Immer mehr junge Leute beteiligen sich inzwischen an den „Fridays for Future“, an jener Bewegung, die am 15.3.2019 eine Million Menschen in über 2.000 Städten, in 125 Ländern, auf allen Kontinenten vereinte. Der „Spiegel“ sah sie heroisch: „Greta Thunberg erobert Rom". Der „Deutschlandfunk“ sieht sie als „Allheilsbotschafterin". Die „Bild“-Zeitung schreibt wohlwollend über die „Die große Greta-Show in Berlin". Eins ist sicher: Greta ist bewegend, die kann bewegen und bisher fand diese Bewegung unter freiem Himmel statt, auf Straßen und Plätzen. Greta war das sympathische Gesicht einer neuen außerparlamentarischen Opposition.
Nun rief Greta den Wählern in der Europäischen Union zu: „Sie sollen Leute wie mich wählen, die von der Krise betroffen sein werden". Diesen Wahlaufruf verkündete jene Klima-Ikone, die ihre Generation gerade in das politische Handeln geführt hatte. Sie ruft zur Wahl zu einem Parlament auf, das von Lobby-Organisationen geradezu umzingelt ist: Rund 25.000 Lobbyisten mit einem Jahresbudget von 1,5 Milliarden Euro nehmen in Brüssel Einfluss auf die EU-Institutionen. Unter ihnen jede Menge Energiekonzerne. Großkonzerne – die Hauptverursacher der Klima-Katastrophe – zahlen fast nirgends in der EU die gesetzlich vorgeschriebenen Steuern. Der gesetzliche Unternehmenssteuersatz in der EU beträgt durchschnittlich 23 Prozent, doch die Firmen zahlen im Schnitt nur 15 Prozent. Und Steuern sind das wesentliche Steuermittel zur Lenkung der Emissionen. Immerhin stammen 56,8 % der Treibhausgasemissionen in der EU aus der Energiegewinnung. Der Weg zum EU-Parlament ist der Weg in den Suizid einer außerparlamentarischen Bewegung.
Wahrscheinlich ist es zu viel verlangt von einer 16-Jährigen – die immerhin mit Erfolg jede Menge Menschen weit über ihre Generation hinaus für ein wichtiges Menschheitsziel bewegt hat – einen kritischen Blick auf den Parlamentarismus zu erlangen. Aber was ist mit den erwachsenen Oppositionellen? Die Linke will „Europa anders denken" und geht mit einer Reihe respektabler Forderungen ins Wahlgefecht. Na, ist man versucht zu sagen: Dann denkt mal schön. Oder in der Abwandlung eines Opa-Spruchs: „Der Mensch denkt und der Konzern lenkt“. Gleich um die Ecke, leicht links, die Grünen. Die wollen „Europas Versprechen erneuern". Wer ist eigentlich der ‚Herr Europa‘? Und was hat er versprochen? Und wenn er mal was versprochen haben sollte, dann hat er es längst mehrfach gebrochen. Zum Erbrechen blöd, wer auf ein parlamentarisches Konstrukt setzt, das sich als Nato-Partner versteht und als Gründung gegen die Sowjetunion bis heute im blinden, ahistorischen Reflex gegen Russland agiert.
Doch wer denkt, der EU-Illusionen seien nun genug, der findet die größte Seifenblase in einer Aktion, die sich „Europa für alle" nennt. Da rufen jede Menge Organisationen – unter ihnen auch die Grünen und die Linke zur EU-Wahl vom 23. bis 26. Mai 2019 auf. Zentrale Begründung: Die EU sei gegen Nationalismus! Als ob es in der EU nicht ein nationales Sonderbündnis zwischen Deutschland und Frankreich gäbe. Als ob die Deutschen nicht der Hauptprofiteur der EU wäre. Aber das Einseifen geht weiter im Text des Flyers: „Unser Europa der Zukunft verteidigt Humanität und Menschenrechte; steht für Demokratie, Vielfalt und Meinungsfreiheit; garantiert soziale Gerechtigkeit und treibt einen grundlegenden ökologischen Wandel und die Lösung der Klimakrise voran." Als gäbe es kein EU-Militär. Als habe sich die EU, zum Beispiel im Fall der Ukraine, nie als Vorfeld-Organisation der Nato verstanden. Dafür sollen, nach dem Willen der Initiatoren, am 19. Mai europaweit „zehntausende Menschen gleichzeitig auf die Straße gehen". Und natürlich ist unter den Unterstützern des Aufrufes auch „Avaaz“ wieder dabei, jene Truppe, die in Syrien die sogenannte Opposition unterstützt hat und damit Partner der ausländischen Interventen war. Eine Organisation, die auch gern Geld vom Multi-Milliardär George Soros annahm.
Das Impressum des „EU-ist-total-gut“-Flyers weist Uwe Hiksch als Verantwortlichen und Chef des „Demobüros" aus. Hiksch ist ein Hans-Krampf in allen Gassen. Er war mal in der SPD. Zurzeit soll er einer der Sprecher des bundesweiten Arbeitskreises „Europäische Integration“ der Linkspartei sein. Hiksch ist immer zu sehen, wenn eine Bühne und ein Mikro in der Nähe sind. Nun arbeitet er als Promoter parlamentarischer Visionen. Vor fünf Jahren lag die Wahlbeteiligung zur EU-Wahl europaweit bei historisch niedrigen 42,6 Prozent. Da muss mobilisiert werden. Mit allen Mitteln. Auch mit dem außerparlamentarischen Sektor. Da sind sogar Demonstrationen recht. Jene Formen demokratischer Artikulation, für die in den Mitglied-Staaten der EU primär die Polizei zuständig ist. Die französischen Gelbwesten können ein Lied davon singen. Doch davon im Hiksch-Flyer keine Rede.
Dass Greta – die außerparlamentarische Ikone – mit einem Wahlaufruf von der Bühne der direkten Aktion abtritt, ist bedauerlich. Denn in den Aktionen kann man all das lernen, was bei Wahlen ausgeblendet ist: Mißtrauen gegenüber den politischen Instanzen, Vertrauen in die eigene Kraft. Denn die Parlamente sind verführerisch. Sie sind Orte der Korruption: Sei es durch die aktiven, materiellen Zuwendungen der Lobbyisten. Sei es durch den wunderbaren Glauben, man könne im Parlament tatsächlich etwas bewegen. Diese Selbsttäuschung ist die billigste Korruption. Wahlen zum EU-Parlament gibt es seit 1979. Sein Hauptzweck ist von Beginn an die Stabilisierung der Finanzherrschaft. Bestes Beispiel: Der Euro-Coup. Wer seine Stimme dort abgibt, bekommt sie nie wieder.
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