Die Vorsitzenden aller großen deutschen Parteien in ein TV-Studio zu bekommen, um 90 Minuten lang im Vorfeld einer wichtigen Wahl eine Debatte zu führen, klingt vielversprechend. Genutzt hat es wenig: Das "Gipfeltreffen" der ARD glich dem gesamten Europawahlkampf: abstrakt, leidenschaftslos, distanziert - irgendwie staubtrocken. Keiner der Parteichefs kam über die bekannten Polit-Plattitüden wirklich hinweg, keiner konnte wirklich Akzente setzen. Da muss man es fast als dramaturgischen Glücksfall bezeichnen, dass sich in Österreich eine schwere Regierungskrise abspielt. Denn so gab es zumindest ein wenig brisanten Gesprächsstoff.
Das Thema war zu Beginn der Sendung freilich gesetzt und die Erwartungen vor allem an einen Gast hoch. Was würde AfD-Parteichef Jörg Meuthen zu den Ereignissen in Österreich sagen? Zur Erinnerung: Am gestrigen Abend sprach er bei "Anne Will" noch von einem "singulären Ereignis". Knapp 24 Stunden später hat aber nicht nur Vizekanzler Heinz-Christian Strache, sondern inzwischen die komplette FPÖ-Regierungsmannschaft ihren Rücktritt bekanntgegeben. Meuthens Partei blickte in der Vergangenheit zu der mächtigen Schwesterpartei auf. Fraktionschef Alexander Gauland sagte einmal voller Bewunderung: "Alles, was sie machen, ist für uns natürlich vorbildhaft." Inzwischen steht die "vorbildhafte" Partei vor einem Trümmerhaufen.
Und so räumt Meuthen ein, dass die Affäre um das Strache-Video für Österreich "signifikante Auswirkungen" haben könne. Es sei aber vor allem ein "innerösterreichisches Ereignis". Der erste Teil der Einschätzung ist durchaus realistisch. Der ersten Sonntagsfrage nach der Veröffentlichung des Videos zufolge würden aktuell noch 18 Prozent die FPÖ wählen - der schlechteste Wert seit sechs Jahren. Dann jedoch verfällt er in die AfD-typischen Argumentationsmuster. Er vertauscht Ursache und Wirkung, sagt, der Skandal sei von dem Video ausgelöst worden (nicht etwa von Strache) und versucht, vom Thema abzulenken: Fehlverhalten wie aktuell habe es bei den "österreichischen Altparteien" jahrzehntelang gegeben. Nachhaken seitens der Moderation - Fehlanzeige.
Der Dexit ist ja eigentlich nur eine "Drohung"
Die übrigen Parteichefs können freilich gegen den politischen Gegner ausholen. CDU-Chefin Annegret Kramp-Karrenbauer sagt, der Vorfall beweise, "was in den Rechtspopulisten steckt". Grünen-Vorsitzende Annalena Baerbock behauptet, Parteien wie die FPÖ hätten zum Ziel, die Demokratie "kaputt zu machen". CSU-Chef Markus Söder glaubt, nach dem Vorfall sei "überall in Europa keine Zusammenarbeit mit den Rechtspopulisten möglich". Die SPD-Vorsitzende Andrea Nahles hofft auf einen Denkzettel bei der Europawahl für die "konservativen Parteien, die "denen zur Macht verholfen haben". Linken-Chef Riexinger ist sich sicher, dass rechte Parteien bei der Wahl einbüßen werden und der FDP-Vorsitzende Christian Lindner sieht nach dem Brexit den "zweiten Scherbenhaufen", den Rechtspopulisten in Europa hinterlassen würden. So weit, so vorhersehbar.
Aber an diesem Abend soll es ja eigentlich um etwas anderes gehen: europapolitische Themen. Dazu schalten die Moderatoren nach Prag - in ein Land, in dem die EU-Skepsis hoch ist. Danach kommt wieder Meuthen zu Wort, der damit konfrontiert wird, dass auch die AfD als "Ultima Ratio" einen EU-Austritt Deutschlands im Wahlprogramm stehen habe. Aber wäre das letztlich nicht ein Schaden für Deutschland? Der wäre sogar "immens", räumt Meuthen ein. Aber der "Dexit" sei ja auch nur als "manifeste Drohung" formuliert für den Fall, dass die anderen Parteien, die "auf Rechtsstaatlichkeit pfeifen" so weitermachten, wie bisher. Dann hakt die Moderatorin ein und entzieht Meuthen das Wort: "Sie haben die Frage nicht beantwortet", sagt sie. Das hatte er eigentlich schon.
