Heimspiel für Merkel

  31 Mai 2019    Gelesen: 821
 Heimspiel für Merkel

An der Universität Harvard wird Kanzlerin Merkel bei der Verleihung der Ehrendoktorwürde gefeiert. In ihrer Rede erwähnt sie US-Präsident Trump nicht einmal - und rechnet doch mit ihm ab.

Bundeskanzlerin Angela Merkel hat in einer Rede vor 20.000 Zuhörern bei der Abschlussfeier an der US-Eliteuniversität Harvard für Wahrhaftigkeit geworben: "Dazu gehört, dass wir Lügen nicht Wahrheiten nennen und Wahrheiten nicht Lügen." Selbst wenn die Kanzlerin diesen Satz ihrer Rede als allgemeine Warnung gemeint haben sollte: Tausende Zuhörer im Bibliothekspark der Eliteuni verstehen die Worte als Kritik an US-Präsident Donald Trump. Sie antworten mit Applaus. 

Merkel hat sich den gesamten Tag Zeit genommen: In der Früh zieht sie mit Absolventen, Professoren und Ehrengästen in den Park zwischen Bibliothek und Gedächtniskirche ein. Die Stimmung ist ausgelassen aber nicht albern.

Die Reden der Studenten stellen die Frage nach der Chancengleichheit. Genesis De Los Santos erzählt zum Beispiel, wie sie allein mit ihrer Mutter in einem benachteiligten Stadtteil in Boston aufgewachsen ist, nicht weit weg von Harvard: "In den Sozialwohnungen in South Street leben wie auch in Harvard viele Träumer, zukünftige Anführer und Künstler. Der einzige Unterschied liegt in verfügbaren Chancen." Die Universität ist kein Abbild der Vereinigten Staaten, auch wenn sie sich mit Stipendien bemüht, Studenten aus allen Teilen der Gesellschaft und aus der ganzen Welt zu erreichen.

Harvard steht in den USA für das liberale, weltoffene Amerika. Viele Amerikaner glauben, all das in Merkel zu erkennen, was sie bei der Trump-Administration vermissen: das Eintreten für Werte und Demokratie, für Klimaschutz und internationale Zusammenarbeit.

"Der Klimawandel bedroht die natürlichen Lebensgrundlagen", sagt die Kanzlerin von Applaus unterbrochen. "Er und die daraus erwachsenden Krisen sind von Menschen verursacht. Also können und müssen wir alles Menschenmögliche tun, um die Menschheitsherausforderung wirklich in den Griff zu bekommen."

Die Verehrung für die Kanzlerin treibt erstaunliche Blüten an diesem Nachmittag. So zum Beispiel als die Präsidentin der Vereinigung ehemaliger Studenten, Margaret Wang, vermeintliche Erfolge von Merkel aufzählt: "Während ihrer Regierungszeit hat sie Deutschlands ersten Mindestlohn verabschiedet. Sie schloss Deutschlands Atomkraftwerke nach der Katastrophe von Fukushima. Und trat für Gleichbehandlung der Ehe ein."

Sowohl die Einführung des Mindestlohns in Deutschland als auch die Ehe für alle hatte Merkel lange Zeit abgelehnt. Den Ausstieg aus der Atomkraft wollte sie ursprünglich rückgängig machen. Die Universitätszeitung schreibt, Merkel erhalte die Ehrendoktorwürde auch für ihre Flüchtlingspolitik verliehen - eben jene Politik, für die sie in Deutschland heftige Kritik einstecken musste.

tagesschau


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