenktag veröffentlicht wurde, ist die Rede von "erheblichen Fortschritten vor allem in Deutschland". Schlechte Noten bekamen dagegen Länder wie Norwegen, Schweden, Österreich, Litauen und die Ukraine.
In Deutschland gebe es seit knapp einem Jahrzehnt eine "dramatische Veränderung" in der Strafverfolgung von NS-Verbrechern, heißt es in dem Bericht. Seit dem Urteil gegen den KZ-Aufseher John Demjanjuk 2011 besteht die Justiz nicht mehr auf dem oft unmöglichen Nachweis individueller Schuld. Es reicht der Beweis, dass eine Person in einem Nazi-Todeslager oder in den Einsatzgruppen gedient hat. Das 1977 gegründete Wiesenthal-Zentrum ist mit der weltweiten Suche nach untergetauchten Nazi-Verbrechern und Kollaborateuren bekannt geworden.
Der Bericht bezieht sich auf den Zeitraum vom 1. April 2017 bis zum 31. März 2018. In der Zeit habe Kanada einem ehemaligen Mitglied der "Einsatzgruppe D" die Staatsangehörigkeit entzogen. Helmut Oberlander, der am Massenmord an Juden in der südlichen Ukraine beteiligt gewesen sein soll, hat die Entscheidung inzwischen angefochten. In Deutschland seien in dem Zeitraum drei Klagen eingereicht worden und in Polen ein Auslieferungsgesuch. Seit Anfang 2001 habe es damit insgesamt 105 Verurteilungen von NS-Verbrechern gegeben, die meisten davon in Italien (46) und in den USA (39). In dem Zeitraum sei in 105 Fällen Anklage erhoben worden.
Durch die längere Lebenserwartung und die gute medizinische Versorgung sei es möglich, auch ältere NS-Verbrecher zur Verantwortung zu ziehen, heißt es im Jahresbericht des Wiesenthal-Zentrums weiter. Dies gelte vor allem für Länder wie Deutschland und Österreich. Dort lebten die meisten Personen, die während des Zweiten Weltkriegs Verbrechen begangen hätten.
Quelle: n-tv.de
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