"Die EU-Kommission macht es sich sehr einfach"

  07 März 2019    Gelesen: 863
"Die EU-Kommission macht es sich sehr einfach"

Die negativen Folgen der Uhr-Umstellerei im Frühjahr sind bekannt. Eine detaillierte Abschätzung der Folgen einer ewigen Sommerzeit gibt es allerdings nicht.

Ende Januar war der spanische Mediziner Dario Acuna-Castroviejo zu einer Anhörung im Europaparlament eingeladen. Es ging dabei um die geplante Abschaffung der EU-weiten Zeitumstellung, die ab 2021 kommen soll. Acuna-Castroviejo erklärte den Europaabgeordneten, dass vor allem alte Menschen, Kranke und Kinder Probleme mit dem regelmäßigen Umstellen der Uhr haben, die auch Ende dieses Monats wieder ansteht. Er plädierte für eine Abschaffung der Zeitumstellung. Auch das Europaparlament und die EU-Kommission befürworten diesen Schritt. Überraschend mag aber für manchen Europaabgeordneten die Einschätzung des Mediziners gewesen sei, dass eine permanente Winterzeit aus Gesundheitsgründen das Beste wäre.

Ewige Sommerzeit oder ewige Winterzeit? In dieser Grundsatzfrage sollen sich die EU-Mitgliedstaaten demnächst entscheiden. Seit die EU-Kommission im vergangenen September einen Gesetzentwurf eingebracht hat, dem zufolge das halbjährliche Drehen an der Uhr demnächst abgeschafft werden soll, sind die EU-Länder unter Zugzwang. Bei ihnen liegt die Entscheidung, welche Lösung sie ihren Bürgern jeweils präsentieren wollen - die ewige Sommerzeit mit langen Abenden und zeitlich späten Sonnenaufgängen oder die dauerhafte Winterzeit mit dem umgekehrten Effekt.

Gegenwärtig verhindert die jährliche Umstellung auf die Sommerzeit übermäßig frühe oder späte Zeiten beim Sonnenaufgang in den Regionen, die am Rand der großen mitteleuropäischen Zeitzone liegt, die von Spanien bis Polen reicht. Dies würde sich aber für die beiden Länder bei der Einführung einer dauerhaften Winter- oder Sommerzeit ändern.

Die EU-Kommission beruft sich mit ihrem Vorschlag zum Ende der Zeitumstellung indes auf den Bürgerwillen. Bei einer Online-Umfrage der Kommission waren im vergangenen Jahr 4,6 Millionen Antworten registriert worden, die vor allem aus Deutschland kamen. Insgesamt sprachen sich 84 Prozent der Bürger dabei für eine Abschaffung der Zeitumstellung aus.

Nach Angaben aus dem Wirtschaftsministerium in Berlin hat Deutschland gemeinsam mit anderen Mitgliedstaaten die EU-Kommission dazu aufgefordert, eine Folgenabschätzung zur Abschaffung der Zeitumstellung durchzuführen. „Solch eine Folgenabschätzung auf europäischer Ebene ist wichtig, um Aufschluss darüber zu geben, welche grenzüberschreitenden Auswirkungen die vorgeschlagene Abschaffung der Zeitumstellung haben würde“, sagt eine Ministeriumssprecherin. Darüber hinaus habe das Wirtschaftsministerium die anderen Ressorts in Berlin darum gebeten, mit Blick auf ihren jeweiligen Zuständigkeitsbereich die Folgen einer Abschaffung der Zeitumstellung abzuschätzen. Die Rückmeldungen der Ressorts werte das Ministerium gegenwärtig aus.

