Was ist im Estadio Metropolitano in Madrid passiert?
Vergessen Sie alles, was Sie über Finalflüche zu glauben wussten! Jürgen Klopp, der bislang schmerzhaft routiniert darin war, große Endspiele zu verlieren, triumphierte mit seinem FC Liverpool im Finale der Fußball-Champions-League derart verdientglücklich über den Ligakonkurrenten Tottenham Hotspur, als hätte der einstige Coach des 1.FSV Mainz 05 in seinem Trainerleben kaum etwas anderes gemacht, als große Endspiele zu gewinnen. Nach der knapp verpassten Meisterschaft in der englischen Premier League, durfte der 51-Jährige nun nach einem 2:0 (1:0) über die Tottenham Hotspur in Madrid den Henkelpott in die Luft stemmen – und damit endlich den ersehnten großen Titel an die Anfield Road holen.
Nach 24 Sekunden bog das Spiel auf die zumindest für Klopp richtige Bahn ein, auch wenn dieses Champions-League-Finale kein Selbstläufer war. Das Spektakel-Werkzeug hatten beide Teams, so schien es, in ihren begeisternden Halbfinals verschlissen, sodass vieles an diesem warmen Juni-Abend Stückwerk blieb in Madrid. Auf der "Sowasvonegal"-Skala nach J. Klopp dürfte diese Erkenntnis aber Höchstwerte erzielen. Oder in den Worten des neuen Champions-League-Gewinner-Trainers: "Unglaublich. Das war nicht das beste Spiel von Tottenham, nicht das beste von Liverpool. Ich finde keine Worte, ich bin sprachlos. Ich war in so vielen Finals und habe sie verloren. Das ist für meine Familie, für die Fans. Sie mussten so lange leiden."
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Teams & Tore
Tottenham Hotspur FC: Lloris - Trippier, Alderweireld, Vertonghen, Rose – Sissoko (74. Dier), Winks (65. Moura) – Alli (82. Llorente), Eriksen, Son - Kane- Trainer: Pochettino
Liverpool FC: Alisson - Alexander-Arnold, Matip, van Dijk, Robertson - Fabinho - Henderson, Wijnaldum (62. Milner) - Salah, Firmino (58. Origi), Mané. - Trainer: Klopp
Tore:
Gelbe Karten:
Schiedsrichter: Damir Skomina (Slowenien)
Zuschauer: 68.000 in Madrid (ausverkauft)
Das Champions-League-Finale im Spielfilm:
2. Minute: TOOOOOOOR FÜR DEN FC LIVERPOOL - 0:1, MOHAMED SALAH! Tottenhams Sissoko steht mit ausgestrecktem linkem Arm im eigenen Strafraum, Mané schießt ihm gegen eben jenen (und das sah tatsächlich nach Absicht aus) und Schiedsrichter Skomina pfeift Elfmeter – nach 24 Sekunden. Salah trifft durch die Mitte. Ein Elfmeter, der sich aus 50% Handregel, 20% Schlitzohrigkeit und 30% Ungeschicklichkeit zusammen setzt.
12. Minute: Harry Kane wird von Joel Matip rüde in seinem ersten Pflichtspiel nach 53 Tagen Zwangspause begrüßt. Die Grätsche an der Außenlinie hätte auch gut und gerne Gelb für den vom VfL Bochum in dieses Finale entsendeten Verteidiger nach sich ziehen dürfen – tat sie aber nicht.
18. Minute: Eine Flitzerin rennt aufs Feld, niemand lacht. Irgendwas mit Werbung. Gähn.
34. Minute: Viel Stückwerk, ein paar Drittelchancen auf beiden Seiten und halbgare Standards sind die Zutaten für ein mittelmäßiges Champions-League-Finale. Sind das die Teams, die in ihren Halbfinal-Rückspiels alles wegspektakelt haben, was nicht bei drei "Premier League" sagen konnte? Hier ist noch viel Luft nach oben.
38. Minute: Rumms! Andy Robertson zieht ab, Tottenham-Keeper Hugo Lloris kriegt die Finger noch nach oben und klärt zur Ecke. Und hätte Liverpool im Halbfinale alle Ecken so langweilig geschossen, wie heute – womöglich stünde der FC Barcelona dann im Endspiel.
