Die Große Koalition verkalkuliert sich

  18 Auqust 2019    Gelesen: 570
Die Große Koalition verkalkuliert sich

Im ersten Koalitionsausschuss nach der Sommerpause werden Union und SPD um Grundrente streiten, um Soli-Beitrag und Klimaschutz. Anders gesagt: Sie machen genau da weiter, wo sie vor den Ferien aufgehört haben. Beiden Seiten droht, dass sie sich mit dem, was sie für Haltung halten, fatal verkalkulieren.

Deutschland steht der "Spätsommer der Entscheidungen" bevor. So zumindest hat Hubertus Heil die Politik der kommenden Wochen angekündigt. Der SPD-Arbeitsminister rechne mit einer zügigen Einigung im Streit über die Grundrente. Der politisch interessierte Mensch erinnert sich: Moment, da war doch was, bevor die Kinder mit den Zeugnissen nach Hause kamen, bevor es unterm Brenner durch Richtung Toskana ging, und Bundespolitik in so angenehm weite Ferne rückte.

Was da war: Die Bundesregierung stritt darüber, in welcher Form die geplante Grundrente für Geringverdiener umzusetzen sei. Der Gesetzentwurf sieht vor, dass Menschen mit niedrigem Einkommen aber mindestens 35 Renten-Beitragsjahren ihre Rentenansprüche verdoppeln können. Der Streitpunkt vor den Ferien: Soll das auch für Geringverdiener gelten, die gutgestellt sind, zum Beispiel durch eine hohe Rente des Partners oder der Partnerin, die die Grundrente also nicht nötig haben? Die CDU meinte: Nein, die SPD fand: Ja.

Im Koalitionsvertrag steht: "Voraussetzung für den Bezug der Grundrente ist eine Bedürftigkeitsprüfung entsprechend der Grundsicherung." Diese Prüfung möchte die SPD den Geringverdienern also ersparen und mit sozialer Kompetenz und Sensibilität bei den Wählern punkten. Allerdings wird eine Auszahlung der Grundrente auch an solche, die ihrer nicht bedürfen, die Sache deutlich verteuern. Und sozial gerecht erscheint sie auch nicht gerade. "Das ist nicht das geeignete Thema, um Eigenständigkeit zu demonstrieren", sagt der Parteienforscher Oskar Niedermayer zu n-tv.de, "und das auch so weit zu treiben, dass man eine Kompromisslösung blockiert, die vielen Leuten was gebracht hätte. Gerade im Osten."

Streit um das Soli-Ende

Da war aber noch mehr vor der Sommerpause: Die Bundesregierung stritt darüber, wie umfassend der Solidaritätszuschlag abzuschaffen sei. Zum Ende des Solidarpakts soll auch sein Ende beschlossen werden. Der Streitpunkt vor den Ferien: Streicht man die Sonderabgabe gleich für alle Zahlenden oder schrittweise, so dass Gutverdiener noch etwas länger zahlen? Im Koalitionsvertrag steht: "Wir werden den Solidaritätszuschlag schrittweise abschaffen." Es würden "rund 90 Prozent aller Zahler" entlastet.

Diese Abmachung will die Union aufkündigen. Nach ihrer Auffassung sollte der Zuschlag für alle gestrichen werden, worüber sich zum Beispiel Arbeitnehmer, die mehr als 74.000 Euro im Jahr verdienen, freuen würden. Die sind nämlich derzeit unter den zehn Prozent, die weiterzahlen sollen, und sie wären der CDU/CSU sicher dankbar.

Das Problem ist nur: Dadurch, dass beide Partner wichtige Gesetzespläne der Regierung blockieren, um bei denen, die sie für mögliche Wähler halten, gut dazustehen, entsteht insgesamt der Eindruck, dass am Ende des Tages schlicht gar nichts passiert. Und das bei Gesetzen, die eigentlich schon auf dem Weg waren. Nicht etwa bei Gesetzen wie dem Klimapaket, das erst seit März überhaupt verhandelt wird, kontrovers natürlich. Und selbst wenn die Koalition bis zum Stichtag am 20. September zu einer Einigung kommt, werden die Grünen die Maßnahmen sofort für ungenügend erklären. Hier kann die Groko also ohnehin kaum punkten.

Wir reden auch nicht vom Einsatz der Bundeswehr-Tornados innerhalb der Anti-IS-Koalition über Syrien und dem Irak. Der läuft am 31. Oktober aus, wenn man nicht entscheidet ihn zu verlängern. Die Bundesregierung würde das gern tun, die SPD-Fraktion im Bundestag will eine Verlängerung auf jeden Fall ablehnen. Eine Einigung scheint schwer bis gar nicht möglich.

GroKo-Patt schwächt Landesverbände

Während also an keiner Stelle etwas zu erkennen ist, das auch nur entfernt an einen Schritt nach vorn erinnert, geraten diejenigen, die für SPD und Union Wahlkampf in Sachsen, Brandenburg und Thüringen machen, immer stärker unter Druck. Wie einen "Mühlstein um meinen Hals" beschreibt der SPD-Spitzenkandidat in Sachsen Martin Dulig im Gespräch mit n-tv.de seine Bundespartei. Er macht an jenem Tag Wahlkampf auf einem sächsischen Marktplatz. Ohne Publikum. Ingo Senftleben, CDU-Spitzenmann für Brandenburg, fordert im Interview mit der Rheinischen Post, die SPD solle aufhören, die Grundrente aus Wahlkampftaktik zu blockieren. Und setzt in Richtung Union nach: "Auch meine Partei ist aufgefordert, sich für eine schnelle Lösung einzusetzen."

In zwei Wochen gehen die Menschen in Sachsen und Brandenburg zur Wahl. Wenn man es also ernst und ehrlich meint mit dem "Spätsommer der Entscheidungen", dann täte man gut daran, die nächsten 14 Tage schon mal für die eine oder andere Entscheidung zu nutzen und diese nach dem Koalitionsausschuss am Nachmittag zu verkünden.

Besonders günstig für Union und SPD wäre eine Einigung über das Gesetz zur Unterstützung des Strukturwandels in den Kohleregionen. Das sollte ursprünglich am 28. August im Kabinett beschlossen werden und etwa den Bau neuer Bahngleise, die Ansiedlung von Betrieben, die Arbeit von Forschungsinstituten unterstützen. Die Stimmung in den sächsischen und brandenburgischen Braunkohleregionen würde dieses Gesetz womöglich verbessern. Das wäre gut, denn bezüglich der Stimmung und dem Ruf der Regierungsparteien ist in der Lausitz gerade viel Luft nach oben. Aber SPD-Finanzminister Olaf Scholz will kein zusätzliches Geld dafür bereitstellen, was CDU-Wirtschaftsminister Peter Altmaier nicht akzeptiert. Die Fronten sind hart, einen Kompromissvorschlag gibt es nicht. Daher hat das Gesetz beim Koalitionsausschuss nicht mal den Sprung auf die Tagesordnung geschafft.


Quelle: n-tv.de


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