Wie Peter Altmaier an der Energiewende verzweifelt

  27 Juli 2019    Gelesen: 890
Wie Peter Altmaier an der Energiewende verzweifelt

Minister Altmaier gilt bei der Energiepolitik als nicht durchsetzungsfähig. Eine neue Personalie scheint den Eindruck zu stärken.

Im Bundeswirtschaftsministerium (BMWi) sorgt eine neue Personalie für Aufregung. Eine Mitarbeiterin des Unionsfraktionsvizes Carsten Linnemann, Stephanie A., soll Anfang Oktober neue Leiterin der Abteilung III, der zentralen politischen Schaltstelle der Energiewende, werden. Dies berichten übereinstimmend mehrere mit dem Vorgang vertraute Personen im Ministerium. „Die Entscheidung ist gefallen“, heißt es. Von offizieller Seite bestätigt ist die Personalie aber noch nicht.

Das alles wäre an sich kein besonderer Vorgang. Jedoch steht die Personalie symptomatisch für Wirtschaftsminister Peter Altmaier, der immer schneller die Gestaltungshoheit über die Energiepolitik verliert, während der energiewendekritische Wirtschaftsflügel der Unionsfraktion entsprechend an Einfluss und Gewicht gewinnt – weil er ein Machtvakuum füllt.

Stephanie A. gilt als ausgezeichnete Kennerin der Energiepolitik. Sie arbeitete viele Jahre im Wirtschaftsministerium, dann wechselte sie als Mitarbeiterin in die Unionsfraktion. Dort hat sie lange einem Kreis zugearbeitet, der die Energiewende kritisch begleitet: Carsten Linnemann äußert sich regelmäßig frustriert über die Energiewende, vor allem mit Blick auf die Kosten und Nutzen. Deutschland habe nur einen geringen Anteil am globalen CO2-Ausstoß, sagt der CDU-Politiker.

Zum Wirtschaftsflügel der Union gehört auch Joachim Pfeiffer, energiepolitischer Sprecher der Fraktion. Er hat die Klimadebatte in Deutschland zuletzt als „nur noch schwer erträglich“ bezeichnet, Klima sei eine Art „Ersatzreligion“ geworden. Zu nennen ist auch der CDU-Energiepolitiker Jens Koeppen, der von einem schnellen Kohleausstieg als „Weg in den Blackout“ spricht. Die Argumente dieser Unionspolitiker kann man richtig oder falsch finden. In jedem Fall machen sie die Richtung des Flügels bei der Energiewende deutlich.

Dass nun ausgerechnet A. eine Schlüsselrolle in der Gestaltung der Energiewende übernimmt, ist auch so bemerkenswert, weil der Kontrast zu ihrem Vorgänger nicht markanter sein könnte: Urban Rid, der Ende September altersbedingt aus dem Ministerium scheidet, ist Umwelt- und Energiewendemann durch und durch. In den 90er Jahren schon hatte Rid bereits aus dem Kanzleramt heraus zum internationalen Klimaschutz gearbeitet, danach im Umweltministerium zur Energiewende. Als Sigmar Gabriel (SPD) Ende 2013 Wirtschaftsminister wurde, holte er das Thema Energiewende zu sich ins Haus. Und damit auch Urban Rid und seine Fachleute, die fortan aus dem Wirtschaftsministerium heraus an der Energiewende arbeiteten.

In der Abteilung III des Bundeswirtschaftsministeriums ist man über die neue Personalie jetzt „mindestens besorgt“, wie ein Mitarbeiter der Abteilung sagt. „Mit der Ernennung von A. besetzt indirekt der energiewendekritische Wirtschaftsflügel der Union einen Posten, der entscheidet, ob die Energiewende gelingt oder nicht“, sagt ein Mitarbeiter dem Tagesspiegel.

