Vor dem Antrittsbesuch des britischen Premierministers Boris Johnson in Berlin hat der CDU-Europaabgeordnete David McAllister Nachverhandlungen des Brexit-Abkommens als unrealistisch eingestuft. Die 27 anderen EU-Staaten seien in dieser Frage "eindeutig positioniert", sagte der Vorsitzende des Auswärtigen Ausschusses im Europäischen Parlament der "Passauer Neuen Presse". "Sie lehnen eine Änderung des Austrittsabkommens ab, sind aber offen für Gespräche über die Erklärung zu den zukünftigen Beziehungen."
Die entscheidende Frage sei der Backstop, "also die künftige Regelung für die irisch-nordirische Grenze", sagte der CDU-Parlamentarier weiter. "In diesem Punkt bleibt aber auch der vierseitige Brief des britischen Premierministers vage." Die Rede sei nur von "flexiblen und kreativen Lösungen" sowie von "alternative arrangements".
Johnson wird am Abend in Berlin von Bundeskanzlerin Angela Merkel empfangen. Er hatte zu Wochenbeginn in einem Brief an EU-Ratspräsident Donald Tusk vorgeschlagen, die sogenannte Backstop-Regelung neu zu verhandeln. Der Vorstoß wurde aber von der EU zurückgewiesen.
Die Backstop-Regelung sieht vor, dass Großbritannien nach dem Ausscheiden aus der Europäischen Union so lange in einer Zollunion mit der EU verknüpft bleibt, bis eine Lösung für das Grenzproblem zwischen dem EU-Mitglied Irland und dem zu Großbritannien gehörenden Nordirland gefunden wird.
Röttgen fordert gemeinsame Positionen
Johnson hat versprochen, sein Land zum 31. Oktober aus der EU zu führen - mit oder ohne Abkommen mit der Europäischen Union. Bei einem Austritt ohne Abkommen werden erhebliche wirtschaftliche Turbulenzen erwartet. Sobald die Briten den EU-Binnenmarkt verlassen, müsste es zwischen dem EU-Mitglied Irland und dem zu Großbritannien gehörenden Nordirland echte Grenzkontrollen geben, es drohen Konflikte.
McAllister warnte in der "Passauer Neuen Presse" vor den Folgen eines No-Deal-Brexit. "Ein No Deal schadet allen - am meisten dem Vereinigten Königreich", sagte der Europaabgeordnete. "Der Austritt ohne Abkommen ist die mit Abstand schlechteste aller Alternativen."
Seine Parteikollege Norbert Röttgen schraubte indes die Erwartungen an die diplomatische Offensive des britischen Premierministers herunter. "Boris Johnson weiß genau, dass weder die deutsche Bundeskanzlerin noch der französische Staatspräsident ihm etwas anbieten können", sagte der Vorsitzende des Auswärtigen Ausschusses des Bundestags. Röttgen forderte Merkel und Johnson auf, gemeinsame Positionen zu drängenden Fragen wie den Protesten in Hongkong oder der Politik Irans zu beziehen. "Das wäre für die Zukunft der deutsch-britischen Beziehungen auch nach einem möglichen Brexit ein wichtiges Signal."
Johnson komme mit leeren Händen nach Berlin "als ein Premierminister, der mit seiner No-Deal-Politik das Land noch tiefer gespalten und in eine regelrechte Verfassungskrise geführt hat", kritisierte Röttgen. Johnson versuche, das britische Parlament auszumanövrieren, das gegen einen No-Deal-Brexit sei. Seitdem die EU das Austrittsabkommen mit Großbritannien geschlossen habe, sei die Entscheidung über den Brexit eine britische Angelegenheit. "Die Briten müssen und werden das im September, wenn das Unterhaus spätestens wieder zusammentritt, ausfechten. Das kann ihnen keiner abnehmen", sagte der CDU-Außenexperte.
"Scheidungsvertrag" nicht wieder aufmachen
Die Europa-Expertin der Grünen im Bundestag, Franziska Brantner, kritisierte: "Boris Johnsons Besuch ist kein konstruktives Gesprächsangebot, sondern vielmehr eine Show für London." Der Premierminister sammele Körbe der europäischen Staats- und Regierungschefs, "um sich dann hinstellen zu können und zu sagen, die EU habe den harten Brexit provoziert, weil sie den Briten nicht entgegen kam." Dieser Erzählung müssten die Europäer etwas entgegensetzen.
Die EU-Staaten sollten aus Brantners Sicht "klar in der Kommunikation und fair in den Verhandlungen" mit Johnson sein. "Der Scheidungsvertrag kann nicht wieder aufgemacht werden", sagte sie - das ist auch die Position Brüssels. "Der Ausweg aus der verfahrenen Situation ist vielmehr eine zügige und umfassende Verhandlung zu den zukünftigen Beziehungen zwischen Großbritannien und der EU."
Quelle: n-tv.de
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