Sowjet-Kreaturen der Lüfte: Zu irre, um wahr zu sein

  13 Auqust 2019    Gelesen: 1757
  Sowjet-Kreaturen der Lüfte: Zu irre, um wahr zu sein

Mehr als 100 Jahre voller Legenden, Helden, unverkennbarer Technik: Der 12. August ist der Ehrentag der russischen Luftstreitkräfte. Russlands Luftwaffe heute, das sind: Über 3.200 Flugzeuge und Hubschrauber, fast 150.000 Bedienstete – und eine Geschichte technischer Entwicklungen, die mitunter zu skurril waren, um in Serie zu gehen.

Vor 107 Jahren ging die russische Luftwaffe in den aktiven Dienst: Die „Abteilung Luftfahrt“ beim russischen Generalstab nahm am 12. August 1912 per Erlass die Arbeit auf. Seitdem sind für die russischen Luftstreitkräfte unzählige Fluggeräte konstruiert worden, die man schon als seltsam bezeichnen kann. Raumflugzeuge zählen dazu und Tragschrauber zum Transport von Interkontinentalraketen – Exoten des Kalten Kriegs.

MiG-105.11

Als die Sowjetunion und die Vereinigten Staaten um die größte Streitmacht gegeneinander wetteiferten, arbeiteten sie auch an Bombern für den Einsatz im Erdorbit. Auf amerikanischer Seite war die X-20 „Dyna-Soar“ so ein Raumflugzeug, auf sowjetischer Seite die MiG-105.11. Wegen ihrer einprägsamen Form erhielt sie in den russischen Fachkreisen den Beinamen „Lapot“: „Klompe“.

Auf einer Interkontinentalrakete sollte die MiG in den Weltraum gelangen, so war der Plan. Die Praxis: Die MiG-105.11 erreichte, von einem speziell umgebauten Tu-95-Bomber abgeworfen, allerhöchstens die oberen Schichten der Erdatmosphäre – und nur Unterschallgeschwindigkeit.

Nur 800 km/h flog das dreieinhalb Tonnen leichte „Raumvehikel“, gesteuert von einem Piloten. Angedacht war es, die experimentelle MiG als Aufklärungsflugzeuge einzusetzen oder als Bomber zur Bekämpfung von Flugzeugträgern mit nuklearen Flugkörpern, auch als Jäger zum Abfangen von Zielen im Weltraum.

Mit den Tests war es abrupt vorbei, als der einzige Prototyp des Raumflugzeugs am 13. September 1978 bei einem Landeunfall einen schweren Schaden erlitten hatte. Bald darauf wurde das Projekt aufgegeben, auch weil es zu teuer war. Aber das Gefährt kann man sich heute noch ansehen, im Luftfahrtmuseum Monino bei Moskau.

M-50

Als Reaktion auf den amerikanischen Bomber XB-70 nahm das Konstruktionsbüro Mjassischtschew 1956 die Arbeit an einem überschallfähigen Bomber auf. Es entstand eine Maschine mit schmalem Rumpf, einem Deltaflügel und einem vollbeweglichen Leitwerk. Zwei Triebwerke unter den Tragflächen und zwei an dessen Spitzen sollten die Maschine auf Überschalltempo bringen: auf 1.900 bis 2.000 km/h – bei bis zu 15.000 Kilometern Reichweite.

Am 27. Oktober 1959 hob der erste Prototyp ab, elf weitere Testflüge folgten. Aber die M-50 flog nie schnelle als 1.090 Stundenkilometer. Mit den verfügbaren Triebwerken war die Schallmauer nicht zu knacken, das mussten die Entwickler bald einsehen. Daran änderte auch der Austausch der Motoren gar nichts.

Weil die tatsächlich erzielten technischen Parameter den Anforderungen nicht genügten, wurde das M-50-Projekt 1961 eingestellt. Aus demselben Grund hörten auch die Amerikaner mit der Arbeit an der XB-70 auf.

Mi-12

Russland hält immer noch einen Rekord im Hubschrauberbau. Zu Sowjetzeiten wurde der größte und schwerste Transporthubschrauber der Welt entwickelt: die Mi-12, Erstflug des Prototyps am 10. Juli 1968. Der Super-Heli mit 30 Tonnen Traglast war dafür gedacht, Teile von ballistischen Interkontinentalraketen zu transportieren.