Bleibt die Frage, warum Altmaier sich A. ins Haus geholt hat. Er sei vom Wirtschaftsflügel unter Druck gesetzt worden, eine Personalie aus ihren Kreisen zu akzeptieren, lautet eine Vermutung. Kann eine einzelne Person in Führungsposition gegen die Grundlinie einer Abteilung agieren? Eine Einschätzung lautet: „Frau A. kennt sich sehr gut aus. Das kann der Energiewende helfen. Sie wird sich natürlich auf die Linie des Hauses einstellen.“

Es gibt auch andere Meinungen. Für viele Mitarbeiter im Wirtschaftsministerium ist die Personalie A. ohnehin nur ein vorläufiger Tiefpunkt der Entwicklung der Entscheidungsmacht von Minister Altmaier. Beim Koalitionspartner sieht man das ähnlich. „Wir sind entgeistert über das, was im Wirtschaftsministerium läuft – oder besser gesagt nicht läuft“, sagt ein SPD-Parlamentarier. „Der Wirtschaftsflügel der Union ist in das Vakuum gestoßen, das Altmaier lässt.“ Selbst aus der Union heißt es: „Altmaier ist ein Moderator. Da, wo klare Ansagen in der Energiepolitik notwendig wären, kommt nichts.“

Das zeigt sich unter anderem bei den erneuerbaren Energien. Die große Koalition muss klären, wie das Erneuerbaren-Ziel von 65 Prozent des Stromverbrauchs bis 2030 erreicht werden kann. Das Ziel ist im Koalitionsvertrag vereinbart. Dafür wurde eine eigene Arbeitsgruppe eingesetzt. Doch dort herrscht Stillstand, Union und SPD stehen sich unversöhnlich gegenüber, vor allem wegen der Mindestabstände der Windkraftanlagen. Weil Altmaier es bisher unterlassen hat, ein Machtwort zu sprechen, muss die Sache vermutlich im Klimakabinett gelöst werden. Zusammenfassend bringt es ein frustrierter BMWi-Mitarbeiter so auf den Punkt: „Unter Rainer Baake haben wir die Energiewende gesteuert, jetzt liefern wir nur noch zu."

Auch die Debatte um eine CO2-Bepreisung wird als Beleg für Altmaiers Schwäche genannt. Altmaier – „im Herzen ja eigentlich doch ein Grüner“ – wie es aus der Union heißt, ließ Umweltministerin Svenja Schulze (SPD) anfangs auflaufen, und schlug dann einen Zickzackkurs ein. Dabei wäre ein marktwirtschaftliches Instrument – wenn damit eine Entbürokratisierung der Energiewende einhergeht – auch eine Möglichkeit zur Profilierung gewesen. Doch auch hier: Gegen den massiven Widerstand in der Unionsfraktion sah Altmaier kaum Handlungsoptionen.

Wo ist eigentlich Bundeskanzlerin Angela Merkel, um ihren Wirtschaftsminister zu unterstützen? Altmaiers Schwäche wirkt auch wie ein Resultat von Merkels zunehmend schwindendem Rückhalt beim konservativen Wirtschaftsflügel der Unionsfraktion. Dieser wollte Friedrich Merz als Nachfolger an der Parteispitze, nicht Annegret Kramp-Karrenbauer. Altmaier ist aus dieser Sicht ein Minister mit einem Haltbarkeitsdatum in näherer Zukunft. Noch stellen sich die Konservativen in der Union aber nicht öffentlich gegen Merkel.

Altmaiers Bilanz ist aber nicht völlig einseitig. Er hat beispielsweise den Stromnetzausbau persönlich und per Gesetz nach vorne gebracht – wenn auch schnelle Erfolge von Anfang an illusorisch waren und es Kritik an dem Deal zwischen Bayern, Thüringen und Hessen gibt, der den Bau einer wichtigen Trasse ermöglichen soll. Altmaier habe den vermeintlich entpolitisierten Planungsprozess damit beschädigt, heißt es.

In der Abteilung III, der ministriellen Schaltzentrale der deutschen Energiepolitik, ist die Stimmung bei einigen auf dem Tiefpunkt. „Wir hoffen auf Neuwahlen“, sagt einer. Dann, so das Kalkül, würde womöglich ein grüner Wirtschaftsminister – es gibt auch eine Ministerinnenkandidatin in Aussicht zum Zuge kommen. Oder eben Friedrich Merz. Dann aber wäre die konservative, wirtschaftsliberale Ausrichtung des Bundeswirtschaftsministeriums nicht der Schwäche, sondern der Stärke eines Ministers geschuldet.

tagesspiegel


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