Zum Straßenbau laufen 65 Enteignungsverfahren in Deutschland

  03 Mai 2019    Gelesen: 684
Zum Straßenbau laufen 65 Enteignungsverfahren in Deutschland

Zur Lösung der Wohnungsnot hält die Bundesregierung Enteignungen für ungeeignet – beim Straßenbau ist das offenbar anders.

Die Bundesregierung hält die Enteignung von Wohnungskonzernen in Berlin für das völlig falsche Mittel - aber zum Bau von Autobahnen und Bundesstraßen laufen derzeit bundesweit 65 Enteignungsverfahren gegen Grundstücks-, Haus- und Wohnungsbesitzer: „35 davon betreffen den Bau von Bundesautobahnen und 30 den Bau von Bundesstraßen“, heißt es in einer Antwort des Verkehrsministeriums auf eine Anfrage des Grünen-Politikers Sven-Christian Kindler, die dem "Tagesspiegel" (Donnerstagausgabe) vorliegt. Diese Enteignungen werden mit dem Paragraphen 19 des Bundesfernstraßengesetzes begründet, nach dem Enteignung zulässig ist, „soweit sie zur Ausführung eines festgestellten oder genehmigten Bauvorhabens notwendig“ und entsprechend Artikel 14 des Grundgesetzes zum Wohle der Allgemeinheit ist. Die genannten 65 Enteignungsverfahren laufen derzeit in insgesamt zehn Bundesländern.

„Wenn es darum geht, neue überflüssige Autobahnen durchzudrücken, haben CDU, CSU und FDP keine Probleme mit der Enteignung von Privatleuten und Bauern“, sagte Kindler dem "Tagesspiegel". „Geht es aber um die Vergesellschaftung großer Immobilienkonzerne, die ihre Marktmacht für Preistreiberei ausnutzen, heulen sie laut auf.“ Die Vergesellschaftung großer Immobilienkonzerne sei nicht das erste Mittel, könne aber am Ende eine Möglichkeit sein, um Missbrauch mit Wohnraum zu unterbinden und für faire Mieten zu sorgen. 

Die Frage der Enteignung ist derzeit hoch umstritten – unter Verweis auf den Artikel des 15 des Grundgesetzes versucht eine Initiative in Berlin derzeit einen Volksentscheid zu erreichen, um gegen Milliardenentschädigungen Konzerne mit über 3000 Wohnungen in Berlin zu enteignen und Wohnungen zu vergesellschaften. So sollen steigende Mieten und ein Herausdrängen der Mieter gestoppt werden. Die FDP will deshalb eine Grundgesetzänderung im Bundestag und Bundesrat anstreben, um den Artikel 15 zu streichen, der die Vergesellschaftung  von Privateigentum gegen Entschädigungen ermöglicht. Artikel 14, durch den Enteignungen zum Wohle der Allgemeinheit wie zum Beispiel für den Autobahnbau oder zur Energiegewinnung möglich sind, wollen die Liberalen hingegen behalten.

Der FDP-Haushaltsexperte Otto Fricke sagte dem "Tagesspiegel", man habe dieses Ansinnen für eine Abschaffung von Artikel 15 Grundgesetz (GG) schon 2001 und 2006 in den Bundestag eingebracht. Der Artikel ist noch nie angewandt worden und ist laut Fricke bei Erarbeitung des Grundgesetzes ein Zugeständnis an die SPD gewesen. Er besagt, dass „Grund und Boden, Naturschätze und Produktionsmittel zum Zwecke der Vergesellschaftung durch ein Gesetz, das Art und Ausmaß der Entschädigung regelt, in Gemeineigentum oder in andere Formen der Gemeinwirtschaft überführt werden können“. 

Im Gegensatz zu zielgerichteten Einzelfall-Enteignungen nach Artikel 14 GG zum spezifischen Wohl der Allgemeinheit sei es bei Artikel 15 GG ganz anders, sagte Fricke: „Hier wird die pauschale Möglichkeit - zum Zwecke der Vergesellschaftung - zum Eingriff in private Eigentumsrechte geschaffen.“ Insofern sei der  Artikel 15 letztlich ein überkommener Sonderfall des Artikel 14 des Grundgesetzes. „Er ist aber eben auch eine Bedrohung für unsere Wirtschaftsordnung in der Form der sozialen Marktwirtschaft, wie man ja anhand der Äußerungen von Sozialisten und sozialisierenden Grünen erkennen kann“, begründete Fricke im "Tagesspiegel" die Initiative für die Abschaffung.

tagesspiegel


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