Harvard-Absolventen feiern Merkel

  31 Mai 2019    Gelesen: 905
Harvard-Absolventen feiern Merkel

Vor Studenten der US-Eliteuniversität Harvard spricht Kanzlerin Merkel über den Klimawandel, die internationale Ordnung sowie ihre Mauer-Erfahrungen – und erntet dafür begeisterten Applaus. Das dürfte nicht zuletzt mit US-Präsident Trump zusammenhängen, der trotz Abwesenheit an diesem Abend omnipräsent ist.

Kanzlerin Angela Merkel hat mit einem emotionalen Appell an der US-Eliteuniversität Harvard für internationale Zusammenarbeit und gegenseitigen Respekt geworden. "Veränderungen zum Guten sind möglich, wenn wir sie gemeinsam angehen", sagte Merkel in einer immer wieder von langem Beifall und Jubel unterbrochenen Ansprache vor rund 20.000 Absolventen Angehörigen und Professoren der renommierten Hochschule. "In Alleingängen wird das nicht gelingen." Merkel rief die Absolventen dazu auf, Mauern in den Köpfen einzureißen, Ignoranz und Engstirnigkeit zu bekämpfen, Demokratie und Freiheit zu verteidigen und sorgsam mit der Wahrheit umzugehen. Dann sei alles möglich.

Auch wenn die Kanzlerin Donald Trump kein einziges Mal erwähnte, wirkte ihre Rede wie eine Abrechnung mit der Politik des US-Präsidenten. "Mehr denn je müssen wir multilateral statt unilateral denken und handeln", so Merkel. Gehandelt werden müsse global statt national, weltoffen statt isolationistisch, "gemeinsam statt alleine". Protektionismus und Handelskonflikte gefährdeten den freien Welthandel und damit die Grundlage des Wohlstands. Insbesondere der Klimawandel bedrohe die natürlichen Lebensgrundlagen. Man müsse alles Menschenmögliche tun, um dieses Problem in den Griff zu bekommen. "Noch ist das möglich, doch dazu muss jeder seinen Beitrag leisten."

Der US-Präsident verfolgt seit seinem Amtsantritt 2017 den strengen Kurs "Amerika zuerst". Praktisch bedeutet dies der Vorrang nationaler Interessen vor einer globalen Weltordnung. So traten die USA aus diversen Handelsabkommen aus und starteten erbitterte Handelskonflikte, unter anderem mit China. Den Klimawandel sieht er nicht als Problem. Die Beziehung zwischen Deutschland und den USA hat seit Trumps Amtsantritt sehr gelitten. Seine Kritiker werfen Trump außerdem vor, Zwietracht zu säen, die gesellschaftliche Spaltung in den USA zu vertiefen und impulsgetrieben Weltpolitik zu betreiben.

Erst "innehalten, schweigen, nachdenken…"

Merkel mahnte, es sei möglich, Antworten auf die schwierigen Fragen der heutigen Zeit zu finden, "wenn wir Respekt vor der Geschichte, der Tradition, der Religion und der Identität anderer haben, wenn wir fest zu unseren unveräußerlichen Werten stehen und danach handeln und wenn wir bei allem Entscheidungsdruck nicht immer unseren ersten Impulsen folgen, sondern zwischendurch einen Moment innehalten, schweigen, nachdenken, Pause machen." Dafür brauche es Mut und Wahrhaftigkeit gegenüber anderen und sich selbst, mahnte sie und betonte auch: "Dazu gehört, dass wir Lügen nicht Wahrheiten nennen und Wahrheiten nicht Lügen." An diesem Punkt klatschte das Publikum - vermutlich mit Hinblick auf das fragwürdige Verhältnis des US-Präsidenten zur Wahrheit - besonders laut.

Auch rief die Kanzler zu Zuversicht auf: "Mauern können einstürzen." Es sei möglich, Diktaturen zu beseitigen, die Erderwärmung zu stoppen, den Hunger auf der Welt zu besiegen, Krankheiten auszurotten, Fluchtursachen zu bekämpfen und den Menschen – insbesondere Mädchen – Zugang zu Bildung zu gewähren. "Das alles können wir schaffen", sagte sie und: "Überraschen wir uns damit, was möglich ist. Überraschen wir uns damit, was wir können."

Mauer träumte die Mauer weg

Vor Tausenden Zuhörern erzählte Merkel auch von ihrer Vergangenheit in der DDR. Die Berliner Mauer habe ihr Leben als junge Frau damals sehr eingeschränkt, ihr aber nie ihre Träume und Sehnsüchte nehmen können. Mit dem Fall der Mauer habe sich damals auch für sie eine Tür in eine neue Zukunft geöffnet. "Was festgefügt und unveränderlich scheint, das kann sich ändern", betonte sie. Nichts sei aber selbstverständlich, sagte die Kanzlerin: Demokratie nicht, Frieden nicht, Wohlstand nicht.

Mauern haben mit Blick auf Trump eine besondere Bedeutung. Der Bau einer Mauer an der Grenze zu Mexiko ist eines seiner Kernanliegen. Er hatte dies schon im Wahlkampf versprochen und das Vorhaben in den Mittelpunkt seiner Politik gestellt, um illegale Einwanderer aufzuhalten und Drogenschmuggel einzudämmen. Merkel wiederum kritisierte er mehrfach für deren Migrationspolitik.

Die Harvard-Universität verlieh der promovierten Physikerin Merkel bei ihrem Besuch auch die Ehrendoktorwürde. Explizit lobte die Hochschule unter anderem Merkels Slogan "Wir schaffen das" im Umgang mit Geflüchteten. Merkels Entscheidung, in großer Zahl Migranten und Geflüchtete ins Land zu lassen, habe ihren Willen gezeigt, für das einzustehen, was sie für richtig halte – auch wenn dies unpopulär sei.

Zu einem Treffen mit Trump kam es bei Merkels Kurzbesuch in den USA nicht. Nach Angaben eines deutschen Regierungssprechers hatte die US-Seite frühzeitig mitgeteilt, dass der Präsident an diesem Tag nicht in Washington sein werde. Trump sprach ebenfalls vor Absolventen, allerdings etwa 3000 Kilometer von der Universität Harvard entfernt, an der US Air Force Academy im US-Bundesstaat Colorado. Auch dort gab er seine zentrale Losung aus: Amerika komme in seiner Administration immer zuerst.

Quelle: n-tv.de, vpe/lou/dpa/AFP


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