Ob es am Ende an den 2000 Kilometern Unterschied und den beiden zusätzlichen Veranstaltungen gelegen hat? Eher nicht. Lag es an der laustarken Unterstützung der durstigen bayerischen Abgeordneten? Höchstens zu einem kleinen Teil. Lag es an den besseren Sprüchen? Das schon eher. Am Ende stimmen beinahe zwei Drittel der Delegierten für Tilman Kuban. Damit ist der 31-jährige Niedersachse neuer Chef der Jungen Union (JU).
Nehmt mich, "wenn ihr einen Macher wollt", hatte er am Ende seiner Bewerbungsrede gesagt. Sein Konkurrent Stefan Gruhner aus Thüringen bot derweil an, den Nachwuchs von CDU und CSU stärker als "Stachel im Fleisch" der Mutterparteien zu positionieren.
Der Posten war vakant geworden, nachdem der bisherige JU-Chef Paul Ziemiak im Dezember von der neuen CDU-Vorsitzenden Annegret Kramp-Karrenbauer zum Generalsekretär befördert wurde. Von der Tanzfläche weg, wie beide beim Sonder-Deutschlandtag in Berlin sagen. Dass es wohl anders ablief in der Nacht nach der AKK-Wahl in Hamburg - geschenkt. Schöne Legenden zerstört man nicht. Das sagt selbst Ziemiak.
Eine letzte Messe für Ziemiak
Ohnehin soll nichts die Ziemiak-Festspiele - und nichts anderes ist der Deutschlandtag in weiten Teilen - trüben. Mehr als fünf Minuten stehenden Applaus fährt der 33-Jährige nach seiner letzten Rede als JU-Chef ein. Nicht zuletzt, weil er die Nachwuchsorganisation durch die Zeit geführt hat, als nicht klar war, ob CDU und CSU getrennte Wege gehen. Viel wichtiger aber ist: Er ist das wahr gewordene Versprechen der Union, den eigenen Nachwuchs früh einzubinden. "Wir können sagen, einer von uns ist Generalsekretär", sagt Kuban dazu. "Das Schwierigste hast du ja schon geschafft. Viele fragen sich ja: Wie rette ich mich in ein gutes politisches Amt...", frotzelt ein gut aufgelegter CSU-Chef Markus Söder im Einspielfilmchen. "Eine meiner besten Entscheidungen", sagt AKK zur Beförderung Ziemiaks.
Und Ziemiak revanchiert sich gleich doppelt. Die Union will Upload-Filter in Deutschlandverhindern, wenn dereinst EU-Recht umgesetzt wird. Darauf haben sich die Fachexperten auf Ziemiaks Initiative verständigt. Die Meldung kommt pünktlich zum Deutschlandtag. Kuban bezeichnet dies als Frage für weitaus mehr Menschen als nur für Nerds. Bis zur "letzten Patrone" werde er für Meinungsvielfalt kämpfen, sagt er. Das müsse auch die Parteivorsitzende begreifen. Ziemiak hat das Thema vorerst abgeräumt.
Zum anderen stellt sich Ziemiak vor AKK und wehrt die jüngste Kritik an ihr ab. Die misslungenen Karnevalsscherze der Chefin? Für ihn eine lediglich medial getriebene Kampagne. Schulstreiks fürs Klima? Schön, wenn junge Menschen sich für ihre Anliegen auf den Weg machen. "Aber 14-Jährige, 16-Jährige und 20-Jährige ernstzunehmen heißt nicht, zu allem 'Ja und Amen' zu sagen." Keine Abschaffung von Hartz IV, Rente, Europa, Innere Sicherheit, etwas Mitleid für die SPD und eine Prise Grünen-Bashing - am Ende hält Ziemiak fast die bessere AKK-Rede und zieht die 320 Delegierten mit. Vor allem konservative Themen und Auffassungen werden mit Zwischenapplaus bedacht.
Kramp-Karrenbauer wird das bei ihrem blässlichen Auftritt alles wiederholen. Dass ihre Kinder keine Entschuldigungschreiben für Klimastreiks bekommen hätten und auch kein Geld für Nachhilfe deswegen sowie eine kleine Kampfansage an die SPD. Ein vorzeitiges Ende der GroKo nicht auszuschließen, hatte sie zuvor bereits in Interviews gesagt. Nicht zuletzt nach Ziemiaks Auftritt war der Deutschlandtag ohnehin bereits auf ihrer Linie. Die Ziemiak-Beförderung sei "eine wirklich gute Entscheidung gewesen", hatte sie zuvor wiederholt. Am Ende gibt es lebhaften Beifall.
