Jetzt also Sharm-el-Sheik. Beim Treffen der EU-Staats- und Regierungschefs mit ihren Kollegen aus der arabischen Welt am Sonntag und Montag im schicken ägyptischen Urlaubsressort will Theresa May nun weitere Einzelgespräche zum Brexit führen, so heißt es. Großbritanniens Premierministerin lässt wirklich keine Gelegenheit aus, den Abgeordneten in Westminister vorzuführen, wie sehr sie für Änderungen an dem von ihr selbst ausgehandelten Deal kämpft - und sei es am Roten Meer.
Vielleicht tut der Ortswechsel der ganzen Sache ja gut, in Brüssel war May zuletzt nur in Minischritten vorangekommen. Zum wiederholten Male traf sie am Mittwochabend EU-Kommissionschef Jean-Claude Juncker. Doch außer Witzeleien über dessen - durch ein dickes Pflaster auf der Wange unübersehbaren - Rasierunfall vom frühen Morgen, gab es wenig Interessantes zu berichten. Juncker jedenfalls gab sich danach nicht allzu fröhlich. Seine Bemühungen seien darauf gerichtet, das Schlimmste zu vermeiden, sagte er am Donnerstag. "Aber ich bin nicht sehr optimistisch."
Immerhin, auch Theresa May hat nun offenbar eingesehen, dass sie Veränderungen am Austrittsabkommen selbst nicht mehr durchsetzen wird. Die Arbeit konzentriere sich nun darauf, so sagen mit der Sache befasste Diplomaten dem SPIEGEL, ein separates, rechtlich verbindliches Statement zu erarbeiten. Eine "gemeinsame interpretative Erklärung" also, die noch einmal bekräftigten soll, dass der sogenannte Backstop, die umstrittene Notfalllösung für die nordirische Grenze, nur temporärer Natur sei. (Lesen Sie hier was Sie über den Backstop wissen müssen.)
May hatte ein solches Statement bereits beim EU-Gipfel im Dezember gefordert, war damit aber abgeblitzt. Dass dies nun erneut erwogen wird, könnte man als kleines Zugeständnis der EU werten.
Was aber in der Erklärung stehen soll, gibt selbst Insidern Rätsel auf. Ohnehin hat der britische Generalstaatsanwalt Geoffrey Cox bereits erklärt, dass ein Mitte Januar von Juncker und EU-Ratspräsident Donald Tusk verfasster Brief Rechtskraft habe. Die beiden hatten in dem Schreiben erklärt, dass der Backstop nur eine Notlösung sei und möglichst nie genutzt werden sollte. "Die gemeinsame Erklärung hätte keine andere Rechtsqualität als der Tusk-Juncker-Brief", sagt der Diplomat. "Ich weiß nicht, welches Spiel May spielt."
Denn die entscheidende Frage bleibt unbeantwortet: Kann May ein unverändertes Austrittsabkommen, lediglich ergänzt durch eine solche Zusatzerklärung, überhaupt durchs Parlament bekommen? Dass etwa ein Jacob Rees-Mogg, Kopf der EU-Feinde der britischen Tories, sich mit einem solchen Kniff zufriedengibt, "kann ich mir nicht vorstellen", sagt ein EU-Diplomat.
Die Bestätigung kam direkt aus der von Rees-Mogg angeführten "European Research Group" (ERG): Drei Mitglieder der Gruppe - die Abgeordneten Priti Patel, Maria Caulfield and Anne-Marie Trevelyan - stellten am Donnerstag auf der Website "ConservativeHome" klar: "Wir brauchen bedeutsame, rechtsverbindliche Veränderungen am Austrittsabkommen, die den Backstop entfernen." Damit haben sie die Maximalposition der Brexiteers bekräftigt: Irgendwelche Versprechen bezüglich des Backstops genügen nicht. Er muss ganz weg.
Zumindest etwas konstruktiver ging es zu, als der britische Brexit-Minister Stephen Barcley und Generalstaatsanwalt Cox am Donnerstag mit EU-Chefunterhändler Michel Barnier und dessen Team zusammen kamen. Man werde sich darauf konzentrieren, "so schnell wie möglich einen Deal abzuschließen", hieß es anschließend.
Nach Informationen der Nachrichtenagentur Reuters soll es jedenfalls keinen konkreten Text geben, bevor es am kommenden Mittwoch im Londoner Unterhaus erneut zu einer Abstimmung kommt. Die EU will erstmal abwarten, wie sich die Mehrheitsverhältnisse in London entwickeln.
Dann aber könnte es für May bereits zu spät sein. Nach Berichten britischer Medien haben 25 Minister und Staatssekretäre mit einer Revolte gedroht: Sollte May bis Mittwoch keine Mehrheit für einen Deal mit der EU hinter sich haben, würden sie in der Abstimmung eine nach der Labour-Abgeordneten Yvette Cooper benannte Initiative unterstützen. Sie würde May zwingen, bei der EU eine Verlängerung der Austrittsfrist zu beantragen.
Auch Labour-Chef Jeremy Corbyn will einen Brexit ohne Deal verhindern, wie er am Donnerstag im Europaparlament klar machte. Corbyn traf dort mit den üblichen Brexit-Verdächtigen zusammen, Guy Verhofstadt, dem Chef der Liberalen im Parlament etwa, und dem Brexit-Koordinator der Europäischen Volkspartei Elmar Brok. Etwa 45 Minuten ging es um Auswege aus der verfahrenen Situation, Corbyn berichtete von seinen Gesprächen mit May.
Im Gegensatz zu einem Brüssel-Besuch Corbyns im vergangenen Herbst, nach dem Teilnehmer hinter vorgehaltener Hand über mangelnde Detailkenntnisse des Labour-Chefs gelästert hatten, habe Corbyn die Verästelungen des komplizierten Brexit-Prozesses dieses Mal stets parat gehabt, heißt es.
Soll noch einer sagen, es tue sich nichts in London.
spiegel
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