Deutschland darf sich an einer Politik der Konfrontation, der Sanktionen und der Aufrüstung nicht länger beteiligen, sondern muss sich ihr widersetzen und dafür Partner in Europa und weltweit suchen. Mit dieser Forderung startet der jetzt veröffentlichte Aufruf „Nie wieder Krieg!“. Einer der Initiatoren ist Reiner Braun, Vizepräsident des „International Peace Bureau“. Für ihn ist die weltweite Kriegsgefahr höher denn je:
„Von Frieden sind wir wahrscheinlich weiter entfernt als vorher, wenn ich mir die ganzen zugespitzten oder neu hinzugekommenen Konflikte weltweit anschaue. Beispielsweise in Kaschmir oder auch Taiwan, auch an der Straße von Hormus. Wenn ich mir all das anschaue, dann kann ich nicht von einer internationalen Entspannung sprechen.“
Laut Braun sehe es eher so aus, als dass sich die Konfliktpartner weiter auf Konfrontation zubewegen. Es finde alles auf Messers Schneide eines globalen Krieges statt.
Die Liste der rund 150 Erstunterzeichner zeigt zahlreiche prominente Namen. So unter anderem die Autorin Gabriele Krone-Schmalz, Sänger Konstantin Wecker, Kapitalismuskritiker Jean Ziegler, Armutsforscher Christoph Butterwegge oder Gewerkschaftler Detlef Hensche. Aber auch namhafte Linkepolitiker, wie Sahra Wagenknecht, Dietmar Bartsch, Gregor Gysi, Katja Kipping, Bernd Riexinger oder Oskar Lafontaine gehören zum Unterstützerkreis.
Im Fokus der Kritik stehen neben militärischen Konflikten auch vor allem vom Westen verhängte Wirtschaftssanktionen. Die Journalistin und Islamwissenschaftlerin Wiebke Diehl hat den Aufruf auch deshalb unterschrieben:
„Wirtschaftssanktionen sind das, was seit vielen Jahren diese Kriege flankiert. Gerade in Ländern wie Syrien sieht man, obwohl der Krieg eigentlich seit 2016 mit der Einnahme von Aleppo entschieden ist, dass dieser Wirtschaftskrieg ständig weiter intensiviert und fortgeführt wird. In Syrien kommt noch hinzu, dass sich USA und EU weiterhin weigern, sich am Wiederaufbau des Landes zu beteiligen.“
Diehl erklärt, dass Wirtschaftssanktionen nicht umsonst als Massenvernichtungswaffe des 21. Jahrhunderts bezeichnet würden und zahlreiche viele Opfer forderten.
Die Veröffentlichung des Aufrufs ist nicht willkürlich gewählt. Den Initiatoren war es wichtig, ihre Forderungen kurz vor dem 1. September zu veröffentlichen. Dann jährt sich zum 80. Mal der Überfall des faschistischen Deutschlands auf Polen. Es war der Beginn des Zweiten Weltkriegs, fast 80 Millionen Menschen wurden getötet, die Mehrheit davon Zivilisten. Die mit Abstand meisten Opfer hatten die Sowjetunion und China zu beklagen.
Es ist nicht der erste Aufruf der deutschen Friedensbewegung, aber vielleicht einer der wichtigsten. Das weiß auch Verdi-Gewerkschaftssekretär Ralf Krämer, der das Projekt als Privatperson mit ins Leben gerufen hat. Der Appell solle vor allem an die Adresse der Bundesregierung gerichtet sein:
„Teilweise redet zwar die Bundesregierung davon, dass sie natürlich Friedenspolitik betreibe, aber tatsächlich beteiligt sie sich an einer Politik von Konfrontation und Aufrüstung. Hinzu kommt, dass eben auch die Massenmedien eine problematische Rolle spielen. Diese stützen und legitimieren mit ihrer Berichterstattung faktisch die Aufrüstungs- und Konfrontationspolitik.“
Und darum gehe es laut Krämer in dem Aufruf: Aufklärung zu betreiben und deutlich zu machen, dass mit zweierlei Maß gemessen werde. Die Völkerrechtsverstöße und die Kriegsgefahr gingen in erster Linie vom Westen selbst aus: Von der Nato, den USA, aber auch von EU und Deutschland.
