„Russland zahlt mit gleicher Münze zurück“ – Politikmagazin zu Militär und Vertrauen

  06 Auqust 2019    Gelesen: 1182
  „Russland zahlt mit gleicher Münze zurück“ – Politikmagazin zu Militär und Vertrauen

Alte Politikmuster aus der Zeit des Kalten Krieges helfen nicht mehr, die heutigen Probleme der internationalen Sicherheit zu lösen. Das ist in der aktuellen Ausgabe des Politikmagazins „WeltTrends“ zu lesen. Darin geht es um die Frage, warum heute das Vertrauen in der internationalen Politik gefährdet ist und wie neues geschaffen werde kann.

Vor dem Vertrauensverlust und einem neuen nuklearen Wettrüsten hat Horst Teltschik am Freitag in einem Radio-Interview gewarnt. Er war ehemaliger Sicherheitsberater unter Bundeskanzler Helmut Kohl und später Leiter der Münchner Sicherheitskonferenz. Teltschik äußerte sich zum Ende des INF-Vertrages über nukleare Mittelstreckenraketen zwischen den USA am selben Tag. Einen Tag später forderte er gegenüber dem Radiosender „Deutschlandfunk“ vom Westen, sich um ein neues Vertrauensverhältnis mit Russland zu bemühen und Spannungen abzubauen.

Diese Sicht bestätigt der Themenschwerpunkt der aktuellen Ausgabe des außenpolitischen Journals „WeltTrends“ (Heft 154). Angesichts der aktuellen und akuten Zuspitzung im gegenseitigen Verhältnis geht es um „Vertrauensbildung, Rationalität und Deeskalation“, schreibt Lutz Kleinwächter, Politikwissenschaftler und Vorsitzender des „WeltTrends“-Vereins einleitend. Das gehöre zu den wichtigen Lehren aus der Zeit des Kalten Krieges mit ihren Konfrontationen.

„‘Weiche Faktoren‘ der Außen- und Militärpolitik wie Gipfeldiplomatie, Verhandlungen und permanente Arbeitsgespräche zu sicherheitsbildenden Maßnahmen sowie umfassende Informationen und transparente Vorortkontrollen sind dabei vorrangig.“

Das Heft des Politikmagazins aus Potsdam ist der Frage gewidmet, wie derzeit militärische Vertrauensbildung möglich sein könnte. Sie befindet sich teilweise in einer Sackgasse, stellt der Politikwissenschaftler Wolfgang Kubiczek in einem Beitrag fest: „Die Positionen der beiden Hauptakteure sind diametral entgegengesetzt und festgefahren. Sie bieten kaum Raum für Kompromisse. Dazu fehlt es auch an politischem Willen. Da ist jedes informelle Dialog-Gremium willkommen.“

Deutsche Initiative als Ausweg?
Kubiczek verweist auf den Vorschlag des damaligen Bundesaußenministers Frank-Walter Steinmeier aus dem Jahr 2016 für einen „Strukturierten Dialog“. Es sei eine neue Initiative zur konventionellen Rüstungskontrolle, nachdem diese zuvor ins Stocken geriet. Die einstigen vertrauensbildenden Maßnahmen (VSBM), vereinbart im „Wiener Dokument“ von 1990, würden heute kaum noch umgesetzt, so der Autor. Er zeichnet die wechselseitige Entwicklung nach. Zuvor habe Russland 2007 den Vertrag über konventionelle Streitkräfte in Europa (KSE-Vertrag) suspendiert – „nicht unbegründet“.

Die USA würden dem Ansatz der deutschen Initiative skeptisch gegenüber stehen, schreibt der Politikwissenschaftler. Für Washington gebe es keine Grundlage für eine Einigung mit Russland, „solange in der Ukraine und auf der Krim nicht der alte Zustand hergestellt wird“.

Traum vom „Haus Europa“ ausgeträumt?
Russlands Außenminister Sergej Lawrow habe sich dagegen im April dieses Jahres „zurückhaltend positiv“ geäußert: Der strukturierte Dialog könne zu einem wichtigen Instrument der politisch-militärischen Deeskalation werden.

„Der ehemalige russische Außenminister Igor Iwanow schrieb kürzlich, die einmalige Chance für ein gemeinsames Europa sei verspielt, eine zweite werde sich für die heutige Politikergeneration nicht mehr auftun. Man müsse akzeptieren, dass sich die Wege Europas und Russlands ernsthaft getrennt haben, und zwar nicht auf Jahre, sondern eher auf Jahrzehnte. Es gelte jedoch zumindest, die wenigen erhaltenen Brücken wie OSZE, Europarat und NATO-Russland-Rat zu bewahren.“

Aus Sicht des Politologen muss das „Wiener Dokument“ in seiner überarbeiteten Fassung von 2011 samt der Verfahren für Transparenz, Information und Verifikation bewahrt und geschützt werden. Wie notwendig das ist, zeigen die beiden Militärwissenschaftler Rainer Böhme und Wilfried Schreiber in ihrem Beitrag im Heft über die Sicht Russlands.

Neue Entspannungspolitik möglich?
Die Alternative zur Abschreckung sehen beide „in einer beidseitigen Entspannungspolitik auf der Basis der neuen Realitäten“. Böhme und Schreiber stellen ebenso fest: „Man muss kein Freund Russlands sein – und schon gar nicht seines Präsidenten Putin – um zu erkennen, dass Russland seit langem den politischen Dialog mit dem Westen sucht.“ Sie erinnern daran, dass Wladimir Putin am 9. Mai dieses Jahres in Moskau zur „Schaffung eines effektiven und für alle gleichen Systems der Sicherheit“ aufrief.

