Warum die Reform der Grundsteuer so umstritten ist

  16 April 2019    Gelesen: 759
Warum die Reform der Grundsteuer so umstritten ist

Berlin (Reuters) - Die Bundesregierung muss bis zum Jahresende eine verfassungskonforme Neuregelung der Immobilien-Grundsteuer beschließen. Finanzminister Olaf Scholz (SPD) stößt mit seinen bisherigen Plänen auf großen Widerstand in Union und Bundesländern.

Experten zufolge werden viele Immobilienbesitzer künftig deutlich mehr zahlen müssen - vor allem, wenn die Kommunen nicht gleichzeitig ihre Hebesätze für die Grundsteuer senken. Dann dürfte das vor allem Wohnungen in Großstädten noch teurer machen und zusätzliche Belastungen für Mieter bedeuten. Es folgt ein Überblick mit den wichtigsten Fragen und Antworten.

WARUM MUSS SCHOLZ AKTIV WERDEN?

Das Bundesverfassungsgericht hatte im April 2018 wegen völlig veralteter Bemessungswerte eine Reform gefordert und dafür eine Frist bis Ende 2019 gesetzt. Bislang richtet sich die Steuer nach den Grundstückswerten von 1935 im Osten und 1964 im Westen. Die Neuberechnung soll erstmals ab 2025 gelten und dann alle sieben Jahre automatisch aktualisiert werden.

WAS PLANT DER FINANZMINISTER?

Scholz hat einen Gesetzentwurf erarbeiten lassen, der noch im April vom Kabinett verabschiedet und bis zum Jahresende von Bundestag und Bundesrat gebilligt werden soll. So zumindest stellt sich das der SPD-Politiker vor. Dies gilt in der großen Koalition aber als unrealistisch, weil aus der Union lautstarke Kritik an den Plänen kommt. Die Scholz-Vorschläge orientieren sich an der tatsächlichen Wertentwicklung der Grundstücke und neu auch an den durchschnittlich gezahlten Mieten an einem Standort. Obwohl diese in den vergangenen Jahrzehnten massiv gestiegen sind, will Scholz aber gleichzeitig die Einnahmen aus der Steuer stabil halten.

WAS BEDEUTEN DIE PLÄNE KONKRET FÜR DIE STEUERZAHLER?

Das ist im Detail noch offen. Scholz wollte sich dazu bislang nicht äußern, obwohl seine Beamten zahlreiche Beispiele durchgerechnet haben. Er betont immer wieder, dass im Schnitt keine Mehrbelastung entsteht. Man sei “sehr zuversichtlich”, dass die Kommunen die Reform nicht nutzten, um ihre Einnahmen zu erhöhen, so eine Ministeriumssprecherin am Montag.

Modellrechnungen von Lobbyisten ergeben ein völlig anderes Bild, allerdings gehen sie von den bisherigen Hebesätzen in den Kommunen aus. In Beispielen der Interessensvertretung der Eigentümer gibt es so gut wie keine Entlastungen, in fast allen Fällen deutliche Steigerungen - in Berlin etwa oft im zweistelligen Prozentbereich, in einem Beispiel sogar um mehr als 600 Prozent. Massiv benachteiligt würden vor allem Eigentümer, die in den eigenen vier Wänden wohnten, und Mieter bei privaten Eigentümern, sagt Kai Warnecke, Präsident des Verbandes Haus & Grund Deutschland. In einem Rechenbeispiel für Dresden beträgt die Erhöhung sogar knapp 4800 Prozent - von einer aktuellen Steuerbelastung von 31 Euro auf 1538 Euro steigend. Der Immobilienverband GdW sieht das ähnlich: “Das vorgesehene Modell benachteiligt ausgerechnet diejenigen, die moderate Mieten anbieten”, kritisiert GdW-Präsident Axel Gedaschko.

WIE WILL SCHOLZ SEIN VERSPRECHEN HALTEN?

