Wer bekommt am Ende die ukrainischen Gaspipelines?

  06 April 2019    Gelesen: 711
Wer bekommt am Ende die ukrainischen Gaspipelines?

Der ukrainische Energiekonzern Naftogas hat dieser Tage von zwei wichtigen Erfolgen berichtet: Es wurde eine Vereinbarung mit Chinas Exportagentur über einen Kredit für eine Milliarde Dollar getroffen, und es soll eine Arbeitsgruppe mit fünf europäischen Gasbeförderern gebildet werden. Aber Kiew könnte trotzdem sein Gastransportsystem verlieren.

Am Mittwoch kündigte Naftogas Ukrainy die Bildung einer internationalen Arbeitsgruppe an, die einen neuen Betreiber des ukrainischen Pipelinenetzes formen soll. Daran beteiligen sich insgesamt fünf europäische Unternehmen: Fluxys SA (Belgien), NV Nederlandse Gaunie (Niederlande), Snam Spanien (Italien), Eustream as (Slowakei) und GRTgaz SA (Frankreich).

Wie Naftogas-Generaldirektor Andrej Kobolew erklärte, ist diese Kooperation „wichtig für die Aufrechterhaltung des Transits des russischen Brennstoffs durch das ukrainische Territorium“. Denn die erwähnten Unternehmen sind die wichtigsten Abnehmer des russischen Gases, und die Ukrainer hoffen, dass sie Gazprom unter Druck setzen können, damit der russische Energieriese auch nach 2019 seinen Brennstoff durch die Ukraine nach Europa pumpt.

Ursprünglich hatte Kiew aber gehofft, einen noch einflussreicheren Verbündeten auf seine Seite zu ziehen. „Die Ukraine muss US-amerikanische Energieunternehmen zur gemeinsamen Verwaltung ihres Gastransportsystems heranziehen“, hatte im Oktober 2018 der Vorsitzende der Werchwona Rada (ukrainisches Parlament), Andrej Parubi, erklärt – in der Hoffnung, dass Washington die Russen zur Einstellung der Bauarbeiten an den Pipelines Turkish Stream und Nord Stream 2 zwingen würde.

Washington hat Kiew tatsächlich eine gewisse politische Hilfe geleistet, wollte sich aber nicht mit dem veralteten ukrainischen Pipelinesystem befassen. Denn für seine Modernisierung wären riesige Investitionen erforderlich, und seine Rentabilität stünde auch dann in den Sternen.

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„Angesichts all der Risiken, die mit Nord Stream und Turkish Stream verbunden sind, haben wir bisher nicht gesehen, dass US-amerikanische Unternehmen einen Anteil am ukrainischen Pipelinesystem hätten kaufen wollen“, räumte Kobolew im November ein. Damals kam man in Kiew auf die Idee, die Europäer, die am russischen Gas interessiert sind, zur Rettung des Transits durch die Ukraine heranzuziehen.

„Italien bekommt 23 Milliarden Kubikmeter Gas durch unser Pipelinesystem“, führte der Vorsitzende des ukrainischen Rats für Gasindustrie, Leonid Unigowski, an. „Wenn der italienische Betreiber Snam unser Partner wäre, der gemeinsam mit der slowakischen Firma Eustream darauf bestehen würde, dass durch unser Territorium 23 Milliarden Kubikmeter Gas nach Italien befördert werden, würde Russland beim Bau des zweiten Turkish-Stream-Strangs Probleme bekommen.“

Jetzt scheint Unigowskis Plan allmählich in Erfüllung zu gehen. In Wahrheit kommt ein zusätzlicher Druck auf Gazprom nicht infrage, denn die Slowakei hat schon angekündigt, dass sie sich 2022 Turkish Stream anschließen wird.

Auch die Italiener erwägen eine solche Möglichkeit. Während des Moskau-Besuchs des italienischen Premiers Giuseppe Conte im Oktober 2018 war die vorläufige Vereinbarung getroffen worden, den zweiten Turkish-Stream-Strang bis Italien zu verlängern.

Die Leitung könnte „durch Bulgarien oder sogar durch Serbien, Ungarn oder auch Griechenland“ gebaut werden, präzisierte der russische Präsident Wladimir Putin damals auf der gemeinsamen Pressekonferenz mit Conte.

Darüber hinaus rechnet Rom, ab 2025 Gas vom israelischen Gasfeld Leviathan zu bekommen – durch die Leitung EastMed, deren Bau im kommenden Jahr beginnen soll. Also haben die Italiener absolut keinen Grund, mit Gazprom über die Aufrechterhaltung des Transits durch die Ukraine zu streiten.

