Die Ostermarschierer waren einst eine mächtige Bewegung. Hunderttausende demonstrierten Mitte der 1980er Jahre gegen Atomwaffen. Zu den Ostermärschen 2019 kamen in Köln nur 60, in Hannover 400, in Berlin etwa tausend Menschen. Dabei kehren Atomwaffen unübersehbar auf die Agenda zurück. Die USA und Russland ziehen sich aus den Abkommen zur atomaren Rüstungsbegrenzung zurück – auch weil China sich der Rüstungskontrolle verweigert – und modernisieren ihre Arsenale.
Woran liegt es, dass die Veranstalter so wenig Resonanz finden? Sie haben versucht, sich mit „Fridays for Future“ und den Initiativen für Klima- und Umweltschutz zusammenzutun. Doch deren Erfolge strahlen nicht auf sie ab.
Es hat wohl damit zu tun, wie die Organisatoren sich präsentieren. Ihre Aufrufe sind teils bedeutungsleer, teils von erstaunlicher Einseitigkeit, teils führen sie zu Widersprüchen. „Für Frieden“ und „Gegen Krieg“: Da kann jeder zustimmen. Nur, gegen wen richtet sich das? Es gibt schließlich niemanden in Deutschland, der das Umgekehrte fordert.
Die Einseitigkeit besorgen die Redner. Alles Übel kommt von der Nato, den USA und der „EU- Militarisierung“. Kein Wort verlieren sie zur Annexion der Krim, zur russischen Kriegsführung in der Ost-Ukraine und in Syrien, zu Chinas Imperialpolitik in Asien. Der einzige reale Krieg, gegen den der Aufruf zum Marsch in Berlin protestiert, ist das Eingreifen der Nato auf dem Balkan vor 20 Jahren. Die Vorgeschichte, die serbischen Massaker in Bosnien und im Kosovo, werden nicht erwähnt.
Widersprüchlich klingen die Aussagen zur EU. Sie sind auch als Empfehlung für die Europawahl in fünf Wochen gedacht. Gegen Aufrüstung, gegen Waffenexporte, für europäische Einigung. Die Veranstalter haben eine Musterrede ins Netz gestellt, die die Abschaffung aller Waffen zur Vorbedingung der Integration Europas erklärt. Da wird deutlich: Die Ostermärsche und die Friedensbewegung sind ein deutsches Phänomen. Franzosen, Balten, Italiener demonstrieren nicht für die eigene Entwaffnung. Wenn sie über Frieden im zusammenrückenden Europa reden, denken sie an die Zusammenlegung der nationalen Armeen und Rüstungsindustrien.
Frieden wollen die anderen Europäer auch. Sie sind nicht für Krieg. Die große Mehrheit glaubt aber, dass das gemeinsame Europa Militär braucht, um Frieden zu sichern. Und eine leistungsfähige Rüstungsindustrie, um die Abhängigkeit von den USA zu verringern.
Die Friedensideale der Ostermarschierer – und, genereller, der deutschen Linken – stehen im Konflikt mit diesen Einigungsbemühungen in der EU-Sicherheitspolitik. Daher rührt der Streit mit Frankreich um Exportbeschränkungen für Rüstungsgüter. Vordergründig geht es um Saudi-Arabien, tatsächlich um den Kompromisswillen bei gemeinsamen Vorhaben. Die SPD wünscht, anders als die Ostermarschierer, mehr Kooperation in der Verteidigungspolitik. Auch sie beharrt aber auf härteren Exportrichtlinien. Die sollen auch Frankreich und andere Länder binden, wenn gemeinsame Militärgüter ausgeführt werden.
Da liegt ein Grundproblem deutscher Europapolitik: Viele Deutsche stellen sich die Integration so vor, dass die anderen Europäer die deutschen Vorstellungen übernehmen, von der Energie- bis zur Verteidigungspolitik. Nur: Warum sollen Franzosen, Polen, Spanier sich deutschen Vorgaben unterordnen?
Europa wird nur zusammenwachsen, wenn alle Beteiligten zu Kompromissen bereit sind, also Abstriche an ihren nationalen Positionen machen. Wer das nicht möchte, steht Europa im Weg.
Europäische Verteidigungspolitik heißt: Europa baut einen gemeinsamen Panzer statt ein Dutzend verschiedene. Und ein gemeinsames Kampfflugzeug. Das ist preiswerter und effizienter, begrenzt also den Anstieg der Verteidigungsausgaben. Der Fokus auf die je nationalen Waffenschmieden führt zu Verschwendung. Das heißt aber auch: Europa braucht gemeinsame Richtlinien für Waffenexporte. Das werden weder die deutschen noch die französischen, polnischen oder italienischen sein. Sondern ein Kompromiss.
Europa ist kein Wunschkonzert. Die Einigung hat ihren Preis: den Abschied von eigenen Idealvorstellungen und die Akzeptanz des Mehrheitswillens aller Europäer.
80 Jahre nach dem Hitler-Stalin-Pakt darf die deutsche Friedensbewegung auch darüber nachdenken, wie sie das Vertrauen der Völker gewinnt, die damals Opfer waren. Es genügt nicht, „Frieden“ und „Entwaffnung“ zu rufen. Schon gar nicht, wenn das mit dem Lob Russlands einhergeht.
tagesspiegel
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