„Das Thema Rassismus allein entscheidet keine Wahl“ – Experte zur Kandidatensuche bei US-Demokraten

  03 Auqust 2019    Gelesen: 583
  „Das Thema Rassismus allein entscheidet keine Wahl“ – Experte zur Kandidatensuche bei US-Demokraten

Auf der Suche nach einem geeigneten Kandidaten für den Präsidentschaftswahlkampf 2020 zeigen sich die US-Demokraten zutiefst zerstritten. In den Umfragen führt bisher mit komfortablem Vorsprung Ex-Vize-Präsident Joe Biden. Seine ersten Verfolger kommen aus dem linken Lager. Doch die ersten TV-Debatten haben gezeigt: Es ist noch nichts entschieden.

Über die Kandidatensuche der Demokratischen Partei und die Themen, die den Wahlkampf prägen könnten, sprach Sputnik mit dem Politologen und Amerika-Experten Dr. Martin Thunert vom Heidelberg Center for American Studies.

Herr Thunert, in den USA machen sich die Demokraten so langsam für die Wahlen 2020 warm. Es gilt, aus den insgesamt 24 Bewerbern den demokratischen Präsidentschaftskandidaten zu bestimmen, der es nächstes Jahr mit Donald Trump aufnehmen soll. Bevor wir näher auf einzelne Kandidaten eingehen, vielleicht erst einmal zu Trump selbst. In den letzten Wochen war der amtierende US-Präsident immer wieder wegen seiner rassistischen Äußerungen gegenüber vier dunkelhäutigen Demokratinnen in den Schlagzeilen, vor allem wegen seiner offenkundigen Antipathie gegenüber der Kongressabgeordneten Ilhan Omar.  Sie ist jung, dunkelhäutig, kommt ursprünglich aus Somalia, ist Muslimin und trägt Kopftuch. Sind das hinreichende Gründe für Trumps Verbalattacken oder ist der Rassismus wahltaktisches Kalkül des amtierenden Präsidenten, um bestimmte Wählerschichten anzusprechen?

Ich glaube, es ist letzteres, und zwar, in zweierlei Hinsicht. Auf der einen Seite will er versuchen, unentschlossene weiße Wähler damit auf seine Seite zu kriegen. Hauptsächlich geht es Trump aber darum, die vier jungen Abgeordneten zum Gesicht der demokratischen Partei zu machen. Die vier sind in der eigenen Partei alles andere als unumstritten. Sie stehen deutlich weiter links, mehr für Ökologie, sind israelkritischer als der Mainstream der Partei. Indem er die vier nicht inhaltlich, sondern persönlich angreift, zwingt Trump die Führung der Demokraten, sich mit den Frauen zu solidarisieren. Und dann kann er wiederum den gemäßigten Wählern, die unentschlossen sind, sagen: Seht her, so weit politisch am Rand stehen die Demokraten. Damit hofft er nicht so sehr, seine Wählerbasis zu beglücken, sondern unentschlossene Wähler zu gewinnen, denen die Vorschläge der Demokratinnen zu radikal sind.

Die wiederholt israelkritischen Aussagen Omars werden ihr als Antisemitismus ausgelegt, wohingegen Trump in seiner Amtszeit betont den Schulterschluss mit Israel gesucht hat. Kann man Omars Äußerungen tatsächlich als antisemitisch werten oder ist das Thema für Trump ebenfalls Wahltaktik?

Ich denke schon, dass Frau Omar sich mit einigen Aussagen mehr als nur israelkritisch geäußert hat. Sie stellt sich tendenziell schon hinter israelfeindliche oder anti-jüdische Kampagnen, wie BDS. Das spielt Trump in die Karten und ist für die Demokraten nicht unbedingt nützlich. Die Israel-Freundschaft halte ich für relativ authentisch, sie ist auch familiär bedingt durch seine Tochter, die konvertiert ist, und seinen Schwiegersohn Jared Kushner. Sie ist vor allem politisch mit seiner pro-saudischen Haltung zu vereinbaren, weil Israel und Saudi-Arabien mittlerweile Verbündete im Nahen Osten sind, weil sie den gleichen Feind haben – den Iran. Hier geht es also um weit mehr als Wahltaktik.

