"Das Wochenende der Wahrheit", "Schicksalswahl", "Richtungswahl" - für die Landtagswahlen in Sachsen und Brandenburg schien im Vorhinein kaum ein Attribut zu klein. Warum nochmal? Weil die AfD mit Rekordwerten in die Landtage in Dresden und Potsdam einziehen würde. Eine echte Überraschung ist das zwar nicht - Prognosen sagen Werte, wie sie heute erreicht wurden, seit Jahren voraus. Dass die AfD nun die zweitstärkste Partei in Sachsen und Brandenburg wurde, kam nicht unerwartet, ist aber dennoch eine historische Verschiebung der politischen Kräfte. Aber diesen Landtagswahlen wurde noch aus einem anderen Grund zugetraut, die Republik erschüttern zu können. Erstaunlich ist es, dass diese Erschütterung nun ausbleiben wird.
Sollte die SPD massiv abstürzen, werde das die parteiinterne Debatte um einen vorzeitigen Ausstieg aus der Großen Koalition massiv beschleunigen, hieß es. Dass die Sozialdemokraten in Sachsen auf ein einstelliges Ergebnis zusammenschrumpfen, war gewissermaßen eingepreist. Entscheidend war der Ausgang in Brandenburg: Bleibt die SPD stärkste Kraft, ist alles noch einmal gut gegangen. Landet sie hinter der AfD, könnte etwas ins Rutschen geraten.
Ähnlich war es bei der CDU. Ministerpräsident Michael Kretschmer wird voraussichtlich Ministerpräsident bleiben. Die Partei wird stärkste Kraft. Wäre er hinter der AfD gelandet, hätte möglicherweise nicht nur er seinen Hut genommen, sondern die Parteichefin Annegret Kramp-Karrenbauer gleich mit. Für die glücklose CDU-Vorsitzende wäre es die dritte Wahlniederlage in ihrer noch kurzen Amtszeit gewesen und hätte sich in eine ganze Reihe von Ereignissen eingefügt, die nicht wenige an ihrer Eignung als Parteichefin zweifeln lassen.
Aber aus Sicht von CDU und SPD ist ja alles noch einmal gut gegangen. Zur Erinnerung: In Sachsen holt die CDU 33 Prozent, das schlechteste Ergebnis seit der Wiedervereinigung. Mehr als sechs Prozentpunkte gibt die Partei ab. Die SPD trennen in Sachsen zweieinhalb Prozentpunkte von der Fünf-Prozent-Hürde.
"Der coolste Landesverband"
Im Brandenburger Landtag wird die CDU voraussichtlich 15 der 81 Sitze besetzen - die schwächste CDU-Fraktion aller Landesparlamente. Und auch die SPD, die noch in den 90er-Jahren die absolute Mehrheit im Potsdamer Landtag stellte, holt das schlechteste Ergebnis seit der Wiedervereinigung. Die Landtagswahlen in Sachsen und Brandenburg sind eine verdammt bittere Pille für SPD und CDU. Daran lässt sich eigentlich nicht viel schönreden.
Vertreter beider Parteien tun es trotzdem. Allein der Umstand, dass Dietmar Woidke und Michael Kretschmer höchstwahrscheinlich an der Macht bleiben, wird genutzt, die herben Verluste als Wahlsiege zu verkaufen. SPD-Vizekanzler Olaf Scholz spricht von einem "guten Abschneiden" der SPD. Er will gemeinsam mit der Landtagsabgeordneten Klara Geywitz die Partei bald führen. Geywitz sagte zu dem Ergebnis: "Wir können Wahlen gewinnen, das ist doch die Botschaft." Dabei hat sie gerade ihr Direktmandat verloren.
In Sachsen spricht Kretschmer, der gerade das schlechteste Ergebnis der CDU aller Zeiten eingefahren hat, von einem "wirklich guten Tag". SPD-Spitzenkandidat Martin Dulig versucht es mit Humor. Er sagt: "Wir haben das schlechteste Wahlergebnis, sind aber der coolste Landesverband." Und auch bei den Grünen gibt es viel Interpretationsspielraum. Die Partei kann leicht zulegen, bleibt aber deutlich hinter den Erwartungen zurück. Grünen-Chef Robert Habeck spricht dennoch von einem "fantastischen Ergebnis". Angesichts des massiven Zuwachses der Rechtspopulisten in Sachsen und Brandenburg grenzen diese Einordnungen an Realitätsverlust.
Vor allem aber verhindert die "Gerade nochmal gut gegangen"-Mentalität die bitter nötige offene Aussprache über den Zustand der beiden erodierenden Volksparteien. Die Landtagswahlen in Sachsen und Brandenburg sind ein weiteres Kapitel in der Geschichte des politischen Verfalls von CDU und SPD. Diese Geschichte wird sich voraussichtlich weiter fortsetzen. Die nächste Station ist die Landtagswahl in Thüringen Ende Oktober. Sollte die AfD dort mit dem Demagogen Björn Höcke an der Spitze die CDU abhängen und die SPD weniger als zehn Prozent einfahren – so wie es in Umfragen aussieht - wird es deutlich schwerer, das Ergebnis schönzureden.
Quelle: n-tv.de
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