Putins Ziel, Selenskis Mission und Trumps „undurchsichtige Linie“

  03 Auqust 2019    Gelesen: 650
  Putins Ziel, Selenskis Mission und Trumps „undurchsichtige Linie“

Putins Russland kann seine außenpolitischen Projekte nur dank seiner Rohstoffe verfolgen. Die Ukraine bleibt auch unter dem neuen Präsidenten Selenski zerrissen. Und: Eine außenpolitische Linie unter US-Präsident Trump ist „schwer erkennbar“. Das sagt Thomas Jäger, Politologe für Internationale Beziehungen an der Uni Köln, im Sputnik-Interview.

„Präsident Putin verfolgt das Ziel, Russland wieder zu einer international wahrnehmbaren Großmacht aufzubauen“, sagte Politikwissenschaftler Thomas Jäger von der Universität zu Köln im Sputnik-Interview. „Das hat er offen mehrfach gesagt. Dazu hat er zwei Instrumente: Zum einen die Rohstoffe, insbesondere Öl und Gas. Das hat Russland in den Jahren zuvor, als der Weltpreis stieg, benutzt, um sich finanziell entsprechend zu versorgen. Und Putin hat die militärische Handlungsfähigkeit, die er etwa in Syrien bewiesen und eingesetzt hat.“ Allerdings müssten die russischen Rohstoffe mit einer „gewissen Skepsis betrachtet werden. Denn von Öl und Gas wollen sich die meisten Staaten mittelfristig lösen.“

Dabei sei das Risiko für Russland, dass sinkende Einnahmen aus dem Rohstoffhandel die „militärische Handlungsfähigkeit, die das Land momentan an den Tag legt, auf Dauer nicht aufrechterhalten werden können.“ Russland habe zudem ein demographisches Problem aufgrund einer „schrumpfenden Bevölkerung.“ Dies seien die drängendsten Hauptfragen für Russlands Außenpolitik aktuell. „Das wirft Russland letztlich wieder auf die Frage zurück, wie das Verhältnis zur EU gestaltet werden soll. Denn das ist der Wirtschaftsraum, der dem westlichen Teil Russlands am nächsten ist.“

Ukraine: „Heikler Punkt zwischen Russland und EU“

Zwischen Russland und der Europäischen Union (EU) gelegen befindet sich die Ukraine. Dort ist seit Mai Wladimir Selenski der neue Präsident. Jüngste Parlamentswahlen sicherten seiner Partei „Diener des Volkes“ erneut Mehrheiten im Land. Der im ukrainischen und russischen TV sehr beliebte Darsteller spielt seit Jahren in einer Fernsehserie (ebenfalls „Diener des Volkes“ genannt) einen Präsidenten. Nun wurde für den Darsteller aus dem Drehbuch Realität. „Dass Schauspieler Präsidenten werden, gab es schon einmal“, bemerkte Politologe Jäger und nannte den früheren Film-Darsteller und US-Staatschef Ronald Reagan als Beispiel.

„Es ist Selenski bei den letzten Wahlen gelungen, eine Mehrheit zu bekommen. Aber auch die Zerrissenheit der Ukraine wurde im Wahlergebnis gespiegelt, denn diese besteht weiter. Das ist ein innenpolitischer Spiegel der außenpolitischen Lage. Die Ukraine kommt – so wie die Lage derzeit ist – schlicht und ergreifend nicht zur Ruhe. Sie kann sich kaum entwickeln, sie kann ihre Bündnisbeziehungen nicht frei wählen. Das ist ein ganz heikler Punkt, der eben auch zwischen der Europäischen Union und Russland steht.“

