Kurz drohen Neuwahlen mit Déjà Vu

  19 Mai 2019    Gelesen: 664
  Kurz drohen Neuwahlen mit Déjà Vu

Die umstrittene Koalition mit der FPÖ ist noch gar nicht ganz beendet, da wirbt Österreichs Bundeskanzler Sebastian Kurz schon um Stimmen. Kein Wunder, wird es doch eine schwere Mission.

Der Mann, den sie früher das "Wunderkind" nannten, hat an einem denkwürdigen Samstag ein politisches Kunststück vollbracht: Österreichs Bundeskanzler Sebastian Kurz war um Stunden zu spät – und doch einen Schritt voraus. Mehr als einen ganzen Tag hatte er verstreichen lassen, bis er sich äußerte zum Skandal, der als "Ibiza-Affäre" bis weit über Österreichs Grenzen hinaus für Gesprächsstoff sorgt. Am Freitagabend hatte die erste Meldung über das Video von Vizekanzler Heinz-Christian Strache von der Rechtsaußen-Partei FPÖ die Republik durchgeschüttelt. Als Kurz tags darauf um 19.46 Uhr endlich vor die Kameras trat, hatte Strache seinen Rücktritt schon lange erklärt, vor mehr als sieben Stunden.

Seit dem Mittag schon tanzten Demonstranten vor dem Kanzleramt am Wiener Ballhausplatz zur neuen Anti-Regierungshymne "We're going to Ibiza" von den Venga Boys, die Bässe waren gut zu hören in Kurz' Regierungssitz, genauso wie die Trillerpfeifen und die lauten "Neuwahlen!"-Sprechchöre. Auf den Fernsehbildschirmen jagte eine Sondersendung die nächste, Experten und Oppositionspolitiker forderten ein klärendes Statement vom Kanzler. Und der? Wartete bis zu den Abendnachrichten – und hielt sich in seinem Statement nicht lange mit dem Ende der Koalition auf, sondern ging gleich einen Schritt weiter: Kurz läutete vor großem Publikum den Wahlkampf ein. Minutenlang pries er die gute Arbeit der Koalition, die er gerne fortsetzen würde, aber eben ohne die Skandale der FPÖ. "Wenn Sie mit meinem Kurs zufrieden sind", wendete er sich direkt an die Wähler, "dann brauchen wir bei der nächsten Wahl klare Verhältnisse. Dafür bitte ich Sie um Ihre Unterstützung." Ein klarer Fall von Frühstart – aber Kurz kann jeden Vorteil brauchen, denn er ist bei den Neuwahlen zu mehr als nur zum Siegen verdammt.

Die schwere Suche nach einem Koalitionspartner

So oft und ausgiebig, wie Kurz in deutschen Medien bejubelt wird, gerät fast ein wenig in Vergessenheit, dass er 2017 in reinen Prozentzahlen besehen ein schlechteres Wahlergebnis (31,5%) holte als Angela Merkel mit der CDU (32,9%). Wie die deutsche Kanzlerin war er auf einen relativ starken Partner angewiesen, der in seinem Fall eigentlich nur FPÖ heißen konnte – im Wahlkampf hatte Kurz vehement das Ende des Stillstands in der verhassten Großen Koalition versprochen, da konnte er schlecht das nächste Bündnis mit der SPÖ anführen.

Nach den Neuwahlen, die wahrscheinlich Ende September abgehalten werden, droht Kurz ein ähnliches Dilemma – es sei denn, er steigert das Ergebnis seiner ÖVP, möglichst nahe an die magische 40-Prozent-Marke. Immer wieder und besonders nach jedem neuen Skandal der FPÖ wurde gemunkelt, Kurz beobachte die Umfragen genau, und sobald sich eine günstige Konstellation abzeichne, würde er neu wählen lassen. Allein: Bislang hat noch kein einziger Skandal die Umfragewerte der Freiheitlichen Richtung Keller geschickt.

