Im Verhältnis zwischen dem Iran und dem Westen scheint eine Entspannung in immer weitere Ferne zu rücken. Seit gut einem Monat hält Großbritannien den iranischen Öltanker „Grace 1“ fest, am 19. Juli haben die iranischen Revolutionsgarden ihrerseits die unter britischer Flagge fahrende „Stena Impero“ nahe der Straße von Hormuz festgesetzt. Beide Aktionen seien illegal gewesen, kommentiert der ehemalige britische Botschafter und Seerechtsexperte Craig Murray in einem aktuellen Eintrag auf seinem Blog, und warnt: Die Implikationen eines Kollapses des grundlegenden internationalen Rechtes über die Durchfahrt durch Meerengen wären für die Weltwirtschaft verheerend. Die Straße von Hormuz sei enorm wichtig und Großbritannien habe absolut kein Recht, sie für den Iran oder Syrien zu sperren.
„Selbst wenn die EU Sanktionen hat, die ein iranisches Schiff davon abhalten sollen, venezolanisches Öl nach Syrien zu liefern, haben die EU und ihre Mitgliedsstaaten absolut kein Recht, in Umsetzung dieser Sanktionen ein iranisches Schiff an der Passage durch die Straße von Gibraltar zu hindern. Genauso wenig, wie Iran Sanktionen dagegen aussprechen kann, dass saudisches Öl nach Europa geliefert wird, und deswegen die Straße von Hormuz dichtmachen.“
Auch Mohssen Massarrat, emeritierter Professor für Politik und Wirtschaft an der Universität Osnabrück, bezeichnet die Beschlagnahme des iranischen Schiffes als völkerrechtswidrig.
„Die britische Aktion war illegal. Ich bin aber der Meinung, dass der Iran hier einen Fehler gemacht hat, ebenso eine völkerrechtlich nicht gedeckte Aktion zu starten. Damit ist der Iran in eine Falle gegangen, die John Bolton für den Iran, aber auch für die EU aufgestellt hatte.“
Seerechtsexperte Craig Murray erklärt in seinem Blogeintrag, was die einzigen Voraussetzungen wären, unter denen Großbritannien ein iranisches Schiff in der Straße von Gibraltar legal abfangen könnte:
„Eine davon wäre die Umsetzung einer Resolution des UNO-Sicherheitsrates nach Kapitel VII der UN-Charta. Es ist aber keine solche Resolution in Kraft. Die zweite Möglichkeit wäre ein Krieg zwischen Großbritannien und dem Iran oder Syrien. Solch ein Kriegszustand existiert nicht.“
Mohssen Massarrat gibt zu bedenken, dass auf Drängen Boltons hin die Gesetze von Gibraltar 48 Stunden vor der Festsetzung des iranischen Tankers geändert worden sind. Zweck sei gewesen, der Aktion einen „halbwegs rechtlichen Anstrich“ zu verleihen. „Es ist eine politische Aktion und zielt darauf ab, dass letztlich Großbritannien und die EU mit der eigenen Marine im Persischen Golf aufwarten“, schlussfolgert der aus dem Iran stammende Politikwissenschaftler.
Der nationale Sicherheitsberater Trumps und seine Mitstreiter bildeten ein „Kriegstreiberlager“, das seit einem Jahr versuche, alle Voraussetzungen dafür zu schaffen, dass innerhalb der USA und in der US-Führung ein Konsens für einen Krieg entstehe. Noch gebe es viele im Pentagon und in der US-Führung, die gegen einen solchen Krieg seien, und deren Bedenken gelte es für Bolton auszuräumen. Bolton, der bis heute daran festhalte, dass der US-Krieg gegen den Irak richtig gewesen sei, brauche für den angestrebten Konsens auch die Sicherheit, dass die USA in einem möglichen Krieg gegen den Iran nicht alleine dastehen würden, so Massarrat.
„Am liebsten wäre es Bolton, wenn die EU-Staaten, gewollt oder ungewollt, in diesen Krieg hineingezogen werden würden. Ich interpretiere die Aktion von John Bolton im Zusammenhang mit der Straße von Gibraltar, die durchaus schlau ausgedacht war, als eine Aktion dafür, dass auf diese Weise die EU-Staaten anfangen, sich militärisch gegen den Iran aufzustellen.“
Dieser Schritt sei kein Schritt zur Deeskalation, wie die Grünen, wie vor allem Norbert Röttgen (CDU) und nicht zuletzt Verteidigungsministerin Annegret Kramp-Karrenbauer (CDU) meinen würden. Eine militärische Präsenz der EU in der Straße von Gibraltar würde vom Iran unweigerlich als Aggression aufgefasst werden und die Eskalation im Persischen Golf vorantreiben.
„Ich denke, die EU hat die Frage intern gar nicht geklärt, ob die Aktion von Großbritannien rechtens war. Eigentlich hätte der Iran vor das Gericht in Den Haag ziehen müssen, hat es aber nicht getan. Aber die EU-Führung müsste zuallererst daran interessiert sein, diese Angelegenheit intern völkerrechtlich klären zu lassen, um eine EU-Position einzunehmen. Das tut sie bisher nicht und schließt sich indirekt der Interpretation von Großbritannien an. Aus meiner Sicht ist das ein schwerwiegender Fehler, der den EU-Regierungen keine andere Wahl lässt, als zu sagen: Als Lösung kommt nur die Beteiligung an einer militärischen Aktion im Persischen Golf infrage. Und man lässt die plausible Lösung des Austausches Schiff gegen Schiff als deeskalierende und machbare Alternative völlig außer Acht.“
Dass mit dem einseitigen Rückzug der USA aus dem Atomabkommen der Grundstein für den gegenwärtigen Konflikt gelegt worden sei, gerate auch zunehmend in Vergessenheit. Was in den Leitmedien hierzulande zur „Aufkündigung eines Vertrags“ abgeschwächt werde, sei in Wahrheit ein Bruch des Völkerrechts durch die USA gewesen. Nun würden dem Iran angebliche Verstöße gegen das Abkommen in die Schuhe geschoben, was einer Rechtfertigung eines möglichen Krieges diene. Die formale Unterstützung der EU für den iranischen Handel durch INSTEX sei zwar ein Zeichen des guten Willens, funktioniere de facto aber nicht, so der Experte.
„Die EU müsste eigentlich einen Schritt weiter gehen und aus Eigeninteresse die US-Herausforderung annehmen. Denn die USA führen nicht nur gegen den Iran einen Wirtschaftskrieg, sondern auch gegen die EU. Das muss die EU-Elite endlich begreifen und darauf eine entsprechende Antwort geben. Genauso wie China, Indien und teilweise auch die Türkei eigenständige, von US-Interessen unabhängige Antworten darauf geben.“
Für eine von US-Interessen weitgehend unabhängige Politik sieht Massarrat zumindest für Großbritannien schwarz. Der Experte erwartet vielmehr, dass das scheidende EU-Mitglied unter Boris Johnson vollständig auf US-Linie umschwenken wird, wie Tony Blair es seinerzeit im Irak-Krieg getan habe.
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