"Wie wär's, wenn wir etwas entspannter wären?" FDP-Chef Lindner im ARD-Sommerinterview

  22 Juli 2019    Gelesen: 1603
  "Wie wär

Sonntag-Abend 18.30h – Beginn der Staffel von ARD-Sommerinterviews. Tina Hassel nimmt sich FDP-Chef Christian Lindner vor. Atemlos. Schnell durch den Fragenkatalog! Nur 20 Minuten Zeit! Die Antworten bitte im Telegramm-Stil!

Christian Lindner ist's gewohnt – trotzdem verdient er Bewunderung, dafür, dass er nur einmal patzig wird, während Tina Hassel ihn durch 20 Minuten Interview mehr hetzt als befragt. Dabei ging eine sich vehement aufdrängende Frage unter: Wenn so viele Fragen zu klären sind, warum dann dieses 20-Minuten-Format?

Doch Lindner schlug sich nicht schlecht, kam mit seinen Botschaften gegen die weniger in Details insistierende, eher zur nächsten Frage drängelnde Interviewerin an. Seine mehrmals angesprochene Generalthese: Die wichtigen im Bundestag vertretenen Parteien – CDU, SPD, FDP, Grüne und Linke, müssen einen parteiübergreifenden Konsens finden für die beiden wichtigsten Themen: Migration und Klima.

"Seit drei Jahren", so Lindner, gehe in diesen Bereichen "nichts voran" – man müsse sie daher dringend an einem Tisch klären. Denn: "Es gibt noch andere Fragen."

Keine Zeit zum Nachhaken

Wie dieser Konsens aussehen und vor allem wie er erreicht werden könnte, erklärte Lindner nicht – Tina Hassel nimmt sich auch nicht die Zeit, ihn danach zu fragen. Auch die Position der FDP zum Thema Migration – in der Vergangenheit durchaus strittig – kommt nicht zur Sprache. Stattdessen geht es vor allem ums Klima.

Und da ist Lindner eindeutig: Er plädiert gegen "planwirtschaftliche Einzelmaßnahmen", stattdessen für mehr Freiheit und Eigenverantwortung. Die Idee dahinter: "Die Kreativität den Menschen zu überlassen". Nationale Alleingänge in der Klimapolitik lehne er nicht mehr rigoros ab, plädiere stattdessen dafür, dem CO2 eine "marktwirtschaftlichen Preis" zu geben und Grenzen festzulegen.

Konkret: Verschmutzungsrechte müssen gekauft werden. Wer einen Anteil haben möchte – "fürs Fliegen, für Motoren, Energie, Fleisch", der muss diesen Anteil kaufen. Der Einstiegspreis werde sich marktwirtschaftlich ermitteln lassen.

Als Tina Hassel ihn hier unterbrechen will – wohlgemerkt nicht, um nachzuhaken, sondern um schnell zur nächsten Frage weiterzueilen –, reagiert Lindner patzig: "Ich muss einmal meine Position erklären dürfen, ohne dass Sie dazwischen gehen."

Und erklärt dann seine Vision einer "Startup-Mentalität", die sich unter dem Abgabendruck entwickeln könnte, "weil dann nach den günstigsten Methoden gesucht werden würde, um CO2 zu vermeiden".

Daneben müsse man auch die Bahn attraktiver – also pünktlicher, flächendeckender und schneller machen, gute Internet-Verbindungen in den Zügen inklusive.

Verteidigung, Europa, Bildung…

Kürzere Statements gibt Christian Lindner ab…

… zu den Plänen der neuen Verteidigungsministerin Annegret Kramp-Karrenbauer: Gut, dass sie den Zwei-Prozent-Anteil des Wehretats dezidiert erreichen möchte, besser aber wären drei Prozent, gekoppelt mit mehr Dialog und Diplomatie in der Außenpolitik und mehr wirtschaftlicher Zusammenarbeit AKK müsse nun aber auch Ursula von der Leyens Berateraffäre schnell aufarbeiten und für die bessere Ausstattung der Bundeswehr ebenso sorgen wir für mehr Respekt der Institution gegenüber – "da kann man ihr nur Erfolg wünschen".

… zu den Europa-Plänen von Ursula von der Leyen: Die FDP habe sie mitgewählt, um eine institutionelle Krise der EU zu verhindern. Positiv sehe er ihre Reformvorhaben für die EU, negativ dagegen ihre Vorstellungen zur "Vergemeinschaftung von Schulden und Finanzen".

… zur Bildungspolitik: Lindner würde gerne die föderalistische Bildungspolitische aufbrechen, findet das unterschiedliche Abitur ungerecht und will über mehr Vergleichbarkeit auch eine vereinfachte Mobilität zwischen den Bundesländern erreichen.

"Die Gefahr von rechts wurde unterschätzt"

Etwas länger wird dann über das politische Klima im Land gesprochen. Hassel fragt nach den Landtagswahlen im September in Brandenburg und Sachsen vor dem Hintergrund einer sich weiter in national-völkische Richtung entwickelnden AfD. Wie geht man mit der zunehmenden Radikalisierung um?

Lindner plädiert nochmals für mehr Konsens unter den anderen Parteien, um sich anderen wichtigen Themen zuwenden zu können. Zu diesen gehören die Wirtschafts- und Arbeitsmarktpolitik, aber auch die Sicherheitspolitik: Lindner fordert weitere Konsequenzen aus den Anschlägen des NSU – etwa eine Straffung der Behörden und ein Ende des "kleinstaatlichen Flickenteppichs" im Bereich der 16 Landesverfassungsämter. Und er gibt im Hinblick auf den Mord an CDU-Politiker Walter Lübcke zu, Politik und Medien hätten die Gefahr von rechts lange unterschätzt.

Etwas länger wird über den Zustand der FDP gesprochen: Die Kritik von Ex-Justizminister Gerhard Baum an der FDP (sie sei "undeutlich, lebensfremd und kühl"), tut Lindner als 40 Jahre alte Meinung des typischen "Bürgerrechtsliberalen" Baum ab. Er, Lindner, müsse als Parteivorsitzender auch auf die wirtschaftliche Kompetenz seiner Partei und deren Einsatz für die Marktwirtschaft achten.

Tina Hassels Kritik, die neue Generalsekretärin trete bisher öffentlich und medial wenig in Erscheinung, kontert Lindner mit der Feststellung, Linda Teuteberg sei noch nicht einmal hundert Tage im Amt. "Wie wär's", fragt Lindner, "wenn wir alle etwas entspannter wären?".

Eine Anregung, über die man nach diesem viel zu gestressten Sommerinterview durchaus auch bei der ARD nachdenken sollte. Nächstes Mal gerne zehn oder mehr Minuten länger, dafür mehr Inhalt und weniger Anspannung.

 

 

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