Wie Ines Kummer in Sachsen gegen Rassismus kämpft

  24 Auqust 2019    Gelesen: 676
Wie Ines Kummer in Sachsen gegen Rassismus kämpft

Die Grüne Ines Kummer und Candido Mahoche von der CDU sind Lokalpolitiker im sächsischen Freital. Sie ringen darum, wer über ihre Stadt richten darf.

Sie sind Freunde, sehr gute Freunde, die grüne Freitaler Stadträtin und der Freitaler CDU-Stadtrat. Aber über manche Dinge streiten sie, nun ja, bis aufs Messer. Ungefähr so: Er glaube doch wohl nicht im Ernst, dass es in Freital keine Rassisten gebe?!, empört sich jedes Mal die grüne Stadträtin. Worauf der CDU-Stadtrat, in seiner ruhigen, aber entschiedenen Art, antwortet: Er habe nie gesagt, dass es keine Rassisten in Freital gebe. Er habe gesagt – und wiederhole es gern –, dass Freital kein Problem mit Rassismus habe. Das habe er gesagt. Bitteres Auflachen der grünen Freitaler Stadträtin? Deeskalierende Blicke des schwarzen Freitaler Stadtrates?

So wie 2015 vorm Leonardo-Hotel sähe wohl eine Stadt aus, die kein rassistisches Problem habe?, fragt sie dann gewöhnlich. Er nenne das, was damals geschah, eine Krise, eine Ausnahmesituation. Wer da keinen Unterschied mache, begreife nichts. Pappnasen gebe es überall, nur dass sie in solchen Situationen gefährlich würden.

Und im Übrigen habe er es satt, sich von Nicht-Freitalern, von Nicht-Sachsen, von Nicht-Ostdeutschen erklären zu lassen, wie die Freitaler, die Sachsen, die Ostdeutschen sind. Er ist Freitaler, Sachse, Ostdeutscher und schwarzer Stadtrat, höchstwahrscheinlich der einzige doppelt schwarze Stadtrat Sachsens: Candido Mahoche, geboren 1958 in Mosambik. Candido heißt „ehrlicher Mann“.

Ines Kummer, Grünen-Direktkandidatin im Wahlkreis Sächsische Schweiz/Osterzgebirge, lange die einzige grüne Stadträtin in Freital, denkt daran, dass sie dringend in ihren Garten müsste, statt hier im Biergarten des legendären Freitaler Gasthofs „Zum goldenen Löwen“ zu sitzen, wo Candido einst seine künftige Frau traf, beim Tanzen. Kummers Blumen, Tomaten und Wassermelonen haben eine anarchistische Republik gegründet, sie machen, was sie wollen, und das wird sich bis zur Landtagswahl am 1. September kaum bessern. Der Garten der grünen Stadträtin ist eigentlich der des schwarzen Stadtrats. Aber Mahoche fand eine Grüne ohne Garten völlig daneben, und ihm wuchs das alles ohnehin längst über den Kopf.

Gleich kommt der Grünen-Stammtisch in den Biergarten. Neben der Direktkandidatin sitzt schon jetzt ihre Enkelin und fordert eine sofortige und sachlich gut begründete Entscheidung darüber, ob sie ein Mädchen mit Zöpfen oder langen Haaren oder eins mit kurzen Haaren oder Glatze malen soll. Bevor sie das nicht wisse, könne sie nicht anfangen. Ines Kummer sieht das so: Leben heißt, immer schon angefangen zu haben zu malen, ohne die entfernteste Ahnung davon zu besitzen, was für ein Bild das werden soll. Und ob man selbst darauf vorkommt. Wie hätte sie, Tochter eines Freitaler Elektrikers und einer Kranführerin, jemals wissen können, dass einmal eine Grüne aus ihr werden wird?

Wie hätte der vaterlose Sohn einer Analphabetin in Mosambik ahnen können, dass das Angebot der DDR, junge Leute für das sozialistische Bruderland in Afrika auszubilden, ausgerechnet ihn mittreffen würde? So stand Candido Mahoche 1980 in einem kalten Flusstal, über dem oft ein roter Nebel hing. Fast keine Sonne und dann noch roter Nebel! In der Bundesrepublik hatte sich gegen derartige unnatürliche Naturerscheinungen ein paar Monate zuvor eine vielbeargwöhnte Partei gegründet, die Grünen. Der Nebel kam vom örtlichen Stahlwerk. „Na, was da so aufsteigt beim Stahlkochen“, kommentiert die Direktkandidatin, und ihr Tonfall lässt keinen Zweifel, dass sie dachte, was die meisten dachten: Unser roter Nebel ist nun mal der Preis für unseren Stahl.

Die Leipziger hatten ihre Weiße Elster längst den optischen Tatsachen entsprechend in Schwarze Elster umgetauft. Sie wussten: Wenn da eine Möwe reinfällt, kommt eine Krähe wieder raus.

In Leipzig hat Ines Kummer gelernt, Facharbeiterin für Betriebsmess-, Steuerungs- und Regelungstechnik, Spezialisierung: Klima- und Kesselanlagen. Sie war eins von sechs Mädchen unter 300 Jungen. Das war auch keine viel bessere Ausgangsposition, als Candido Mahoche sie zur selben Zeit in Freital hatte: Das Bierbrauen sollte er hier lernen. Noch nie hatte der VEB Getränkekombinat Dresden einen so schwarzen Lehrling gehabt. Beide mussten sie besser sein als die anderen, sie als Eindringling in einem Männerberuf, er als Brauereigeselle von unvorhergesehener Hautfarbe. Und beide entwickelten ein starkes Gefühl für Ungerechtigkeit.

tagesspiegel


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