Elektro-SUV Aiways U5

  26 Auqust 2019    Gelesen: 985
Elektro-SUV Aiways U5

Während die Elektromobilität hierzulande quasi mit Kriechstrom fährt, geben chinesische Hersteller Vollgas. Ein interessantes Familien-SUV schafft jetzt sogar den Sprung nach Europa. So fährt es sich.

Chinesische Hersteller könnten ihre westliche Konkurrenz beim Thema E-Mobilität schon bald abhängen - dafür mehren sich von Tag zu Tag die Anzeichen. Wer beispielsweise hierzulande ein größeres SUV mit elektrischem Antrieb kaufen möchte, wird derzeit nur im sogenannten Premiumsegment fündig: bei Audi, Jaguar, Mercedes oder Tesla. Doch deren Modelle sind nicht nur schwer (fast 2,5 Tonnen), sondern auch teuer: Ab 80.000 Euro aufwärts kosten die elektrifizierten Stadtpanzer. Wie es anders geht, lässt sich in China bestaunen.

Dort steht für knapp ein Drittel des Preises bei gleichem Platzangebot und sogar größerer Reichweite der Aiways U5 kurz vor seiner Markteinführung. "Aber was interessiert uns China?", wird nun manch einer fragen. Im Fall des U5 eine ganze Menge: Der Fernost-Stromer soll ab April 2020 auch in Deutschland bestellbar sein.

Dafür rührt Aiways kräftig die Werbetrommel. Im März 2019 stellte das chinesische Start-up den U5 in Europa erstmals der Öffentlichkeit vor, buchte dafür sogar einen Stand auf dem Genfer Autosalon. Um Qualität und Langstreckentauglichkeit zu demonstrieren, lässt die Firma aktuell zwei Prototypen von China nach Deutschland fahren, über Kasachstan, Russland, Skandinavien, Niederlande, Belgien und Frankreich, 14.000 Kilometer insgesamt. Ziel: die Frankfurter IAA im September. Einen Teil der Strecke konnten wir für unsere Testfahrt absolvieren.

Aiways hat für den U5 geschickt ein Segment gewählt, in dem es derzeit keine Konkurrenz gibt. Hyundai, Kia und der französische PSA-Konzern fahren mit ihren kompakten E-SUV ein bis zwei Klassen tiefer. Und gegen die oben genannten Anbieter bringt sich Aiways nicht in Stellung, sondern strebt stattdessen in den Volumenmarkt. "Mit attraktiven Elektrofahrzeugen könnten chinesische Hersteller den Markteintritt in Europa schaffen und sich zu einer starken Konkurrenz für hiesige Autobauer entwickeln, weil diese in der E-Mobilität keine Kompetenzvorsprünge haben", beurteilt Stefan Bratzel, Leiter Car Automotive Management CAM, die Lage.

Der Aiways U5 ist mit einer Länge von 4,68 Metern etwa so groß wie ein VW Tiguan Allspace oder ein Skoda Kodiaq und bietet üppigen Platz für Kind und Kegel. Passagiere im Fond können sogar bequem die Beine übereinanderschlagen. Das hat Business-Class-Format. Im Cockpit dominieren zwei große Displays, manuelle Schalter sind nahezu verschwunden. Touch oder Sprache regelt die Bedienung, Chinas Kunden sind jung und mit dem Smartphone groß geworden.

Das Design wirkt sehr reduziert, luftig und aufgeräumt. Die Qualitätsanmutung des U5 muss den Vergleich mit Produkten westlicher Autohersteller im Volumensegment nicht fürchten. Ob man den U5 von außen leiden mag, ist Geschmackssache. Besonders die Front mit ihren großen schwarzen Flächen unter den LED-Scheinwerfern polarisiert.

Wir waren mit dem U5 zwischen Moskau und St. Petersburg unterwegs. Ladestationen gibt es hier nur in homöopathischer Dosis, man muss wissen, wo sie stehen. Eine App fürs Handy, die Ladepunkte anzeigt, gibt es dort nicht. Daher hat der Begleittross von Aiways mobile Schnelllader im Gepäck. Sie schaffen bis zu 20 Kilowatt Ladeleistung. Für den europäischen Markt verspricht Aiways an Quick-Charger-Stationen bis zu 76 kW Ladeleistung. Damit wäre die Batterie in weniger als einer Stunde wieder gefüllt.

Punktlandung auf dem "Sweet Spot"

Deren Energieinhalt von 65 kWh hält Peter Fintl, China- und New-Mobility-Experte beim Beratungsunternehmen Altran, für den derzeitigen "Sweet Spot", was Alltagsreichweite und Kosten betrifft. Auch Hyundai, Kia und Nissan fahren diese Strategie, sie verbauen Batterien mit 64kWh. Deutlich schlagen will sie Aiways jedoch bei der Reichweite. Versprochen werden üppige 503 Kilometer. Allerdings nach der veralteten und unrealistischen NEFZ-Bewertung. Heute gilt der WLTP-Zyklus.

Eine konkrete Reichweite will Aiways nicht nennen, sie dürfte aber rund 20 Prozent unter den derzeitigen Angaben liegen. Bei der Tour von Moskau bis St. Petersburg ließ sich immerhin ablesen, dass der Wagen deutlich mehr als 400 Kilometer schafft. Dazu beigetragen haben sicher das geringe Gewicht des Autos, die sommerlichen Temperaturen und das Tempolimit von 110 km/h in Russland.