Das auffälligste Merkmal der Mi-12 waren die zwei Tragschrauben, die auf Tragflügeln einander gegenüber liegend angeordnet wurden. Die Rotoren wurden von je zwei Triebwerken angetrieben. Die Besatzung bestand aus sechs bis zehn Mann, der Rumpf hätte ausgereich, um 196 Passagiere aufnehmen zu können. Leer wog die Mi-12 fast 70 Tonnen. Doch die schwere Maschine war mit 260 Stundenkilometern Höchstgeschwindigkeit in 3.500 Metern Höhe überraschend agil.

Zwei Prototypen wurden gebaut, einer davon wurde 1971 auf der Luftfahrtmesse in Le Bourget der Weltöffentlichkeit präsentiert. Und hinterließ natürlich einen schweren Eindruck: Die American Helicopter Society würdigte die Leistung der Mi-12-Konstrukteure mit dem Sikorsky-Preis. Und doch blieb der russische Gigant nur ein Prototyp.

Das sowjetische Militär hatte in der Zwischenzeit leichtere Interkontinentalraketen auf mobilen Startrampen entwickelt, sodass kein Bedarf mehr nach der Mi-12 vorhanden war. Seitdem reichen der russischen Armee leichtere Hubschrauber aus. Aber der Hubschrauber der Superlative ist bei Interesse zu begutachten: Der zweite Prototyp der Mi-12 wurde nämlich an das Luftfahrtmuseum Monino übergeben.

WWA-14

Wenn schon skurril, dann richtig. Am 4. September 1972 hob ein Versuchsfluggerät ab, das die Eigenschaften eines Senkrechtstarters, eines Wasserflugzeugs und eines Bombers vereinen sollte: WWA, Wertikalno Wsletajuschtschaja Amfibija – ein senkrecht startendes Amphibium.

Vom russischen Flugkonstrukteur italienischer Abstammung Robert Bartini entwickelt, sollte das ungewöhnliche Fluggerät Teil eines ganzen Schiffsabwehrsystems werden, bestehend aus dem eigentlichen Flugzeug, einer Ortungs- und Zielanlage, Antischiffswaffen und einer schwimmenden Tankstelle. So sollten Schiffe und U-Boote entdeckt und bekämpft werden, die sich in einer Entfernung von bis 1.500 Kilometern vom Startplatz des Flugzeugs befanden.

Wegen Schwierigkeiten mit dem Senkrechtstart wurde die WWA-14 zu einem Bodeneffektfahrzeug entwickelt. Der Prototyp wurde 1976 im Asowschen Meer bei Taganrog getestet. Bei den Tests blieb es auch. Der Rumpf des ungewöhnlichen Amphibiums ist heute in Monino zu sehen.

MiG-1.44

Die Entwicklung eines russischen Kampfjets der 5. Generation hatte lange vor den Arbeiten an der Su-57 begonnen. 1983 wurden die taktisch-technischen Anforderungen an eine solche Maschine definiert, 1987 wurde der Vorentwurf bestätigt, vier Jahre später bekam das Mockup der künftigen Maschine das OK der zuständigen Behörde.

Der Vorprototyp trug die russische Bezeichnung MFI von Mnofunkzionalnyi Frontowoj Istrebitel, ein Multifunktionaler Frontjäger. Die Anforderungen an den neuen Kampfjet hatten es in sich: 3.200 km/h Höchstgeschwindigkeit in einer Höhe von 20.000 Metern bei 4.000 Kilometern Reichweite. Überschallflug ohne Nachbrenner, hochmanövrierfähig, schwer zu entdecken.

Die 1991 ausgebrochene Krise in Russland ließ dem Vorhaben keine Chance. Zwar war im Februar 2000 ein Prototyp der MiG-1.44 geflogen, aber die russische Regierung beschloss 2002 endgültig, auf die Su-57 zu setzen. Der einzige flugfähige Prototypdieser außergewöhnlich MiG existiert noch heute: im Flugtechnischen Forschungsinstitut Schukowski bei Moskau. 

sputniknews


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