Die „Neue Zürcher Zeitung“ (NZZ) meldete Ende Juli, dass der Wahlsieg Selenskis „neue Hoffnungen auf einen Frieden in der Donbass-Region“ wecke. „Das Votum der Bevölkerung ist Ausdruck von tiefer Frustration über die bis anhin herrschende Elite“, schreibt die Schweizer Zeitung. „Selenski hat ein wichtiges Etappenziel erreicht, die Schaffung einer eigenen Hausmacht in der Werchowna Rada, die im ukrainischen Verfassungssystem einen mächtigen Gegenpart zum Staatspräsidium bildet. Er besitzt nun ein klares Mandat des Volkes. Selenski hat bisher zwei Prioritäten in den Vordergrund gestellt, zum einen die Säuberung der korrupten Staatsstrukturen, zum anderen eine Friedenslösung für die sezessionistische Donbass-Region. Ersteres kann er mithilfe des Parlaments vorantreiben.“

Ein neuer „eingefrorener Konflikt“

Die EU wirft laut Jäger der russischen Regierung vor, die Lage in der Ukraine destabilisieren zu wollen. Dies tue Moskau nach Einschätzung Brüssels deswegen, um zu verhindern, dass „die Ukraine sich stabil in eine Richtung auf die EU zu bewegt.“ Eine Entwicklung, die sich „sehr viele Menschen in der Ukraine vorstellen“ können.

Von Russland aus gesehen sei es so, dass „die Ukraine als ein Gebiet angesehen wird, das russischem Einfluss unterliegt.“ Die Europäische Union solle hier nach der Vorstellung Moskaus die dortigen „Einmischungen unterlassen“.

Das Fazit des Politologen: Der Konflikt in der Ukraine bleibe weiterhin bestehen und es „wurde versucht, ihn mit zwei Schritten im Minsker Abkommen zu bewältigen. Das hat nicht gereicht. Soweit ich das beurteile, hat momentan niemand eine Idee, wie sich dieser Konflikt löst.“ Dies sei ein neuer „eingefrorener Konflikt, der sicher noch eine ganze Zeit bestehen bleibt und damit auch die innenpolitische Handlungsfähigkeit der ukrainischen Regierung beschränkt.“

USA: Keine Russland-Wahleinmischung, aber „beide US-Parteien enttäuscht“

Der zuvor mit Spannung erwartete Mueller-Report wurde im Frühjahr vor dem US-Kongress der Öffentlichkeit durch Sonderermittler Robert Mueller präsentiert. Ursprünglich hofften vor allem die US-Demokraten damit beweisen zu können, dass es eine Einmischung russischer Akteure bei den US-Präsidentschaftswahlen 2016 gab, um US-Präsident Donald Trump ins Amt zu „helfen“. Kritische Beobachter – darunter ehemalige Regierungsbeamte, Wissenschaftler und Geheimdienst-Mitarbeiter – wiesen seit Beginn der Mueller-Ermittlungen immer wieder daraufhin, dass es niemals eine Russland-Einmischung bei den Wahlen gegeben haben könne. Das Ergebnis des Reports kurz zusammengefasst: Es gab keine Wahleinmischung Russlands, allerdings habe Trumps Team „eventuell die Justiz behindert“. Wenn auch nicht in dem Umfang, der eine Entfernung Trumps aus dem Weißen Haus rechtfertigen könne.

„Enttäuscht wurden beide US-Parteien“, analysierte der Experte für internationale Beziehungen Jäger im Interview, „weil die Republikaner am liebsten ein lautes Signal hören wollten, dass es keine Einmischung und keine Behinderung der Justiz (durch Trump – Anm. d. Red.) gab. Doch das hat Mueller nicht gesagt.“ Denn der seit Sommer 2017 ermittelnde Mueller habe durchaus Hinweise genannt, die eine mögliche Behinderung der US-Justiz beinhalten könnten. „Allerdings nicht in dem Maße, das für ein ‚Impeachment‘ (Amtsenthebungsverfahren für den US-Präsidenten – Anm. d. Red.) taugen würde. Das ist genau die Enttäuschung der Demokraten gewesen.“