Wie alle Elektroautos beschleunigt auch der U5 leise, linear und mit Nachdruck. Ein leichtes "Straßenbahn-Singen" ist nur anfangs zu hören. Dann wird es ruhig. Unter der Haube sitzt ein 140-kW-Motor. Er liefert ein Drehmoment von 361 Newtonmetern, etwa so viel wie ein moderner Zweiliter-Diesel. Genug also, um bestens im Alltagsverkehr zurechtzukommen. Auch Lenkung, Fahrwerk und Bremsen hinterlassen bereits einen professionellen Eindruck, selbst wenn es hier und da noch an etwas Feintuning fehlt. So war beispielsweise das Bremsgefühl im Pedal während des Rekuperierens beim Prototyp noch nicht so gleichmäßig und linear, wie man das sonst gewohnt ist.

Ein vollkommen neues Vertriebsmodell

Alexander Klose, ehemals Chef von Volvo in China und seit vorigem Jahr Executive Vice President Overseas Operations bei Aiways, ist sich mehr als sicher, dass der U5 auch außerhalb von China ein Erfolg wird: "Wir tragen keine Vergangenheit mit uns herum, wir können uns nur auf den Bau von Elektroautos konzentrieren. Und wir haben uns zum Ziel gesetzt, die Art und Weise, wie Autos verkauft und benutzt werden, grundlegend zu verändern."

Das ist kein Lippenbekenntnis: Es gibt für Aiways in Deutschland keine Händler und keine Showrooms. Die Vermarktung läuft ausschließlich online ab. Aiways kommt dann für eine Probefahrt ins Haus. Wie das logistisch in der Realität ablaufen soll - darauf kann während des Fahrtermins noch niemand eine Antwort geben. Möglich ist auch eine Besichtigung in sogenannten Pop-up-Stores. Aiways tingelt - zumindest im ersten Jahr - von Stadt zu Stadt und präsentiert jeweils vor Ort sein neues Modell.

Auch mit dem tradierten Modell des Autobesitzes will Aiways brechen: Es ist ausschließlich Leasing vorgesehen. Ablaufen soll das Ganze über eine große Leasing-Gesellschaft, deren Namen Aiways spätestens im November 2019 bekannt geben will.

Allianz mit der Allianz

Konkretere Informationen gibt es immerhin für die die Themen Service, Ersatzteilversorgung und Reparaturen. Hierzu holen sich die Chinesen die Allianz-Versicherung ins Boot. Die wird sich auch um Reparaturen kümmern und steht hierzu mit speziellen Werkstätten in Verbindungen. Ein schon heute etabliertes Verfahren, wo nach einem Unfall die Versicherung für die Reparatur oftmals eine Werkstatt ihrer Wahl vorschlägt.

Einen offiziellen Preis für den U5 aber sollte der junge chinesische Autobauer dennoch nennen, zumindest für Deutschland. In China kostet der U5 umgerechnet rund 35.000 €. In Deutschland soll die Leasingrate bei monatlich etwa 400 € liegen. Es müsste aber für das Finanzamt ein Preis genannt werden, anhand dessen die 0,5-Prozent-Regel angewendet wird.

Diese neue Regelung betrifft seit dem 1.1.2019 vor allem Flotten- und Fuhrparkmanager, Dienstwagenfahrer sowie Firmeninhaber, die ihren Wagen nicht nur als Geschäftsfahrzeug nutzen, sondern damit auch privat unterwegs sind. Bislang galt für konventionell angetriebene Autos - wird kein Fahrtenbuch geführt - pauschal die Ein-Prozent-Regel. Heißt: 1,0 Prozent des Bruttolistenpreises vom Neufahrzeug muss monatlich als zusätzliches Einkommen versteuert werden. Bei einem Elektroauto gewährt das Finanzamt die Ein-Prozent-Regel auf den halben Listenpreis.

Ob Aiways mit seiner Strategie in Europa Erfolg hat, bleibt abzuwarten. Die Marke ist unbekannt. Das Vertrauen der Kunden muss erst gewonnen werden. China-Autoexperte Peter Fintl sieht den U5 insgesamt zwar als "technisch und preislich interessantes Paket für ein elektrisches Fahrzeug in der beliebten SUV-Form" an. Doch schon bald trifft das Modell auf etablierte Konkurrenz, allen voran auf Volkswagen. Fintl: "Die Wolfsburger stellen mit ihrer MEB-Architektur nicht nur ihre technologische Kompetenz unter Beweis, sondern verfügen auch über eine exzellente Vertriebsorganisation."

Zusammengefasst: Das SUV U5 des chinesischen Herstellers Aiways tritt im Segment der elektrischen Familien-SUV gegen europäische Hersteller wie Audi, Jaguar und Mercedes an, kostet aber nur ein Drittel vergleichbarer Modelle. Den Qualitätsvergleich muss das China-SUV nicht fürchten, das unkonventionelle Vertriebsmodell ohne Händler und eigene Werkstätten muss sich aber erst noch beweisen.

spiegel


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