Im Bewerberrennen der Demokraten, scheint es eines der zentralen, die Demokraten bei allen Streitigkeiten einigendes Thema zu sein, dass man Trumps Rassismus entgegentreten müsse. Laut einigen Beobachtern könnte es gar das Kernthema des demokratischen Wahlkampfes werden. Hat das Thema aus ihrer Sicht genug Relevanz im heutigen Amerika und das Potential, einen Präsidentschaftswahlkampf zu entscheiden?

Tatsächlich sind sich alle 24 Bewerber und die Partei in diesem Punkt einig, aber das ist eben auch dazu da, um die Uneinigkeit innerhalb der Demokratischen Partei zu übertünchen. Ich glaube nicht, dass das Thema das Potential hat, eine Wahl alleine zu entscheiden, es sei denn, Trump würde kurz vor der Wahl für rassistische Skandale sorgen. Insgesamt sollten sich die Demokraten meiner Ansicht nach daran erinnern, mit welchen Themen sie das House of Representatives vorigen Herbst zurückgewannen. Das waren Themen wie Gesundheit, Krankenversicherung, Fragen von sicheren Jobs und ob man sie durch technischen Wandel erhalten kann. Rassismus war dabei nur ein Thema unter vielen und ich glaube, sie sind nicht gut beraten, es zum Hauptthema zu machen.

Nach zwei TV-Debatten unter insgesamt 20 dazu zugelassenen Bewerbern scheint sich das Favoritenfeld schon recht gut eingrenzen zu lassen. Mit großem Abstand führt der ehemalige Vize-Präsident Joe Biden, dahinter folgen der oft als Sozialist bezeichnete Bernie Sanders und die ähnlich linke Senatorin Elizabeth Warren. Auf Platz 4 folgt Kamala Harris. Was sind die Trümpfe, mit denen diese vier Bewerber bei den Demokraten Punkte sammeln?

Biden hat nur einen Punkt, aber der ist sehr gewichtig. Es gibt bei vielen Demokraten nach wie vor die Auffassung, dass nur einer wie er, der bei den weißen Arbeitnehmern sehr großen Rückhalt hat, Trump schlagen kann, weil er die Staaten im Mittelwesten, die Trump vor drei Jahren überraschend gewann, zurückerobern kann. Man erwartet von Biden aber keine neuen Visionen und keinen neuen Politikansatz – er ist eine Art Feuerwehrmann. Er kommt noch aus dem Grund bei vielen Wählern, darunter auch vielen Minderheiten, gut an, denen es einfach nur wichtig ist, Trump wegzukriegen, und nicht, wofür der Kandidat eigentlich steht.

Sanders und Warren punkten mit einem grundlegenden strukturellen und systemischen Wandelversprechen. Vor allem Frau Warren hat sehr genaue Vorstellungen darüber, wie die USA sozial und wirtschaftlich verändert werden sollen. Wenn Warren keine Fehler macht, schätze ich sie als stärker ein als Sanders.

Bei Harris ist es so, dass sie von all dem ein wenig verkörpert. Als Frau mit indisch-karibischem Hintergrund verkörpert sie mehr Wandel als Biden.  Trotzdem ist sie in ihren sozial- und wirtschaftspolitischen Vorschlägen gemäßigter als Warren und Sanders.  Auf dem Papier könnte sie deshalb die perfekte Kandidatin sein. Aber gerade das Perfekte, das Hochprofessionelle an ihr kann ihr auch zum Verhängnis werden – dass sie ein wenig als dunkelhäutige, jüngere Version von Hillary Clinton wahrgenommen wird. Leider war Harris die Verliererin der Debatten dieser Woche. Denn sie kann zwar selbst sehr gut attackieren, wird sie aber selbst angegriffen, wie diesmal von der Kandidatin Tulsi Gabbard wegen ihrer rechts- und ihrer Außenpolitik, dann tut sie sich damit schwer. Wenn sie das nicht besser in den Griff kriegt, ist sie raus.

Ich würde auch noch die beiden Kandidaten Pete Buttigieg, den Bürgermeister von South Bend, Indiana, und Senator Cory Booker aus New Jersey noch nicht gänzlich abschreiben. Ich glaube aber, dass beide doch eher für die Vize-Präsidentschaft infrage kommen. Ein Bürgermeister hat es in den USA noch nie direkt zum Präsidentschaftskandidaten gebracht, soweit ich weiß.

Einige Kommentatoren hatten den Eindruck, bei den TV-Debatten hätten sich Joe Biden und Kamala Harris „aneinander abgearbeitet“ und sich damit möglicherweise gegenseitig Sympathiepunkte genommen. Wie bewerten Sie das?