Auffallend ist übrigens, dass in der offiziellen Mitteilung von Naftogas Ukrainy im Unterschied zur Behauptung Kobolews, der Gastransit durch die Ukraine würde aufrechterhalten bleiben, nur ganz bescheiden bemerkt wurde, dass das Ziel der Kooperation mit den fünf europäischen Unternehmen sei, „der ukrainischen Seite bei der Bildung eines unabhängigen Betreibers ihres Pipelinesystems in Übereinstimmung mit europäischen Gesetzen zu helfen“. Danach könnten sich die Europäer „der Verwaltung dieses Betreibers anschließen“.

Das ist folgenderweise zu verstehen: Die Europäer würden die Möglichkeit bekommen, Kiew ihre Bedingungen zu diktieren. Wie Unigowski einräumte, „hätte man in Europa kein Vertrauen darin, dass das ukrainische Gastransportsystem nur von einem ukrainischen Betreiber verwalten würde“.

Die Europäer könnten bei der Verwaltung des ukrainischen Pipelinesystems aber überraschende Partner aus dem Reich der Mitte bekommen. Am Dienstag hatte Naftogas Ukrainy mitgeteilt, dass die chinesische staatliche Exportkreditagentur Sinosure zugestimmt hätte, dem ukrainischen Konzern eine Versicherungsquote für eine Milliarde Dollar bereitzustellen.

Dadurch bekommt Kiew die Möglichkeit, entsprechende Kredite von chinesischen Banken zu bekommen. Es wurde bereits festgelegt, dass 160 Millionen Dollar für den Kauf von Bohranlagen in der Volksrepublik bestimmt sind, die die Naftogas-Tochter Ukrgasdobytscha erhalten wird.

An dieser Stelle sei daran zu erinnern, dass die ukrainische Regierung Anfang März den Vertrag mit Naftogas-Chef Kobolew aufgelöst und die Suche nach einem Nachfolger für ihn angekündigt hatte. Dabei verwiesen seine Gegner auf etliche Momente: sein enorm hohes Gehalt, die ins Stocken geratene Privatisierung des Pipelinesystems und viele andere Dinge, insbesondere das Scheitern eines Programms zur Entwicklung der eigenen Gasförderung in der Ukraine. Energieminister Igor Nassalik sagte damals: „Kobolew hat alles vermasselt, was nur vermasselt werden konnte.“

Aber der Naftogas-Chef bat seine ausländischen Protektoren um Hilfe. Nach Angaben der Nachrichtenagentur 112.ua haben sich die Botschafter der G7-Länder speziell mit Ministerpräsident Wladimir Groisman getroffen und dafür plädiert, dass Kobolew weiter im Amt bleibt.

Dieser durfte am Ende seinen Posten behalten, aber Groisman verlangte von ihm offen, die Gasförderung auf 18 Millionen Kubikmeter pro Jahr (von den jetzigen 15,5 Millionen) aufzustocken. Nach seinen Worten war das „die Hauptbedingung für die Verlängerung des Vertrags mit Andrej Kobolew“.

Zu diesem Zweck brauchte Naftogas Ukrainy aber dringend neue Bohranlagen für Ukrgasdobytscha – und entschied sich, neue Kredite zu nehmen. Die restlichen 840 Millionen der von den Chinesen zugesicherten Geldmenge sollen „für andere Projekte der Naftogas-Gruppe“ ausgegeben werden, „die in der nächsten Zeit mit der chinesischen Seite abgesprochen werden“.

Das Problem ist, dass Naftogas Ukrainy aktuell ein verlustbringendes Unternehmen ist (Kobolew selbst räumte das öfter ein), das kaum noch eigene Finanzmittel hat. Falls der Transit aus Russland schrumpfen bzw. ausbleiben sollte, würde sich die Finanzlage des ukrainischen Monopolisten noch weiter verschlechtern. Und dann könnte Naftogas Ukrainy die chinesischen Kredite nur mit den Aktien seiner Tochterfirmen begleichen.

Vor einem Jahr hatten internationale Wirtschaftsprüfer von Ernst&Young das ukrainische Pipelinenetz auf 11,9 Milliarden Dollar geschätzt. Die Rohre sind inzwischen noch mehr verrostet, wobei Turkish Stream und Nord Stream 2 schon in wenigen Monaten in Betrieb genommen werden – dadurch wird das ukrainische Pipelinesystem auch keineswegs teurer.

Also könnten die Chinesen für ihren Kredit eine Sperrminorität am oben erwähnten unabhängigen Betreiber der ukrainischen Gasleitungen bekommen, zu dessen Bildung Kiew die fünf europäischen Firmen herangezogen hat. Und dann werden schon die Europäer und Chinesen selbst entscheiden, wer das ukrainische Gastransportsystem kontrollieren wird.

sputniknews


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