Statt Applaus verdient Merkel Pfui- und Buhrufe

  20 Februar 2019    Gelesen: 1040
  Statt Applaus verdient Merkel Pfui- und Buhrufe

Der Vizedirektor des Moskauer Europa-Instituts, Wladislaw Below, hätte der Rede Angela Merkels auf der Münchner Sicherheitskonferenz, die weitgehend als politisches Testament der scheidenden Bundeskanzlerin aufgefasst wird, nicht bloß zugejubelt, sondern einige von ihren Äußerungen mit Pfui- und Buhrufe bestraft.

„Es war unangenehm, Angela Merkel zuzuhören“, sagte er während der Videokonferenz Moskau-Berlin mit russischen und deutschen Experten in der Nachrichtenagentur „Rossiya Segodnya“, „als sie Russland als ein Land nannte, das in der heutigen polyzentrischen Welt Probleme erzeugt, indem es angeblich rote Linien überschreitet. Damit meinte sie die Einmischung in die Angelegenheiten anderer Länder, die Ukraine, Syrien usw. „Der Terrorismus sei laut Merkel nur das zweitwichtigste Problem nach Russland. Wie ist das möglich? In welchem Raum befinden wir uns?“, fragte der Experte.

Dennoch ist Merkels Verteidigung der deutsch-russischen Gasleitung Nord Stream 2 bei Below gut angekommen. „Sie gab Trump quasi ein Signal. Worin besteht hier das Problem? Etwa, dass Gaslieferungen über Nord Stream erfolgen, oder generell, dass Gas nach Deutschland geliefert wird? Worin äußert sich die Abhängigkeit Deutschlands von Russland? Deutschland besitzt laut Merkel große Kapazitäten für Flüssiggas. Vorläufig wird es aber nicht in dem Umfang angeliefert, in dem Deutschland es empfangen könnte.“

Imponierend fand der Deutschland-Experte auch Merkels Feststellung, Europa habe seine eigene Souveränität und seine eigenen Sicherheitsinteressen, und es werde sie durchsetzen. Im Rahmen der transatlantischen Solidarität, sprich der Nato, versteht es sich. „Es liege auch eine Trumpisierung der Außenpolitik vor, meinte Merkel.“ In München, so Below, waren zwei Amerikas vertreten: „Auf der einen Seite das von dem Soldatentyp Trumps Vize Mike Pence, auf der anderen — von Joe Biden, der im Klartext gesagt hat: Wir werden gemeinsam handeln. Da ist die aktuelle US-Administration. Und da ist aber auch ein anderes Amerika, das Perspektiven für die Zusammenarbeit mit Europa sieht.“

Alexej Fenenko von der Fakultät für Weltpolitik der Moskauer Lomonossow-Universität wies darauf hin, dass Russland und der Westen längst eine unterschiedliche psychologische Wahrnehmung von Gefahren entwickelt hätten. „Nach Jugoslawien und dann nach dem Irak und Georgien kam man in Russland zur Einsicht, dass die militärische Gewalt die prioritären Positionen bei der Lösung aller Weltprobleme zurückerobert hat.“

Im Zusammenhang damit, dass die Länder Osteuropas die Politik nicht Deutschlands und Frankreichs, sondern der USA unterstützen, betonte der Experte: „Diese Länder stellen das eigentliche Bollwerk des amerikanischen Einflusses in Europa und einen Puffer gegen Russland dar. Was wir Angela Merkel vorzuwerfen haben, ist, dass sie es akzeptiert hat, gegenüber Russland die Politik dieses osteuropäischen russlandfeindlichen Puffers zu befolgen. In Russland sorgt man für die entsprechende Reaktion. Dabei haben sich doch die Bundeskanzler Schröder und Kohl zu ihrer Zeit ganz anders verhalten.“

Fenenko ist dadurch besorgt, das die Münchner Sicherheitskonferenz sich von einem Forum für die Erörterung internationaler Sicherheitsprobleme, das sie in den Nulljahren darstellte, zu einem leeren Meinungsaustausch entwickelt hat. „Gegenwärtig erleben wir nur mehrere Monologe, wenn die Seiten Vorwürfe austauschen und einander fragend ansehen: was sie einander wohl noch zumuten können.“

Daraus ergebe sich ein leeres Format, urteilt der Experte, das keine Lösungen produziere. „Dabei war doch die Aufgabe der Konferenz, für die europäische Sicherheit Lösungen zu finden, die an der OSZE-Bürokratie gescheitert waren.“ Das macht dem Politikwissenschaftler  zufolge den Inhalt der aktuellen Krise der Münchner Sicherheitskonferenz aus.

In Russland müsse man mit der Gefahr nicht eines Kalten Krieges rechnen, sondern eines „heißen“ bewaffneten Konflikts mit den USA, meinte der Experte. „Wir waren beispielsweise in Syrien Zeugen regelmäßiger Drohungen seitens der beiden amerikanischen Administrationen, der von Obama wie der von Trump, Schläge gegen russische militärische Objekte in diesem Land auszuführen. Wir haben die faktische Unterstützung Georgiens durch die Amerikaner erlebt, als die Frage diskutiert wurde, ob sie auf seiner Seite sich in den Konflikt mit Russland einmischen. Mehr noch, die USA haben sogar Kriegsschiffe ins Schwarze Meer entsendet.“

Unter demselben Gesichtswinkel betrachtet Fenenko auch den Austritt der USA aus dem INF-Vertrag. „In Europa wird viel von Russlands Schuld gesprochen, während dies bei uns als die Vorbereitung der USA auf einen wirklichen regionalen Konflikt mit Russland verstanden wird. Natürlich gehen wir dabei von der Logik aus, die nicht in der Berechnung von Verteidigungshaushalten für das Wettrüsten besteht, sondern in der Möglichkeit einer Veränderung unserer Nukleardoktrin.“

Sie müsse laut dem Experten die Möglichkeit eines Präventivschlags gegen die Standorte der amerikanischen Mittel- und Kurzstreckenraketen einräumen. „Und diesen wichtigen Faktor müssen die europäischen Länder vor Augen haben, wenn sie die eventuelle Stationierung dieser Raketen auf ihrem Boden diskutieren. Russland wird nämlich die Möglichkeit erwägen, eine direkte Gefahr dieser Art auf präventivem Wege abzuwenden.“

sputniknews


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