„Die rechten Bewegungen in Europa haben in den letzten Jahren eine Stärkung erfahren“, sagte Krasheninnikova, Generaldirektorin des „Instituts für außenpolitische Studien und Initiativen“ in Moskau. Sie warnte, dass die europäische Rechte gestärkt aus der kommenden Europawahl hervorgehen könnte. Bei dem europaweiten Urnengang bestimmen die Wählerinnen und Wähler das neue EU-Parlament in Straßburg Ende Mai.
Die Expertin sprach erst vor wenigen Wochen in Berlin mit Sputnik über EU- sowie US-Wahlen und deren Beeinflussung durch anglo-amerikanische Stellen wie „Cambridge Analytica“ oder „Integrity Initiative“.
„Russland besorgt über Vorgänge in Europa“
Im aktuellen Interview vertiefte Krasheninnikova, die der Kreml-Partei „Einiges Russland“ angehört, ihre Analyse und beantwortete die Frage, wie das Erstarken rechts-konservativer und nationalistischer Parteien europaweit einzuschätzen sei. Darunter die AfD in Deutschland, der „Front National“ in Frankreich, die Schwedendemokraten, die neuen rechten Regierungen in Italien und Spanien.
Aus der Sicht Russlands sei „diese Entwicklung tatsächlich besorgniserregend. Diese Kräfte wollen Europa umgestalten. Dabei versuchen sie, von der Unzufriedenheit der Bevölkerung zu profitieren.“ Die Europäische Union (EU) und damit Europa könnten dadurch unsicherer und labiler werden. Dies ist laut der russischen Politik-Analytikerin nicht im Interesse Moskaus.
„Rechte Parteien nutzen Unzufriedenheit“
Die rechten Parteien Europas würden versuchen, die „Unzufriedenheit der Bevölkerung über die Bürokratie in Brüssel“ für sich zu nutzen. „Es gibt viele legitime Gründe, nicht zufrieden mit der Brüsseler Bürokratie zu sein.“ Doch die rechten Parteien würden keine tatsächlichen Antworten liefern.
„Einige der Individuen in solchen Parteien haben sehr finstere und gefährliche Absichten“, warnte die Politologin. „Darunter gibt es sehr rechtsextreme Personen. Wenn sich viele dieser verschiedenen rechten Parteien und Bewegungen europaweit vereinen würden, könnten sie ein sehr gefährliches Ergebnis liefern.“ Ein Ergebnis, das nicht nur der kommenden Europawahl, sondern der gesamten EU auf Dauer schaden könne.
Bannons Ziel für Straßburg: 30 Prozent an rechte Parteien
Der rechte US-Politik-Berater und Publizist Steve Bannon würde „unglücklicherweise“ genau das anstreben, so die Moskauer Polit-Analytikerin.
„Er hat das Ziel festgelegt, dass bei den Europawahlen etwa 30 Prozent der Sitze auf nationalistische und rechte Parteien entfallen sollen. Man muss sich vor Augen halten: Bannon hat Zugriff auf sehr moderne Technologien und effiziente Internet-Tools. Diese wurden auch bei US-amerikanischen Wahlen eingesetzt. Beispielsweise durch Cambridge Analytica.“
Das Ziel Bannons erscheine angesichts der aktuellen Stärke der europäischen Rechten durchaus realistisch. „Was dann aus Europa werden würde, ist eine komplizierte Frage“, sagte Krasheninnikova. „Die Mainstream-Kräfte in der EU, die Zivilgesellschaft, auch die etablierten Parteien – sie alle müssen mit der jetzigen Entwicklung umgehen und darauf eine Lösung finden“, mahnte sie.
Lösungsvorschlag EU-Reform
„Aber was tatsächlich notwendig erscheint, ist eine Reform der Europäischen Union“, forderte die Politologin. „Auch um die Verbindung zwischen Brüssel und der einfachen Bevölkerung zu stärken. Die Interessen der Menschen sollten bei der Brüsseler Bürokratie ernsthafte Beachtung finden und besser politisch repräsentiert werden.“
Eine bürgernahe EU-Reform sei längst überfällig. „Zu allererst sollten führende EU-Staaten wie Deutschland und Frankreich eine prinzipielle Entscheidung treffen, die EU reformieren und erhalten zu wollen“, so ihr Vorschlag. „Ich verstehe, dass es dabei viele Unstimmigkeiten und Meinungsverschiedenheiten geben wird. Dabei wird es verschiedene Visionen und Detail-Vorstellungen der EU-Staaten in Bereichen wie Soziales oder Finanzen geben. Aber es sollte der EU schon wichtig sein, die Union zu erhalten. Um dann auf pan-europäischer Ebene gemeinsam Probleme und Herausforderungen angehen zu können.“
Russland, Europa und de Gaulle
Die EU bleibe global gesehen eine „notwendige Institution. Sie muss jedoch stark genug sein, dem Druck der USA widerstehen zu können. Wir haben in den letzten Jahren gesehen, wie aggressiv Washington seine Interessen Europa diktieren und auferlegen kann. Das beinhaltet auch die Sanktionen gegen Russland.“ Das aktuelle Verhältnis Washington-Brüssel sei „kein vernünftiges Verhalten unter Partnern“, so die russische Geopolitik-Expertin.
„Offensichtlich benötigt Europa dahingehend mehr Unabhängigkeit. Russland ist der größte Nachbar Europas und wird das auch bleiben. Russland ist zudem ein Teil Europas und hat schon immer die europäische Kultur verlängert und sozusagen in den asiatischen Kontinent hineingetragen. Russland hat dabei europäische Werte und Zivilisations-Elemente bis nach Wladiwostok getragen. Die Europäer sollten sich das immer vergegenwärtigen.“
Krasheninnikova erinnerte an eine Idee des früheren französischen Präsidenten Charles de Gaulle. Er warb in den 60ern für ein Europa „von Lissabon bis Wladiwostok“. Dies wäre laut der Moskauer Politologin „ein riesiges Europa, das die sozialen Interessen seiner Bürgerinnen und Bürger ernst nimmt und ihnen dient. Genau solch ein Europa-Modell scheint im Interesse einer großen Mehrheit der Europäer – und auch der Russen zu sein.“
sputniknews
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