Merkels Zittern befeuert Debatte um Länge ihrer Amtszeit

  12 Juli 2019    Gelesen: 964
  Merkels Zittern befeuert Debatte um Länge ihrer Amtszeit

Berlin (Reuters) - In den vergangenen Tagen schien es zwei Angela Merkels zu geben.

An einem Tag verhandelte die Kanzlerin 20 Stunden lang auf dem EU-Gipfel über das Personalpaket - kurz nach der Rückkehr von einem G20-Gipfel in Japan. Am anderen Tag sah die Welt eine heftig zitternde Merkel bei den militärischen Ehren. Und auch wenn sie am Mittwoch beteuerte, dass es ihr sehr gut gehe - das Zittern befeuert gleich zwei Debatten. Zum einen geht es um die eher demokratietheoretische Frage: Wo endet die Privatsphäre bei Spitzenpolitikern? “Zum anderen aber befeuern die Zitteranfälle die CDU-interne Debatte, ob der zwischen Merkel und der Parteivorsitzenden Annegret Kramp-Karrenbauer verabredeten Zeitplan mit einem Wachwechsel erst 2021 zu halten ist”, sagt ein CDU-Bundesvorstandsmitglied.

MERKEL FORDERT VERTRAUEN EIN

Angestoßen wurde die Debatte dadurch, dass Merkel am Mittwoch bei den militärischen Ehren für den finnischen Ministerpräsidenten Antti Rinne einen erneuten Zitteranfall hatte. Merkel selbst erklärte dies mit einem psychologischen Problem: “Ich habe neulich schon gesagt, dass ich in einer Verarbeitungsphase der letzten militärischen Ehren mit dem (ukrainischen) Präsidenten (Wolodymyr) Selenskyj bin”, sagte die Kanzlerin auf ein früheres Zittern - und fordert Vertrauen in ihre Aussagen ein. “Ich denke, dass meine Aussage, dass es mir gut geht, Akzeptanz finden kann.” Entscheidend ist aus ihrer Sicht alleine, dass noch “gut leistungsfähig” sei.

Am Donnerstag fand sie eine ganz pragmatische, ungewöhnliche Lösung: Sie und die dänische Ministerpräsidentin Mette Frederiksen hörten sich die Hymnen einfach im Sitzen an - ohne Zittern. Aber mehr Offenheit will Merkel nicht liefern, sondern macht sich im Gegenteil über weitere Nachfragen lustig: Sie kenne schon die Verantwortung ihres Amtes. “Zweitens dürfen Sie davon ausgehen, dass ich auch als Mensch ein großes persönliches Interesse daran habe, dass ich gesund bin und auf meine Gesundheit achte.” Also müssen Medien weiter auf die Suche nach Medizinern, Psychologen oder Politikern für Ferndiagnosen gehen. “Sie macht bei mir nicht den Eindruck, dass sie schlapp macht”, sagte etwa der CDU-Politiker Wolfgang Bosbach im Sender ntv.

MERKELS GEGNER NUTZEN VORFALL

Was Merkel nicht verhindern kann, ist die in der CDU neu aufflammende Debatte über einen Rückzug. Der frühere Verfassungsschutzpräsident und Merkel-Kritiker Hans-Georg Maaßen nährte auf Twitter prompt Zweifel, ob Merkel ihr Amt noch ausüben könne. Die konservative Werteunion fordert ohnehin seit langem einen schnellen Abgang der Kanzlerin. Die Gruppierung gilt in der Union aber als Splittergruppe.

Allerdings wird die Debatte über einen schnelleren Übergang im Kanzleramt auch von den Anhängern von CDU-Chefin Annegret Kramp-Karrenbauer angefacht. Denn in den guten Umfragewerten für die Kanzlerin sehen sie seit längerem ein Problem: Die Sympathiewerte für Kramp-Karrenbauer sind in den vergangenen Wochen dagegen gesunken. “Das liegt nicht nur an Fehlern, sondern eben auch daran, dass die CDU-Chefin keine wirklich Bühne hat”, meint ein CDU-Grande.

Beide Gruppen halten es für ausgeschlossen, dass die Doppelrolle erfolgreich bis zu regulären Bundestagswahlen im September 2021 durchgehalten werden kann. Daran ändere auch der Umstand wenig, dass das Verhältnis der beiden Frauen nach Angaben aus Koalitionskreisen weiter als “ausgezeichnet” gilt. Merkels Zittern wird hinter den Kulissen als zusätzliches Element des Zweifels genannt.

Allerdings: Auch am Donnerstag wurde betont, dass alle Planspiele an zwei entscheidenden Punkten kranken. Erstens wollen weder Merkel noch Kramp-Karrenbauer an dem Zeitplan bis 2021 etwas ändern. Demonstrativ nahm Merkel eine Einladung der dänischen Ministerpräsidentin für einen Besuch im Nachbarland 2020 an. Die einzige wirkliche Gefahr für den Zeitplan und die Koalition gehe von der SPD, deren Abschneiden bei den ostdeutschen Landtagswahlen im Herbst und der Wahl einer neuen Parteispitze aus, heißt es in Unionskreisen.

Zweitens wird darauf verwiesen, dass es einfach kein überzeugendes Wechselszenario gebe - egal wer was wolle. Ziehe sich Merkel zurück - gesundheitsbedingt oder nicht - bleibe nur der Weg zu Neuwahlen. Selbst für die von Bundestagspräsident Wolfgang Schäuble ins Gespräch gebrachte Minderheitsregierung bei einem SPD-Rausschmiss brauche man Merkel.


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