Schlechter Zeitpunkt für Wechsel an der Regierungsspitze

  02 Mai 2019    Gelesen: 593
Schlechter Zeitpunkt für Wechsel an der Regierungsspitze

Die Ankündigung einer CDU-Klausurtagung hatte Spekulationen um eine baldige Ablösung der Kanzlerin durch Annegret Kramp-Karrenbauer entfacht. Der Zeitpunkt wäre jedoch denkbar ungünstig. 

Die Kanzlerin wirkt sichtlich entspannt. Im brandenburgischen Schwedt beantwortet Angela Merkel am Dienstagabend Fragen von Bürgern. Ab und zu macht sie ein typisches, trockenes Merkel-Scherzchen und erntet beifälliges Lächeln. Selbst im Osten gehen die Menschen mittlerweile freundlicher mit ihr um. Am Schluss kommt dann doch noch eine Frage nach ihrer Flüchtlingspolitik. Das Gesicht von Merkel verdüstert sich kurz. Dann sagt sie, die Fehler lägen vor 2015, weil sich weder Deutschland noch Europa um die Flüchtlingsgebiete vor Ort gekümmert hätten. Kein Widerspruch? Vielen Dank. Schönen 1. Mai.

Die CDU-Vorsitzende Annegret Kramp-Karrenbauer hat es da zurzeit ungleich schwerer. Sie muss wahlkämpfen – ohne die Kanzlerin. Bilder, die die beiden Führungsfrauen der CDU mit ernstem Gesicht wortlos nebeneinander sitzend zeigen, hatten den Eindruck geschürt, es sei dicke Luft zwischen ihnen. Nein, sagte Kramp-Karrenbauer der Deutschen Presse-Agentur. "Wir haben ein ausgesprochen gutes Verhältnis."

Können Kramp-Karrenbauers Konkurrenten sich in Stellung bringen?
Angesichts der sinkenden Umfragewerte ist es in der Tat nicht verwunderlich, dass sich CDU-Chefin und Kanzlerin nicht immer mit einem Dauerlächeln begegnen. Im Gegenteil: Das macht nervös. Zumal den beiden auch klar ist, dass je länger eine Amtsübergabe dauert, umso besser können sich die parteiinternen Konkurrenten Kramp-Karrenbauers wieder formieren. So werden dem CDU-Vize und nordrhein-westfälischen Ministerpräsidenten Armin Laschet durchaus Ambitionen nachgesagt.

CDU-Chefin und Kanzlerin können also keinen Spaltpilz gebrauchen. Sicherlich, der Abstimmungsbedarf sei wesentlich höher, sagt die CDU-Chefin. Das sei eben eine ungewohnte Situation für die CDU. Die Trennung zwischen Partei- und Kanzleramt vergangenes Jahr sei jedoch richtig gewesen. Der höhere Abstimmungsbedarf geht aber ganz offensichtlich vor allem zu Lasten Kramp-Karrenbauers, zumal ihr ein öffentliches Amt fehlt, in dem sie sich hinreichend profilieren könnte.

Die Kanzlerin genießt dagegen nach wie vor hohe Zustimmungswerte. Es dürfte also nicht so einfach sein, sie aus dem Amt zu drängen. Sie kann bisher noch selbst bestimmen, wann sie das Kanzleramt räumt. Ein vorzeitiger Wechsel im Kanzleramt wäre, das dämmert inzwischen auch der FDP, die lieber heute als morgen in eine Jamaika-Koalition mit Union und Grünen gehen würde und angeblich auch schon entsprechende Vorbereitungen trifft, wohl nur mit einer Neuwahl möglich.

Merkel hat wichtige Erfahrungen 
Er ist auch deswegen schwierig, weil in der zweiten Hälfte 2020 Deutschland wieder die EU-Ratspräsidentschaft übernimmt. Ein Wechsel im Kanzleramt von der erfahrenen Merkel zur zu diesem Zeitpunkt dann noch unerfahrenen Kramp-Karrenbauer kurz vor oder während der Präsidentschaft, wäre politisch sicherlich nicht sonderlich klug.

Zudem könnte in nächster Zeit die Entscheidung über den künftigen EU-Haushalt fallen sowie über die mittelfristige europäische Finanzplanung. Für Deutschland bedeutet der Austritt des Nettozahlers Großbritannien absehbar mehr Mittel für den EU-Haushalt. Und dabei geht es auch, wie Thüringens CDU-Chef Mike Mohring in der "Thüringer Allgemeinen" unterstreicht, um die Vergabe von Fördermitteln für Ostdeutschland. Hier sei der Einfluss Merkels gefragt.

Im laufenden Jahr 2019 also einen Amtswechsel? Das ist ein sehr sensibles Thema. Denn jede Partei, die fahrlässig und ohne triftigen, dem Bürger vermittelbaren Grund eine Regierungskoalition sprengt, muss mit Konsequenzen des Wählers rechnen. Zudem tut sich die Union mit einem solchen Staatsakt, und das ist ein Wechsel im Kanzleramt auf dem Wege einer Neuwahl allemal, besonders schwer.

Kramp-Karrenbauer kann sich profilieren
Vor diesem Hintergrund ist es also grundsätzlich nicht falsch, wenn Kramp-Karrenbauer sagt: "Es gilt für die CDU das Wort der Kanzlerin, dass diese Regierung für die ganze Legislaturperiode gewählt ist. Deshalb denken wir auch in dieser Legislaturperiode und nicht in anderen Szenarien."

Was aber AKK, wie sie in der Partei kurz genannt wird, tun kann, ist, sich auf alle Eventualitäten nach der Europa- und Bremenwahl vorzubereiten. Von daher ergibt es Sinn, schon eine Woche nach der Wahl, am 2. und 3. Juni, die CDU-Führung zu einer Klausur zu bitten. Und es ist ebenfalls sinnvoll, dabei über die Schwerpunktsetzung im Koalitionsvertrag und bei der Haushaltsplanung zu beraten. Denn nachlassende Wirtschaftskraft Deutschlands und der Brexit sollten bei der künftigen Schwerpunktsetzung berücksichtigt werden. Man wolle auch die eigenen Themen in der Sommerpause und in den Herbst hinein vorantreiben, wenn im Osten Wahlen anstehen.

Und wer weiß, vielleicht wird ja die SPD schon nach der Europawahl nervös. Wenn nicht, steht Ende des Jahres mit den Wahlen in den Ostländern Brandenburg, Sachsen und Thüringen eine Zwischenbilanz der SPD zum Regierungshandeln im Bund an und zur Entscheidung, ob man weitermachen will in der großen Koalition oder nicht.

Die CDU will wieder das Heft des Handels zurückbekommen. Derzeit reagiert sie vor allem auf die Forderungen der Sozialdemokraten, die sich in den Augen der Union mit ihren Sozialthemen immer weiter links positionieren. Die Partei ist entschlossen, ihrerseits zu prüfen, was in der Mitte der Legislaturperiode geändert werden muss, und der SPD eigene Forderungen entgegenhalten. Was sie aber auf keinen Fall zulassen will, ist, dass sie von Juso-Chef Kevin Kühnert vorgeführt wird.

tagesspiegel


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