Ja, das war vor allem bei der Debatte Ende Juni, als Harris Biden eine bestimmte Haltung vorhielt, die er in den 1980er Jahren hatte zu Rassenintegration, zur Frage, ob Schüler aus Minderheitenbezirken in überwiegend weiße Schulen mit Bussen gebracht werden sollen. Er war damals dagegen. Diesmal ist sie aber auch angegriffen worden, weil sie eine der vier-fünf Topkandidaten ist. Damit konnte sie weniger gut umgehen. Im Moment sind viele Beobachter, inklusive des ehemaligen Präsidenten Obama, ein bisschen besorgt, dass sich die Demokraten zu sehr zerfleischen, das Ganze zu ideologisch wird und damit an einem Teil der Wähler, die man gewinnen muss, vorbeigeht.

Bernie Sanders ist bei den letzten Präsidentschaftswahlen bereits als Bewerber angetreten und Hillary Clinton unterlegen. Damals wurde darüber diskutiert, ob er nicht zu links für die USA sei. An seiner Politik hat sich seither nicht merklich etwas geändert – mit einer kostenlosen staatlichen Krankenversicherung etwa will er das amerikanische Gesundheitssystem revolutionieren. Sind die USA nach einer Amtszeit Trump heute bereit für so viel Sozialismus?

Teile der jüngeren Wählerinnen und Wähler aller Hautfarben wären dazu bereit, aber nicht diejenigen, die sich noch an die Sowjetunion erinnern können und für die Sozialismus ein Schreckgespenst bleibt. Deswegen glaube ich, dass etwa der Bürgermeister Buttigieg, der fast dasselbe sagt wie Sanders, es aber als christliche Sozialethik verkauft und das Wort Sozialismus nicht bemüht, in seinem Vorgehen klüger ist. Dennoch zeigt Sanders‘ Aufstieg – und seine Positionen haben sich seit dreißig Jahren nicht verändert – dass die Basis der Partei und Teile der Wählerschaft offener für strukturellen Wandel geworden sind, als noch in der Ära Bill Clinton. Ob das dann wirklich Sozialismus wäre oder eine wohlfartsstaatlichere skandinavische Politik – darüber lässt sich streiten. Ich tendiere eher zu letzterem.

Bernie Sanders und Elizabeth Warren liegen momentan in ihren Umfragewerten sehr dicht beieinander. Beobachter sagen zudem, sie hätten beinahe identische Programme. Bremsen sich in dem Fall diese beiden Kandidaten nicht gegenseitig aus?

Wenn die Vorwahlen Anfang Februar richtig begonnen haben, wird es darauf ankommen, wer dann vorne liegt. Falls Biden dann immer noch führt, wird es schwer sein, ihn einzuholen. Will man nicht den gleichen Fehler machen, wie seinerzeit die Anti-Trump-Republikaner, müsste sich Sanders oder Warren dann entscheiden, auszusteigen und den Anhängern empfehlen, den anderen zu wählen. Wenn man guckt, mit welchen Kandidaten die Demokraten in den letzten Jahrzehnten erfolgreich waren, dann fällt auf, dass es oft Kandidaten waren, die etwas jünger, unverbrauchter und gar nicht so erfahren waren. Kennedy 1960, Carter 1976, Clinton 1996, Obama 2008. Wäre Trump ein normaler republikanischer Präsident, hätte Biden keine Chance, weil er einfach der Kandidat von gestern gewesen wäre. Aber in der Ära Trump gelten viele Regelmäßigkeiten der amerikanischen Politik der letzten Jahrzehnte eben nicht, und so könnte das Rennen weiterhin Überraschungen bergen.

Bis zu den Wahlen kann noch viel geschehen. Wer ist aber aus heutiger Sicht für Sie der wahrscheinlichste Präsidentschaftskandidat der Demokraten?

Wenn man auf die Zahlen guckt, muss man sagen, dass Biden alle Angriffe bisher gut überstanden hat. Wenn im Februar noch führt, wird er kaum einzuholen sein. Mein Bauchgefühl sagt mir, dass es wahrscheinlich doch nicht so sein wird und dass es ein-zwei andere Kandidaten gibt, die nach wie vor gute Chancen haben. Zu denen zähle ich Elizabeth Warren und auch Kamala Harris, wenn sie sich nach der letzten Debatte wieder fängt. 

sputniknews


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