„Das ausgebliebene Echo aus dem Westen zeigt, dass dessen Strategie der Dialogverweigerung und Sanktionen fortgesetzt wird. Bereits die früheren Dialogangebote Putins vor dem Deutschen Bundestag (2002) und zur Münchner Sicherheitskonferenz (2007) sowie von Medwedjew mit seinem Vertragsvorschlag für eine neue europäische Sicherheitsstruktur (2008) liefen ins Leere.“

Deshalb sei es nicht verwunderlich, „wenn seitens Russlands die Töne rauer werden, sobald sich Militärs zu den Beziehungen mit dem Westen äußern“. Die beiden Autoren erinnern an Aussagen des Chefs des Generalstabes der Streitkräfte Russlands und 1. Stellvertreters des Verteidigungsministers, Armeegeneral Waleri Gerassimow. Sie zitieren dessen Grundaussagen wie die strikte Verteidigungsorientierung und das Ziel der Kriegsverhütung, aber auch den festen Willen, die Staatlichkeit Russlands zu verteidigen  – unter Einsatz des gesamten Militärpotenzials.

Denkt Russland wie der Westen?
Letzteres könne als „ein Signal zur Abschreckung verstanden werden“, auch als „Zeichen der Aggressivität Russlands“ ideologisch gedeutet werden. Es könne aber ebenso als „Ausdruck legitimer russischer Interessen zur Landesverteidigung“ angesehen werden.

„Moskau hat eine ähnlich komplexe Betrachtungsweise der militärstrategischen Situation und der sich daraus ergebenden Konsequenzen wie die USA und der verbündete Westen insgesamt. Von diesen Aussagen Gerassimows und von der Herangehensweise Russlands an die neuen Realitäten gehen keine neue Drohung und Aggressivität aus. Russland denkt nur ähnlich wie die USA und auch Deutschland! Es zahlt mit gleicher Münze zurück.“

Für die beiden Militärwissenschaftler ist ein Ausweg aus der Situation nur möglich, wenn alle Beteiligten sich bewegen. Sie schreiben mit Blick auf die deutsche Politik und die deutschen Medien: „Trotz aller Differenzen mit Russland ist eine grundsätzliche Neuorientierung der politischen Beziehungen zu Russland erforderlich.“ Das Umdenken müsse auf der höchsten politischen Entscheidungsebene beginnen. „Ein Hauch weniger deutsche Selbstgerechtigkeit ist dazu allerdings unerlässlich“, so Böhme und Schreiber. Sie empfehlen dazu die Lektüre der in ihrem Beitrag vorgestellten russischen Dokumente.

Asien: Wer provoziert wen?
In dem aktuellen „WeltTrends“ Heft analysiert der ehemalige DDR-Militäraufklärer und -Militärattaché Bernd Biedermann die Interessenskonflikte zwischen den USA und China in Asien. Er geht dabei auf chinesische Strategiedokumente ebenso ein wie auf die neue Ausrichtung der US-Politik auf den pazifisch-asiatischen Raum.

Peking habe auf die neue Orientierung der US-Interessen weg vom Nahen Osten hin zu Asien und der Pazifik-Region reagiert. Seit der Amtsübernahme durch Donald Trump gelte: „Die vorrangige Orientierung der US-Militärstrategie ist nicht mehr auf den Kampf gegen den Terrorismus, sondern auf die Eindämmung Chinas gerichtet.“ Und: „Die Pazifikdoktrin als neues strategisches Konzept der USA mit ihrer Konzentration auf den militärischen Faktor hinterlässt einen provozierenden Eindruck.“

Biedermann beschreibt die veränderte chinesische Position und die Entwicklung der chinesischen Streitkräfte hin zu „einer der modernsten Armeen der Welt“. Das Land strebe keine militärische Expansion an, stellt er fest. Es gebe keine Anzeichen dafür, dass sich die chinesische Führung auf einen zwanghaften Rüstungswettlauf einlassen wird.

Atomwaffen als nordkoreanische Lebensversicherung?
Der Autor geht auch auf das aktuelle chinesisch-russische Verhältnis ein. Er zitiert Russlands Außenminister Lawrow, der in einem Interview zum Thema von „zwischenstaatlichen Beziehungen eines neuen Typs“ und „einem neuen Kooperationsmodell für das 21. Jahrhundert“ sprach. „Es könnte auch eine Vision für die Beziehungen China-USA sein“, meint Biedermann.

Zum Themenschwerpunkt des „WeltTrends“-Heftes gehört außerdem eine Analyse der nordkoreanischen Nuklearrüstung. Der Politikwissenschaftler Wulf Lapins betont darin: „Dabei geht es vor allem um die staatliche Eigensicherung durch Machtakkumulation gegenüber potenziellen Gegnern. Der Nuklearwaffenstatus eignet sich dafür bestens.“ Die von Kim Jong-un vorgeschlagene „vollständige Denuklearisierung“ könnte die „komplette, durch dauerhafte, internationale Inspektionen überprüfbare und irreversible atomare Abrüstung“ bedeuten, so Lapins. „Das käme der Kündigung der (Über-)Lebensversicherung gleich.“

Fotos von der Nato-Übung „Noble Jump 2019“ in Polen von Ende Mai bis Mitte Juni dieses Jahres schließen den Heft-Schwerpunkt ab. Diese Übung der Nato-„Speerspitze“ unter deutscher Beteiligung sei zwar laut Bundeswehr nicht gegen Russland gerichtet. Aber sie widerspreche dem Ziel, Vertrauen zu bilden. Es gebe keine gegenseitigen Einladungen beider Seiten mehr, Manöver zu beobachten, bedauert die „WeltTrends“-Redaktion.

sputniknews


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