Erst Jubel - dann Ekstase
Und wer folgt Ziemiak? Als erster hatte Stefan Gruhner seinen Hut in den Ring geworfen. Der 34-Jährige ist seit mehr als einhalb Jahrzehnten in der Thüringer CDU. Kreisvorsitz, JU-Vorsitz, Landtagsmandat. Nun sollte es in die Bundespolitik gehen. Daheim ist für ambitionierten Nachwuchs am nur wenig älteren Mike Mohring innerhalb der Partei auf absehbare Zeit kein Vorbeikommen. Chance gesehen - Chance ergriffen. Gruhner zieht mit Kritik an der SPD Respektrente ("Respektlosigkeit") und der Infragestellung der GroKo in den Wahlkampf. 20.000 Kilometer und 58 Veranstaltungen in wenigen Wochen. Es wird ein knappes Ergebnis erwartet. Er wäre der erste Ostdeutsche auf dem Posten. Im Herbst will Gruhner wieder in den Thüringer Landtag einziehen.
Was zur Erdumrundung fehlt, liefert Tilman Kuban im Wahlkampf. Also ein paar Kilometer mehr, auch zwei Veranstaltungen mehr als Gruhner. Kuban nimmt in dieser Zeit zudem sechs Kilogramm ab. Schon deswegen habe es sich gelohnt, sagt der studierte Jurist. Ins Rennen um den Posten ist er erst eingestiegen, als Gruhner hinter den Kulissen längst Allianzen auslotet und als Favorit gehandelt wird.
Doch dann legt Kuban los. Die Stimme ist oftmals etwas zu hoch und ebenso oft etwas zu schnell. Kuban schreit gegen die häufigen "Tilman, Tilman"-Rufe an. Jedesmal, wenn seine lautstarken Unterstützer aufspringen, klirren in nicht wenigen Reihen leere Flaschen unter den Tischen.
Und die Sprüche kommen an: "Ihr seid die Herzkammer der Jungen Union und ich will euer Vorsitzender sein" - Jubel. Wenn sich die politischen Gegner hinstellten und "für die 3. bis 312. Toilette kämpfen, dann stehen wir auf" - lauter Jubel. Wenn die Verteidigungsministerin mehr Kinder habe als die Bundeswehr fliegende Flugzeuge, "dann ist das nicht unsere Union" - frenetischer Jubel. Wenn Juso-Chef Kevin Kühnert die Pläne für Enteignungen von Immobilienbesitzern beklatsche, "dann sag ich, Kevin, mach dein Studium fertig, dann kannst du dir eine eigene Wohnung leisten" - die Halle tobt.
Zwischendrin liefert Kuban seine eigentlichen Programmpunkte. Ihm geht es um die Frage, in welchem Land die Delegierten 2040 leben wollen. Klimaschutz, Industriepolitik, innere Sicherheit, eine gute Bundeswehr, ein starkes Europa. Dazu werde er "Klartext mit der Partei reden". Denn "wir haben Haltung, lieben unsere Heimat und stehen auf Hightech. Wenn ihr einen Macher wollt, lasst es uns gemeinsam anpacken."
"Es ist unser Land"
Gruhner - erprobt in unzähligen Landtagsdebatten - ist an diesem Tag im Vergleich dazu zu sachlich und etwas zu verkopft. Die Jusos seien Chaoten, die niemals Verantwortung fürs Land tragen dürften. US-Präsident Donald Trump ruft er zu, "deutsche Autos made in Germany sind keine Gefahr für die nationale Sicherheit" der USA. Es laufe etwas falsch, wenn "mehr Geld für Rente als für Bildung und Digitalisierung" ausgegeben werde. Da stelle sich die Frage, ob das Versprechen, dass es der künftigen Generation einmal besser gehen solle, noch gültig sei. "Wir dürfen es uns nicht bieten lassen, dass in diesem Land nur noch Politik für die über 60 gemacht wird." Auch Gruhners Unterstützer können laut sein.
Seine Kritik an der Union kommt an. Die Junge Union müsse im Zuge der Erneuerung "mehr PS in den Maschinenraum bringen", fordert er. Nie wieder wolle er erleben, dass Parteitagsbeschlüsse von der Regierung nicht umgesetzt würden. "Wir sind nicht der Abnickverein der GroKo." Themen müssten stets erst in der Partei diskutiert und dann entschieden werden. Es sei nun an der Zeit, dass sich die jungen Mitglieder mehr einbrächten. Und "ich werde darum kämpfen, dass an uns, dass an der Stimme der JU keiner mehr vorbeikommt. Es ist unser Land, es ist unsere Generation, es ist unsere Zeit."
Am Ende aber aber die Erkenntnis: Gruhners Zeit war es in Berlin nicht. Lediglich 119 Delegierte folgen ihm. Gruhner ist sichtbar überrascht. Kuban indes hat den Moment genutzt. 200 Delegierte kann er mit seinen markigen Sprüchen überzeugen. Nun also führt der Niedersachse die gut 100.000 Mitglieder der Jungen Union. "Von Herzen gern", wie er nach seiner Wahl sagt. Ende Mai wechselt er dank einem aussichtsreichen Listenplatz bei der Europawahl wahrscheinlich nach Brüssel.
Quelle: n-tv.de
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