Bundeskanzlerin Angela Merkel wird nun doch stärker in den Europawahlkampf eingreifen als bislang erwartet, ein wenig jedenfalls. Nach Informationen des SPIEGEL wird die CDU-Politikerin gemeinsam mit dem EVP-Spitzenkandidaten Manfred Weber nicht nur bei der Abschlussveranstaltung in München auftreten, sondern auch am 18. Mai bei einer Veranstaltung der Europäischen Volkspartei (EVP) in Zagreb.
EVP-Kreise bestätigten den eher ungewöhnlichen Termin. Weber ist Spitzenkandidat der EVP für die Europawahl und hat, da die EVP aller Voraussicht nach als stärkste Parteienfamilie aus der Wahl hervorgehen wird, gute Aussichten, nach der Wahl Kommissionspräsident zu werden.
In den vergangenen Tagen hatte verwundert, dass Merkel, mit Ausnahme des Auftritts in München, an keiner Unions-Wahlkampfveranstaltung in Deutschland teilnehmen wird. Auch beim offiziellen deutschen Wahlkampfauftakt um 13 Uhr in Münster fehlt die Kanzlerin. Nun also: Zagreb statt Münster, Kroatien statt NRW.
Einerseits macht das Sinn, weil Merkel den CDU-Parteivorsitz im Dezember an Annegret Kramp-Karrenbauer abgegeben hat. Andererseits ist Merkel seit Jahren das wichtigste Gesicht der deutschen Europapolitik, sodass ihr Fernbleiben im Wahlkampf erklärungsbedürftig ist. Will die Kanzlerin für ein mögliches schlechtes Abschneiden der Union nicht haftbar gemacht werden? Und, nicht zuletzt: Warum zieht Merkel sich ausgerechnet jetzt zurück, wo mit Weber zum ersten Mal seit mehr als 50 Jahren ein Deutscher die Chance hat, Kommissionschef zu werden?
Merkel hat zwar mehrfach betont, dass sie Webers Kandidatur für den Job des Kommissionspräsidenten unterstützt. Auch seine Bewerbungsrede beim EVP-Parteitag im vergangenen Herbst in Helsinki hat durchaus Eindruck bei der Kanzlerin hinterlassen, so ist zu hören. Andererseits kann Merkel nicht sicher sein, ob sie den CSU-Mann im Ringen mit den anderen Staats- und Regierungschefs nach der Wahl auch auf dem Posten durchsetzen kann.
Das Konzept des Spitzenkandidaten kam bei der Europawahl 2014 erstmals zur Anwendung, damals setzte sich Jean-Claude Juncker gegen den deutschen SPD-Politiker Martin Schulz durch. Merkel, das weiß man, ist kein Fan des Konzepts. Frankreichs Präsident Emmanuel Macron auch nicht, das macht die Sache nicht einfacher.
Kein Wunder, dass Merkels Auftritt in Zagreb in Brüsseler Parteikreisen als ausdrückliche Unterstützung gewertet wird - und zwar für den Spitzenkandidaten persönlich. Dass Merkel mit Weber kann, ist bekannt. Im Vergleich zu CSU-Haudegen wie Markus Söder, Alexander Dobrindt oder Horst Seehofer tritt Weber gemäßigt auf. Beim Streit der Schwesterparteien in der Flüchtlingspolitik vor gut einem Jahr bemühte er sich um ausgleichende Töne. Der Termin in Kroatien, über den zunächst die "Rheinische Post" berichtet hatte, stehe bereits länger fest, wie alle Beteiligten betonten.
Allerdings war es nach Informationen des SPIEGEL gar nicht so einfach, den passenden Rahmen für Merkels Engagement zu finden. Schon die Suche nach einem geeigneten Ort war nicht ohne Fallstricke. Immerhin ist es unüblich, dass ausländische Regierungschefs fern der Heimat in den Wahlkampf ziehen. Spanien etwa schied aus, weil dort am Sonntag gewählt wird. Ein Auftritt der deutschen Kanzlerin unmittelbar vor oder nach der Wahl verbietet sich. Auch in Frankreichwäre es eher heikel geworden. Präsident Macron hat zwar beim EU-Gipfel und auch sonst immer ein Küsschen für die Kanzlerin parat. Andererseits macht er keinen Hehl daraus, wie wenig er von der EVP hält, immerhin gehört auch Viktor Orbán zu dem Club. Eine Rede der Kanzlerin für die EVP hätte da eher für Verstimmung gesorgt.
Mit Kroatien können nun offenbar alle leben. Bei der Kundgebung der HDZ-Partei (deutsch: "Kroatische Demokratische Union") wird auch Regierungschef Andrej Plenkovic dabei sein. Seine Partei gehört wie CDU und CSU aus Deutschland der EVP an.
Womöglich kann Merkel den Termin sogar für ein bisschen Politik jenseits der Partei nutzen: Kroatien hat im kommenden Jahr unmittelbar vor Deutschland die rotierende EU-Ratspräsidentschaft inne. Und zu besprechen gibt es angesichts der europäischen Krisen genug.
spiegel
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