Die Kommunen - als Profiteur der Grundsteuer - sollen nach dem Wunsch des Finanzministers dafür sorgen, dass das gesamte Steueraufkommen nicht steigt. Die Hebesätze müssten also gesenkt werden. Das Problem: Scholz hat dafür keine Handhabe. Im Gesetzentwurf heißt es lapidar: “An die Gemeinden wird appelliert, die durch die Neubewertung des Grundbesitzes resultierenden Belastungsverschiebungen durch eine gegebenenfalls erforderliche Anpassung des Hebesatzes auszugleichen, um ein konstantes Grundsteueraufkommen zu sichern.” Die Sprecherin des Finanzministeriums räumt ein, dass die Entscheidung nicht in der Zuständigkeit des Bundes liege. “Wir können Kommunen nicht zwingen.”

UM WIE VIEL GELD GEHT ES FÜR DIE KOMMUNEN?

Über die Grundsteuer fließen jährlich 14,8 Milliarden Euro in ihre Kassen. Mit der Grund- und Gewerbesteuer können Kommunen ihre Einnahmen am besten steuern, sollten sie etwa für Schulen oder Kitas mehr Geld brauchen.

WAS PASSIERT OHNE EINIGUNG?

Sollte die angestrebte Reform nicht gelingen, darf die Grundsteuer ab 2020 nicht mehr erhoben werden. Scholz könnte deswegen auf Zeit spielen, weil er vermeintlich am längeren Hebel sitzt und der Druck im Verlauf des Jahres immer größer wird. Spätestens ab Herbst würde die Zeit sehr knapp, das Gesetzgebungsverfahren noch rechtzeitig abschließen zu können.

WIE VERHALTEN SICH DIE LÄNDER?

Besonders kritisch hat sich bislang Bayern geäußert. Ministerpräsident Markus Söder sagt zu den Scholz-Plänen: “Dies ist ein sehr enttäuschender Vorschlag. Das wird so nicht Gesetz werden.” Es fehle noch immer eine Öffnungsklausel, die den Ländern erlaube, eigene Regelungen zu treffen. “Damit ist der Zug aufs falsche Gleis gesetzt.” Ohne Öffnungsklausel will etwa Bundesinnenminister Horst Seehofer (CSU) nicht zustimmen, auch Kanzlerin Angela Merkel zeigt für eine solche Klausel Sympathie. Zudem wird in der Union darauf verwiesen, dass in anderen Landesregierungen die jeweiligen Koalitionspartner FDP und Grüne wohl auf eine Ablehnung im Bundesrat dringen dürften.

WIE KÖNNTE EIN KOMPROMISS AUSSEHEN?

Ohne Zugeständnisse wird Scholz den Gesetzentwurf aller Wahrscheinlichkeit nach nicht durch das Kabinett bringen. Experten zufolge könnte das Finanzministerium Teile der Berechnung der Grundsteuer öffnen, damit jedes Bundesland eigene Besonderheiten stärker berücksichtigen kann. Das wäre die kleine Lösung. Der größere Ansatz wäre, die gesamte Gesetzgebung zur Grundsteuer an die Länder zu geben. Strittig ist dabei aber, ob hierfür das Grundgesetz geändert werden müsste, was stets mit hohen Hürden verbunden ist. Im Innen- und im Justizministerium wird bemängelt, dass Scholz seinen Gesetzentwurf nicht auf seine Verfassungstauglichkeit abklopfen ließ.

WIRD DIE GRUNDSTEUER KÜNFTIG ZU MEHR BÜROKRATIE FÜHREN?

Unions-Politiker und Lobbyisten der Immobilienbranche befürchten ein “Bürokratiemonster”. Aus Scholz’ Gesetzentwurf geht hervor, dass Tausende zusätzliche Finanzbeamte für die Neuberechnung der Grundstückswerte benötigt werden, was in den nächsten Jahren mit Personalkosten von zusammen 538 Millionen Euro verbunden wäre. “Der Vorschlag von Scholz ist viel zu kompliziert und belastet die Steuerpflichtigen und die Finanzverwaltung übermäßig”, klagt Haus&Grund-Präsident Warnecke.


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