45. Minute: Und dann ist Halbzeit in einem Spiel von überaus übersichtlicher Qualität.
50. Minute: Tottenham kommt besser aus der Kabine. Überraschend ist das nicht, schließlich liegen die Londoner zurück. Es reicht noch nicht für eine echte Chance, aber Liverpool wirkt noch etwas schlafmützig. Gerade Firmino merkt man an, dass ihm nach seiner Verletzungspause noch ein paar Prozent fehlen.
54. Minute: Und dann wird es hüben wie drüben aufregend: Erst ist in Tottenham-Bein Mo Salah im Weg, dann findet auf der anderen Dele Alli nur einen roten Verteidiger auf dem Weg zum Ausgleich. Nimmt dieses müde Finale hier gerade Fahrt auf?
65. Minute: Pochettino bringt den Halbfinal-Helden: Lucas Moura kommt rein und soll das Ding hier noch drehen.
69. Minute: Der eingewechselte James Milner sorgt fast für die Entscheidung: Der Linksschuss der kloppschen Allzweckwaffe streicht keinen halben Meter am Pfosten vorbei.
70. Minute: Tottenhams Kieran Trippier hat den Ball und alle (!) Akteure stehen (!) für einen Sekundenbruchteil.
80. Minute: Doppelchance für Tottenham! Erst schießt Son zu mittig und Alisson Becker wert zur Seite haben, dann darf Moura nochmal zentral im Strafraum ran, bringt aber – wie passend zum Spielverlauf – keinen Druck auf den Ball und Becker kann vergleichsweise locker aufnehmen.
83. Minute: Henderson nimmt den Ball an der Strafraumgrenze elegant aus der Luft, verarbeitet ihn gut, hat ihn auf dem richtigen Fuß liegen – und macht dann absolut gar nichts draus.
84. Minute: Aufregung, nachdem Danny Rose am Strafraumrand zu Fall kommt. Elfmeter? Zurecht: Nein, aber ein aussichtsreicher Freistoß. Eriksen, siebzehnfacher Vorbereiter in dieser Saison, macht es selbst, schlenzt ihn aufs lange Eck – und Becker lenkt ihn zur Ecke.
85. Minute: Und die hat es in sich: Son darf aus einem Meter drüber köpfen – war aber Abseits. Durchatmen für Liverpool.
87. Minute: TOOOOOOOR FÜR DEN FC LIVERPOOL - 0:2, DIVOCK ORIGI! Nach einer Ecke schafft Tottenham es nicht, den Ball zu klären, ein Nachschuss wird vielleicht mit einer Hand abgewehrt, aber bevor die Diskussionen lauter werden, schießt der eingewechselte Divock Origi zum dritten Mal in dieser Champions-League-Saison aufs Tor – und trifft zum dritten Mal. Das war´s!
90. Minute: Und dann ist nach fünf Minuten Nachspielzeit, in der Liverpools Torhüter Alisson mehr halten musste, als in den 90 Minuten zuvor, Schluss. Der Final-Fluch fährt aus Jürgen Klopp, der nun endlich ekstatisch jubeln darf.
Was war gut?
Das Beste am Champions-League-Endspiel waren die Flugverbindungen aus London (2 Stunden 30 Minuten) und Liverpool (noch etwas weniger, non-stop) nach Madrid. Entsprechend konnten viele, viele tausend Fans im Finalort für Atmosphäre sorgen. Ein würdiger Rahmen für ein großes Endspiel. Etwas, das für die Uefa nebensächlich ist, aber für die Mehrheit der Fußballfans eben doch dazu gehört. Und so sorgten die jeweils rund 16.000 Fans aus beiden Lagern in ihren guten Momenten dafür, dass sich das Champions-League-Finale bisweilen so anhörte, wie ein Europa-League-Spiel unter Beteiligung von Eintracht Frankfurt. Das finale "You´ll never walk alone" entschädigte schon alleine für das etwas anstrengende Fußballspiel vorher.
Eine schöne Erkenntnis dieses Spiels: Egal, wie viele Millionen auf dem Konto landen: Am Ende wird Fußball von Menschen gespielt, nicht von mit Pfund oder Euro geölten Maschinen. Menschen, die unter Druck nervös sind, bisweilen Fehler machen und vor lauter Sorge, im größten Spiel ihrer Karriere leer ausgehen zu können, nicht ihre Bestleistung abrufen können. Das ist doch ein schöner Gedanke.