An der Medienkritik beteiligt sich auch Journalistin Wiebke Diehl. Ihrer Meinung nach würden insbesondere die Massenmedien in Deutschland ungesetzt Informationen übernehmen, die ihnen vorgesetzt wurden:
„Viele Medien schrauben mit herum an der Eskalationspolitik gegenüber Russland. Ich habe mich auch über viele Jahre mit Syrien beschäftigt. Ein Beispiel dort sind die so genannten Weißhelme, die angeblich Menschen retten, aber eigentlich Verbindungen zu terroristischen Organisationen haben. Und die Geschichte von diesen angeblichen Lebensrettern wurde völlig ungefiltert von den meisten Medien übernommen.“
Ein noch besseres Beispiel seien laut Diehl die angeblichen Angriffe mit Chemiewaffen, die seitens des Westens der Regierung Assad zugeschrieben wurden. Letztendlich seien diese aber in keinem Fall lückenlos bewiesen worden. Es gebe sogar Indizien und Beweise dafür, dass terroristische Gruppen in Syrien seit spätestens 2013 über chemische Kampfstoffe verfügten.
Aktuell gibt es zwar seitens der SPD innerhalb der Regierungskoalition einzelne Bestrebungen, die Bemühungen um Frieden wieder stärker in den Fokus zu nehmen. Auch einige linke SPD-Kandidaten zum Parteivorsitz hatten sich entsprechend geäußert. Doch die Union stellt sich quer. CDU und CSU halten weiterhin auch an dem Ziel fest, zwei Prozent des deutschen Bruttoinlandsprodukts in das Militär zu investieren.
Reiner Braun, der sich bereits seit Jahrzehnten für Abrüstung und eine Deeskalationspolitik einsetzt, gibt sich über die neue Bundesverteidigungsministerin Annegret Kramp-Karrenbauer entsetzt:
„Allein ihre Ankündigung, in allen 16 deutschen Landeshauptstädten öffentliche Vereidigungen durchzuführen. Das ist eher ein Zeichen dafür, dass die Verteidigungsministerin einen Kurs fortsetzen will, der den Militarismus in diesem Land prägen wird und prägen soll. Von daher sehe ich überhaupt keine entspannungspolitischen Anzeichen.“
Vielmehr sehe Braun die Gefahr, dass sich Konfrontationen weiter ausbauen und sich auch die Lage in Richtung Osten weiter zuspitze. Die Dämonisierung Russlands sei bereits Programm. Es gebe keine sachliche Auseinandersetzung mehr, sondern nur noch das Vorfinden von Feindbildern.
In dem Aufruf „Nie wieder Krieg!“ ist zu lesen, dass heute in vielen Ländern Krieg oder Bürgerkrieg herrsche. Dies sei auch eine Hauptursache für Vertreibung und Flucht. Die Grundnormen des Völkerrechts seien dabei von vielen Staaten verletzt worden, auch seitens der EU und Deutschland. Reiner Braun sieht den Hauptschuldigen jedoch jenseits des Atlantiks:
„Man muss bei Krieg und Frieden auch immer die benennen, die Interesse an einem Krieg haben. Und da muss man als aller erstes die USA nennen, die mit ihrer gigantischen Aufrüstung und der Modernisierung ihrer Atomwaffen, mit ihren Interventionskriegen, mit ihren weltweiten Militärbasen das große Interesse an Krieg formulieren.“
Von daher habe der Aufruf auch den Hintergrund, dass er noch einmal benenne, dass die Regierung der Vereinigten Staaten von Amerika einer der gigantischsten Kriegstreiber dieser Welt sei.
Es geht den Initiatoren und Erstunterzeichnern des Aufrufs also vor allem darum, über bestehende Missstände, Völkerrechtsbrüche und Kriegsgefahren aufzuklären. Damit erreichte die Friedensbewegung in Deutschland zuletzt immer mehr Menschen. Das Thema Krieg scheint wieder in den Fokus der Öffentlichkeit zu rücken. Laut Ralf Krämer würden sich dabei auch immer mehr Gewerkschaften beteiligen:
„Es gibt auch den sehr erfolgreichen Aufruf ‚Abrüsten jetzt!‘, der auch sehr stark von Gewerkschaften getragen wird. Es gibt außerdem dieses Jahr zum Anti-Kriegs-Tag am 1. September eine Reihe von gewerkschaftlichen Aktionen. Insofern tut sich da was.“
Dennoch gäbe es, was das öffentliche Interesse und Engagement angehe, noch Luft nach oben. Noch fehlt vor allem Nachwuchs von jungen Friedensaktivisten. Doch auch hier habe bereits ein Umdenken in der Bevölkerung begonnen.
Neben dem aktuellen Aufruf ist am Samstag, dem 31. August, eine große Informationsveranstaltung im Berliner Haus der Demokratie und Menschenrechte geplant. Am Vorabend des Antikriegstages soll dort über aktuelle Kriege und Kriegsgefahren berichtet werden. Auch soll diskutiert werden, wie man die Öffentlichkeit bei der ernsten Thematik noch besser erreichen könne. An dem Abend mit dabei sind unter anderem der ehemalige DDR-Ministerratsvorsitzende Hans Modrow, die Journalistin Christiane Reymann, der Linkepolitiker Andrej Hunko und die Nahost-Expertin Prof. Karin Kulow.
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