Auch deswegen nahm sich Kurz so viel Zeit, bis er dann doch das Ende von Türkis-Blau verkündete: Er wälzte andere Optionen. Drei hatte er, nur zwei verfolgte er ernsthaft - mit der SPÖ existiert derzeit einfach kein gemeinsamer inhaltlicher Nenner, ein fliegender Wechsel wurde offenbar nicht einmal in einem Telefongespräch sondiert. Lange verhandelte Kurz dagegen mit der Interims-Führung der FPÖ, die ihm eine Fortsetzung der Koalition unter einem Vizekanzler Norbert Hofer anbot. Laut österreichischen Medien scheiterte dieses Modell nicht an der Person des Verkehrsministers, sondern an der bis "Ibizagate" größten Reizfigur der Regierung: Sebastian Kurz verlangte die Ablösung von Innenminister Herbert Kickl, angeblich reklamierte er sogar das Ministeramt für seine ÖVP. Die FPÖ winkte ab, also entschied sich Kurz für Neuwahlen.

Ibiza ist nicht Knittelfeld – oder doch?

Wenn der abgegriffene Satz von der Krise, die Chancen und Risiken birgt, jemals gestimmt hat, dann für die Ausgangslage von Sebastian Kurz. Die Chancen zeigt ein historisches Vorbild, das in diesen Tagen oft hervorgekramt wird: Die erste schwarz-blaue Regierung unter ÖVP-Kanzler Wolfgang Schüssel, die 2002 ein jähes Ende fand. FPÖ-Chef Jörg Haider höchstpersönlich sprengte auf dem legendären Parteitag im steirischen Knittelfeld seine Partei und damit auch die Koalition. In den Neuwahlen legte die ÖVP um 15 Prozentpunkte auf 42 Prozent zu und dominierte das erneute Bündnis mit der arg dezimierten FPÖ nach Belieben.

Aber nicht nur, weil es komisch klingt, sollte man nicht Ibiza vorschnell zum neuen Knittelfeld erklären. Dass die FPÖ wie 2002 fast 17 Prozentpunkte verliert, scheint unrealistisch. Andererseits: Bessere Voraussetzungen für Neuwahlen als jetzt hätte Kurz wohl auch in den nächsten zwei Jahren kaum vorgefunden. Der Kurs der Regierung stößt in der Bevölkerung mehrheitlich auf Zustimmung, das zeigen die Umfragen ganz deutlich. Kurz muss es nur schaffen, die Wähler davon zu überzeugen, dass er der alleinige Steuermann war.

Die FPÖ muss sich dagegen erst einmal neu finden, hat sie doch mit Heinz-Christian Strache ihre unumstrittene Führungsfigur verloren. Strache ist die FPÖ, er hat sie aus den Trümmern des Haider-Abgangs wieder aufgerichtet, von 11 Prozent bei den Wahlen 2006 bis auf die 26 Prozent im Herbst 2017. Auch wenn er sich als Vizekanzler die neue Rolle des Staatsmannes antrainierte – in den Wahlkämpfen leitete er stets die Abteilung Attacke, mit seiner dröhnenden Stimme, die jedes noch so große Bierzelt mit den Slogans von Mastermind Herbert Kickl erfüllen konnte. Der – wenn auch nicht in der Sache, aber im Ton – eher sanfte Norbert Hofer, sein designierter Nachfolger, genießt zwar hohen Respekt in der Partei und offenbar auch unter den Bürgern, die ihn Ende 2016 fast zum Bundespräsidenten gewählt hatten. Ob er aber die FPÖ-Klientel wirklich mitreißen kann, darf bezweifelt werden, zumal er auch körperlich immer wieder mit Problemen zu kämpfen hat, die seinen Einsatz in einem langen und harten Wahlkampf erschweren könnten.

Die Schwäche der Anderen

Die Sozialdemokraten muss Kurz derzeit auch nicht fürchten. In den Umfragen hinken sie hinterher, nicht so weit wie die deutschen Genossen, aber trotzdem reichlich aussichtslos. Pamela Rendi-Wagner, seit November 2018 Vorsitzende, hat weder sich noch der Partei ein neues Profil geben können. Unklar, ob die SPÖ überhaupt mit ihr als Spitzenkandidatin in die Neuwahlen gehen wird.

Es ist vor allem diese Schwäche der Konkurrenz, die Kurz optimistisch auf die Neuwahlen blicken lassen kann. Am Ende könnte er dann der große Gewinner sein – nur wenige Monate, nachdem sein Experiment mit der FPÖ im größten Politskandal Österreichs der Zehner-Jahre untergeht.

Quelle: n-tv.de


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