Es war doch so nett bei der CDU. Kurz nachdem sich Annegret Kramp-Karrenbauer gegen Friedrich Merz durchgesetzt hatte und zur Parteichefin gewählt wurde, reichte sie dem gegnerischen Lager die Hand. Und schon kurz darauf lobten ausgerechnet die Anhänger ihres Konkurrenten sie in den höchsten Tönen. AKK gab der vermeintlich unter Angela Merkel verweichlichten Partei wieder konservatives Profil. Die Bundeskanzlerin konnte sich darauf konzentrieren, ihre letzte Amtszeit herunterzuregieren, Herausforderer Nummer drei, Jens Spahn, kehrte mit noch mehr Tatendrang in sein Gesundheitsministerium zurück, die Umfragewerte stiegen wieder, mit der Schwesterpartei CSU unter neuer Führung von Markus Söder war auch wieder alles gut.
Einer jedoch hat sich von der Ruhe nicht anstecken lassen. Mit großen Worten hatte Merz vor seiner Wahl angekündigt, der Partei auch im Fall seiner Niederlage dienen zu wollen. Es gehe hier schließlich nicht um ihn und seine Karriere, sagte er ganz selbstlos. Die Zukunft der wichtigsten Partei, so klang es, sei etwas Größeres. Offensichtlich hatte er nicht damit gerechnet, dass er unterliegt. Danach jedenfalls schien sich Merz schnell in sein altes Leben zurückzuziehen. Ein Posten in der zweiten Reihe des Parteivorstandes? Nein, danke. Zurück zu den üppigen Gehältern der Aufsichtsräte? Schon eher. Vieles spricht aber dafür, dass er weiter fleißig die Strippen zieht.
Seit Tagen steht nun Wirtschaftsminister Peter Altmaier unter massivem Beschuss. Er sei ein "Totalausfall", eine "Fehlbesetzung", hieß es. Der Verband der Familienunternehmen hatte das Feuer auf ihn mit einer Generalabrechnung eröffnet und ihn aufgrund seiner angeblich mangelnden Fähigkeiten vom 70. Verbandsgeburtstag ausgeladen. Er habe das "Wirtschaftsministerium beschädigt". Andere Wirtschaftsverbände folgten. "Der Minister muss entschieden mehr tun, um die Wettbewerbsfähigkeit des Standorts Deutschland zu stärken", sagte der Präsident des einflussreichen Bundesverbands der deutschen Industrie (BDI), Dieter Kempf. Altmaiers Fraktionskollegen sehen sich genötigt, ihm angesichts der Angriffe beizuspringen. Fraktionschef Ralph Brinkhaus sprach bereits von einer "Kampagne" gegen ihn.
Nun ist Altmaier aber nicht bloß Wirtschaftsminister, sondern der wohl engste Vertraute Merkels im Kabinett. Jahrelang war er Kanzleramtschef, ab 2015 managte er als Flüchtlingskoordinator die umstrittene Migrationspolitik der Kanzlerin. Schon damals hagelte es Kritik gegen ihn, gemeint war stets aber auch seine Vorgesetzte. Vor dem Parteitag in Hamburg warb er für AKK - und gegen Merz. Und plötzlich regt sich Widerstand gegen ihn, ausgerechnet in Wirtschaftskreisen der CDU, ausgerechnet bei jenen, die damals Merz gerne an der Spitze gesehen hätten. In der Union bricht die Konfliktlinie zwischen dem einst von Merkel geschassten Fraktionschef Merz und dem Merkel-getreuen Altmaier neu auf.
Die Erzkonservativen in der Union fordern immer wieder eine radikale Wende im Kanzleramt. Besonders laut dabei ist die Werte-Union um Alexander Mitsch. Diesen Kreisen wäre es am liebsten, wenn Merkel besser heute als morgen nach Neuwahlen von einer Kanzlerin Annegret Kramp-Karrenbauer abgelöst würde - und Altmaier von einem Wirtschaftsminister Merz oder gar einem Superminister Merz für Wirtschaft und Finanzen. Dass die Kritik an Altmaier aktuell derart hart auf ihn einhagelt, mag von dem Faktor begünstigt sein, dass er als Chef des Wirtschaftsministeriums wenig sichtbar war. Viele im Koalitionsvertrag ausgehandelte Vorhaben lassen auf sich warten. Die Ursache für die Attacken liegt jedoch woanders. "Merkel muss weg" ist weiterhin eine verbreitete Forderung in der CDU. Öffentlich aussprechen möchte das so jedoch niemand. Altmaier als Sündenbock zu benutzen, ist da deutlich einfacher.
Merz scheint an all dem nicht unbeteiligt zu sein. Seine Anhänger, die er nach dem Parteitag in Hamburg ratlos zurückgelassen hatte, als deutlich zu werden schien, dass er der Partei doch nicht dienen wolle, wärmte er kurz danach wieder auf. Zwei Wochen später sagte er in der "FAZ", dass er sich ein Ministeramt grundsätzlich zutraue - würde er denn gefragt. Nun mehren sich die Gerüchte, wonach sich Merz das nicht nur zutraut, sondern sogar ausdrücklich anstrebt. Heute berichtet die "FAZ", Merz sei für Wahlkampfauftritte in Thüringen, Sachsen und Brandenburg gebucht. Dass jemand Wahlkampf macht, der sich um gar kein Mandat bewirbt, ist ungewöhnlich. Dass Parteichefin Kramp-Karrenbauer die Schützenhilfe ihres Kontrahenten von einst annimmt, könnte bedeuten, dass auch sie sich dem Ende Merkels entgegensehnt.
n-tv
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