Was war nicht gut?
Mauricio Pochettino dürfte seine Entscheidung recht früh bereut haben, von Anfang an auf den seit zwei Monaten verletzten und gerade so einigermaßen fit gewordenen Harry Kane von Anfang an einzusetzen. Der WM-Torschützenkönig von 2018 brachte in der ersten Halbzeit überhaupt nichts auf die Platte und nahm stattdessen auch noch dem dreifachen Halbfinal-Torschützen Lucas Moura den Platz im Spurs-Angriff weg. Am Ende durfte Moura rund eine halbe Stunde ran, Kanes auffälligste Szene war, als er kurz vor Schluss gegen Joel Matip noch einen Elfmeter schinden wollte.
Außerdem – so ehrlich muss man sein – war das Spiel an sich nicht wirklich gut. Um ganz ehrlich zu sein: Es war größtenteils erschreckend schwach. Gerade, wenn man sich noch einmal daran erinnert, welch großartige Fußballer hier auf dem Platz standen. Ein schmutziges Finale zweier großartiger Mannschaften.
Wie war der Schiedsrichter?
Die Spieler haben es Damir Skomina relativ leicht gemacht, auch wenn vor allem Fans und Verantwortliche der Tottenham Hotspur noch über den Slowenen diskutieren werden: Der Elfmeter? Klare Sache, der weit abgestreckte Arm von Sissoko war zu deutlich deplatziert. Und sonst? Skomina leitete das Spiel überaus englisch, mit dem Willen, laufen zu lassen. Das war in Ordnung, das Endspiel entschieden andere.
So war's im Estadio Metropolitano
Eines vorweg: Eröffnungsfeiern vor einem Fußballspiel braucht kein Mensch. Die Zuschauer nicht, die Spieler nicht, die Trainer und die Schiedsrichter nicht. Vorschlag zur Güte an die Uefa: Zum nächsten Endspiel in der Champions League diesen Firlefanz abschaffen. Und dann eine halbe Stunde vor dem Anpfiff die Lautsprecher im Stadion abstellen und die Fans einfach mal machen lassen. Im Estadio Metropolitano hatten die rotgekleideten Anhänger des FC Liverpool, die die akustische Übermacht, was allerdings auch kausal mit dem Spielstand zusammenhing. Im Grunde hatte dieses Finale ja beim Stand von 1:0 für den LFC begonnen, da lässt es sich gut singen. Grundsätzlich hatten beide Klubs 16.000 Eintrittskarten bekommen, nur 16.000 wohlgemerkt. Es passen schließlich 68.000 Menschen in dieses Stadion, in dem Atlético Madrid seit September 2017 seine Heimspiele austrägt.
Ihr Lieblingslied hatten die Liverpudlians tagsüber in Madrids Innenstadt auf der Plaza de Salvador Dalí schon fleißig geübt: "We are loyal supporters. And we come from Liverpool. Allez, Allez, Allez. Allez, Allez, Allez." Die Fans von Tottenham Hotspur, in Weiß wie ihre Mannschaft und mit wesentlich mehr Fähnchen ausgerüstet, waren aber auch nicht leise: "Glory, glory Tottenham Hotspur, and the Spurs go marching on." Gegen Ende einer - bis auf den Handelfmeter und einen Kurzauftritt einer eher spärlich bekleideten Flitzerin auf dem Rasen - eher ereignisarmen ersten Halbzeit flaute aber die Stimmung in beiden Lagern merklich ab. Vielleicht lag es auch daran, dass es einfach zu warm war. Knapp 30 Grad auch nach Sonnenuntergang sind schon eine Ansage. Apropos Ansage, das Motto der Spurs steht auf Latein in ihrem Wappen: "Audere est facere". Es zu wagen, ist es zu tun. Die Fans in der Kurve hatten das extra auf ein Plakat geschrieben: "To dare is to do". Doch gefolgt ist ihnen die Mannschaft dann auch in der zweiten Halbzeit eher nicht, zumindest hat es am Ende nicht gereicht, um den Pokal zu gewinnen. Und die Reds sangen: "Alléz, Alléz, Alléz."
Quelle: n-tv.de
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