Dann dürfen sich noch SPD und Linke zum Thema Dexit äußern. Nahles fordert, europafeindlichen Parteien müssten notfalls die Mittel gestrichen werden. Riexinger wird gefragt, wie die Linke zum Dexit stehe. Nein, einen EU-Austritt fordere seine Partei nicht, bekräftigt der bekannte Parteipositionen. Warum die anderen Vertreter nicht zu Wort kommen - unklar.
Nächstes Thema: europäische Sozialpolitik. Die Parteichefs haben kurz Gelegenheit ihre Positionen zu vertreten. Dann wird der Zuschauer mitgenommen auf eine Reise nach Spanien, wo ein Reporter in einer Werkstatt erklärt, wie der Mindestlohn in Spanien jüngst um 22 Prozent gestiegen sei. Ob er denn noch "etwas mehr" berichten könne, wird dem Mann vor Ort auf die Sprünge geholfen. Es sind altbekannte Fakten aus dem südeuropäischen Land: die Arbeitslosigkeit sei hoch - auch für Hochqualifizierte. Danach sollen die deutschen Spitzenpolitiker Stellung nehmen zu den Verhältnissen in Spanien. Dabei offenbart sich ein altes Problem in Europawahlkämpfen: Deutsche Parteivertreter schildern, wie sie über Brüssel und Straßburg die Herausforderungen eines anderen europäischen Staates bewältigen wollen. Es wirkt alles weit weg.
Heute gibt es kein Tacheles
Beim Thema Klimaschutz dann wird CDU-Chefin Kramp-Karrenbauer aufgefordert, doch mal "Tacheles" zu reden. Immerhin habe sie eine CO2-Steuer ja abgelehnt und dann Widerspruch aus ihrer Partei bekommen. Es brauche eine Abgabe ja, aber keine "isolierte Steuer", ihr schwebe mehr ein "Gesamtpaket" vor, antwortet AKK mit einem deutlichen Jein. Nein, heute kein Tacheles. Grünen-Chefin Baerbock spricht vom Ausstieg aus dem Verbrennungsmotor und die Moderatorin unterstellt "den Herren", zu "zucken", weil es dabei ja um "Verbote" gehe. Weder zuckt jemand, noch hat Baerbock von Verboten gesprochen. Doch die Überleitung zum anderen Ende des Spektrums ist gemacht. Der Versuch, Meuthen bei Klimapolitik aufs Glatteis zu locken, endet vorhersehbar: der AfD-Chef stellt in Frage, ob der Klimawandel menschengemacht sei. Die Moderatorin reagiert mit einem kurzen, protestierenden Lachen.
Auch für das letzte Thema geht es per Live-Schalte in ein anderes europäisches Land. In dunkler Nacht steht ein Reporter vor dem Flüchtlingslager Moria auf der griechischen Insel Lesbos und moderiert einen vorgefertigten Beitrag an, der mit den Worten beginnt "Das Flüchtlingslager Moria bei Tag". Danach legen die Parteichefs wieder ihre bekannten Positionen dar - von einer "Festung Europa" (Meuthen) bis hin zu maximaler Offenheit der Grenzen (Riexinger). Zumindest kurz flammt bei diesem Thema einmal streiterische Leidenschaft auf, und zwar nicht zwischen Meuthen und allen anderen, sondern zwischen Baerbock und AKK. Nämlich, als die CDU-Chefin die Grünen auffordert, endlich die Blockade im Bundesrat bei der Einstufung der nordafrikanischen Staaten aufzugeben und Baerbock verteidigt, Rückführungen hätten nichts mit sicheren Staaten zu tun.
Wer tatsächlich bis dahin durchgehalten hat, wird mit abstrakten Abschlussstatements bedient. Welchen Wert Europa für die Parteichefs habe, wird gefragt. Die Antworten stehen in der Tradition der Sendung. Söder antwortet: "Europa ist unsere Heimat". Für AKK ist Europa eine "Selbstverständlichkeit, die ich jeden Tag nutze". Und Baerbock wiederholt einfach den Slogan vom Wahlplakat: "Europa ist das beste, was Europa je geschaffen hat."
Quelle: n-tv.de
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