Mit einer zügigen Rückmeldung von der EU-Kommission aus Brüssel dürfte es allerdings nicht so einfach werden. Bereits im vergangenen Jahr tauchte in einer Arbeitsgruppe des EU-Verkehrsministerrats, in der Vertreter aus den Ministerien der Hauptstädte versammelt sind, die Frage auf: Welche Folgen hat es, wenn sich alle Länder einer Zeitzone sich nach dem Ende der Zeitumstellung jeweils für die dauerhafte Sommer- oder Winterzeit entscheiden? Und was passiert, wenn die entsprechenden Länder keine vernünftige Absprache hinbekommen und innerhalb einer Zeitzone künftig ein Zeit-Flickenteppich entsteht?

Doch für eine solche Folgenabschätzung hält sich die Brüsseler Behörde nicht zuständig. Nach den Worten eines Kommissionsvertreters sei die Frage der dauerhaften Winter- oder Sommerzeit im Vorschlag vom vergangenen September ausgespart worden, da dies „eine Angelegenheit für die Mitgliedstaaten“ sei. „Die Kommission macht es sich sehr einfach“, lautet der Kommentar eines EU-Diplomaten.

Die Brüsseler Behörde beruft sich wiederum darauf, dass die negativen Effekte der permanenten Uhr-Umstellerei hinlänglich erforscht seien. So verwies die Kommission im vergangenen Herbst bei der Vorstellung ihres Vorschlages unter anderem auf eine Studie des Büros für Technikfolgen-Abschätzung beim Bundestag, in der es heißt: „Mittlerweile gibt es vermehrte wissenschaftliche Anhaltspunkte dafür, dass sich die Anpassung der biologischen Rhythmen insbesondere an die Zeitumstellung im Frühjahr nicht so einfach vollzieht.“

Zwar ist sich die Kommission bewusst, dass ein Abschied von der Zeitumstellung einmalige Umstellungskosten mit sich bringen würde. Das gilt beispielsweise für Kalender-Software, für welche Betriebssystemhersteller ein Update bereitstellen müssten. Unterm Strich beschere ein Ende der Zeitumstellung der Wirtschaft eine Kostenersparnis und erspare den Bürgern den halbjährlichen „Mini-Jetlag“, argumentiert die EU-Kommission. Zudem ist hinlänglich bekannt, dass die ursprünglich angestrebte Energieersparnis, wegen der die Sommerzeit ursprünglich einmal eingeführt wurde, kaum ins Gewicht fällt.

Umgekehrt gibt es aber keine detaillierte Studie, aus der hervorgeht, was beispielsweise die ewige Sommerzeit für Deutschland, Frankreich und die anderen Länder der mitteleuropäischen Zeitzone bedeuten würde. Wirtschaftsminister Peter Altmaier (CDU) hat bereits eine Präferenz für die ewige Sommerzeit erkennen lassen. Und auch in Frankreich sprach sich bei einer Online-Befragung, die am vergangenen Sonntag endete, eine Mehrheit von 59 Prozent für diese Lösung aus. Bei der Befragung, die keinen bindenden Charakter hat, gingen rekordverdächtige 2,1 Millionen Antworten ein.

Unter den französischen Abgeordneten im Europaparlament findet das Ende der Zeitumstellung hingegen nicht so viele Freunde. Die Franzosen in Straßburg gehören gemeinsam mit den Italienern und den Griechen zu den Kritikern des Juncker-Vorstoßes. Und auch im Verkehrsausschuss des EU-Parlamentes wird moniert, dass die Kommission zu ihrem Gesetzesvorstoß keine Folgenabschätzung mitliefert.

Ob es mit dem Ende der Zeitumstellung überhaupt etwas wird, halten etliche Beobachter in Brüssel ohnehin für fraglich. „Das wird nicht kommen“, meint eine EU-Diplomatin lakonisch. Fest steht jedenfalls, dass die Rats-Arbeitsgruppe der EU-Verkehrsminister, die sich im Juni das nächste Mal mit dem Thema befassen wollen, zunächst andere Sorgen hat: den Brexit und die möglichen Folgen eines ungeregelten EU-Ausstiegs der Briten.

tagesspiegel


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