Die gefährlichste Entwicklung der US-Gesellschaft sei momentan eine zunehmende Polarisierung, die bereits vor Trump begann, aber unter seiner Präsidentschaft nun offen zu Tage trete. „Trump nimmt ein altes Rezept der Identitätspolitik und wendet es nun auf die weiße Wählerschaft an. Denn es wird so sein, dass die weißen Wähler in den USA zwar derzeit noch die Mehrheit der Wahlbevölkerung stellen. Aber das wird auf absehbare Zeit nicht mehr so sein. Genau diese kulturelle Angst beutet Trump aus. Damit polarisiert er immer mehr. Das ist seine Art, eine Mehrheit für die Wahl 2020 zu bekommen.“

„Keine Linie unter Trump“: US-Außenpolitik in Nordkorea und Iran

„Es ist schwer, eine Linie in Trumps Außenpolitik zu erkennen“, kommentierte der Kölner Politikwissenschaftler. „Wenn es eine gibt, dann diejenige, durch Verhandlungen für die USA am liebsten möglichst viel herauszuholen.“ Da trete das berühmte „Deal-Making“ unter Trump, also Deals auszuhandeln, in den Vordergrund.

„So ist er zum einen in den Konflikt mit Nordkorea hineingestolpert. Dann kommt so ein Trump’sches außenpolitisches Verständnis ins Spiel, dass er meint, er selbst könne über alle Apparate hinweg mit dem Gegenüber Politik machen und bestimmen, wo die Reise hingeht. Diese zwei Treffen, die es mit Kim Jong Un gab, hat Trump gefeiert als etwas, was vor ihm keiner konnte.“ Aber die US-Amerikaner und Südkoreaner würden unter Denuklearisierung der koreanischen Halbinsel immer noch etwas anderes verstehen.

„So ähnlich ist das auch im Iran gelagert“, so Jäger. „Auch der Iran weiß eigentlich nicht so genau, was Trump mit seiner Politik will. Auch die Europäer können das nicht genau sagen. Er hat das Nuklear-Abkommen aufgekündigt und niemand weiß, was an die Stelle dieses Abkommens treten soll. Jetzt steht Trump in einer ganz gefährlichen Konfrontationsstellung mit dem Iran, hat Wirtschaftssanktionen verkündet und verhängt, die dem Iran erheblich wehtun.“ Damit wolle Trump die Fraktion in der iranischen Führung, die zu Gesprächen bereit ist, sozusagen „zwingen“, in Verhandlungen mit Washington zu treten. Doch ob das angesichts der komplexen politischen Machtsituation im Iran wirklich gelingen wird, sei überaus fraglich.

Bereits im Juli hat das in Potsdam erscheinende außenpolitische Journal „WeltTrends“unter dem Titel „Brennpunkt Iran“ mehrere Beiträge von Experten zum US-iranischen Konflikt veröffentlicht. Darin analysieren beispielsweise der iranische Politologe und Rohstoff-Experte Behrooz Abdolvand und Heinrich Schulz „Trumps geostrategisches Wunschdenken“. Der Politikwissenschaftler Cornelius Adebahr beschreibt im Heft den historischen Hintergrund, beginnend bei der Islamischen Revolution, die 1979 die heutige „Islamische Republik Iran“ aus der Taufe hob. Anders als vielfach im Westen behauptet, verfolge die religiöse und politische Führung keine Expansionspläne. Das sagt der deutsche Politik-Experte, der mit seiner Familie und Frau, einer Diplomatin im Auswärtigen Amt, selbst zwei Jahre lang im Iran lebte.

Thomas Jäger (Jahrgang 1960) ist ein renommierter Professor für Internationale Politik und Außenpolitik an der Universität zu Köln. Seine Forschungsschwerpunkte liegen in der US-amerikanischen Außenpolitik, den transatlantischen Beziehungen und in der Sicherheitspolitik. Jäger ist unter anderem Mitglied der „Nordrhein-Westfälischen Akademie der Wissenschaften und der Künste“ und Herausgeber der „Zeitschrift für Außen- und Sicherheitspolitik“ (ZfAS), die vierteljährlich in Wiesbaden erscheint. Der Politologe schreibt regelmäßig eine außenpolitische Gast-Kolumne für „Focus Online“.

sputniknews


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