„Drei Gründe für AfD": Wirtschaftsexperte erklärt Wahlerfolg

  05 September 2019    Gelesen: 626
    „Drei Gründe für AfD":   Wirtschaftsexperte erklärt Wahlerfolg

Die AfD konnte bei den Landtagswahlen in Sachsen und Brandenburg vor allem im ländlichen Raum punkten. Das hat laut Experten des Deutschen Instituts für Wirtschaftsforschung bestimmte Gründe. Ebenso sieht das DIW eine klare Polarisierung zwischen AfD und Grünen, die laut den Forschern auch in Zukunft zu Lasten der bürgerlichen Mitte gehen wird.

Der Erfolg der AfD bei den vergangenen Landtagswahlen war für viele Beobachter keine Überraschung. Experten des Deutschen Instituts für Wirtschaftsforschung haben genau berechnet, warum sich in Sachsen und Brandenburg viele Wähler für die Partei entschieden haben. Die Erklärung lieferte nun Prof. Dr. Alexander Kritikos, Forschungsdirektor des Deutschen Instituts für Wirtschaftsforschung.

Gegenüber der internationalen Presse in Berlin erläuterte Kritikos, dass die Wahlentscheidung vieler Bürgerinnen und Bürger in bestimmten Regionen von drei Faktoren abhänge: Durchschnittlichem Einkommen, strukturelle Anfälligkeit und Demografie:

„Je negativer die Ausprägung bei allen drei Faktoren, desto höher die Wahrscheinlichkeit, dass AfD gewählt wird. Das heißt, je niedriger das Haushaltseinkommen, desto höher die Wahrscheinlichkeit, dass AfD gewählt wird. Je höher die Substitutionsgefahr bei Jobs, desto höher die Wahrscheinlichkeit, dass AfD gewählt wird. Und je mehr Überalterung und Abwanderung in einem Kreis ist, desto höher ist die Wahrscheinlichkeit, dass AfD gewählt wird.“

Das habe das DIW bereits bei den Europawahlen in diesem Jahr beobachten können, bei den Landtagswahlen sei dies sogar noch ausgeprägter gewesen. Dort, wo diese drei Faktoren besonders stark ausgeprägt sind – niedriges Einkommen, Angst vor Jobverlust, Landflucht der Jugend –, sei auch die AfD besonders stark.

Als Beispiel dafür nennt Prof. Kritikos die Regionen Lausitz oder Görlitz. AfD-Wähler seien im besonderen Maße davon überzeugt, dass die etablierten Parteien die besagten Probleme bisher nicht lösen konnten und nicht lösen werden.

„In vielen dieser Regionen, aus denen Menschen abwandern, wurde die lokale Infrastruktur massiv zurückgefahren. Das heißt, es gibt kaum mehr Schulen, es gibt keine Krankenhäuser, keine Bürgerämter, keine Polizeistation, für alles muss man zum Teil bis zu einer Stunde fahren, es gibt keinen öffentlichen Nahverkehr, man braucht also auch noch ein eigenes Auto.“

Dieser Abbau der lokalen Infrastruktur sei ein Grund dafür, dass sich diese Regionen auch wirtschaftlich schlecht entwickelt hätten. Und mit der zunehmenden Problematik wachse laut dem DIW-Forscher auch die Zustimmung zur AfD.

Diese Wähler wieder zurückzuholen, sei für die regierenden Parteien, wie SPD in Brandenburg und CDU in Sachsen, mehr als schwierig. Die Menschen seien von der Politik der vergangenen 30 Jahre enttäuscht. Zudem sei es nicht so einfach, die Infrastruktur jetzt wieder zügig aufzubauen:

„Das bringt einen hohen Investitionsbedarf mit sich. Es gibt überschuldete Kommunen, da wird es tatsächlich auch um die zentrale Frage gehen, ob diese Kommunen nicht erst einmal entschuldet werden müssten. Und in welcher Form könnten Bund und Land da unterstützend wirken.“

Schon während der Wende Anfang der 90er Jahre habe der Westen das generelle Investitionsvolumen falsch eingeschätzt. Damals sei die BRD davon ausgegangen, die neuen Bundesländer hätten eine wirtschaftliche Eigenproduktivität von 60 bis 70 Prozent des Westens, in Wirklichkeit seien es aber nur 35 Prozent gewesen.

Zwar habe sich die Produktivitätsrate im Osten mittlerweile verbessert, sie liege nun noch bei rund 80 Prozent im Vergleich zu Westdeutschland, viele Menschen auf dem Gebiet der ehemaligen DDR hätten aber weiterhin das Gefühl, Bürger Zweiter Klasse zu sein. Deshalb geht der Experte auch von einem ähnlich guten Wahlergebnis für die AfD bei den kommenden Wahlen in Thüringen aus:

„Ich sehe in jedem Fall auch für Thüringen eine Zustimmungsrate über 20 Prozent. Die AfD ist die einzige Partei in Deutschland, der es gelingt, die drei erwähnten Merkmale in ihrer negativen Ausprägung für sich zu nutzen. Je negativer die regionale, kommunale, lokale Situation ist, desto höher die Wahrscheinlichkeit, dass man AfD wählt.“

Dabei mache es auch keinen Unterschied, dass in Thüringen die Linke regiere, die im Bundestag zur Opposition gehört. Sie werde von den Menschen in dem Bundesland dennoch als etabliert und politisch verantwortlich wahrgenommen.

Die Forschung habe darüber hinaus ergeben, so Prof. Kritikos, dass die Grünen als exakter Gegenpol der AfD gelten. Nicht nur, was politische Inhalte angehe, sondern auch, was die Herkunft der Wähler betreffe:

„Bei den Faktoren Demografie, Wirtschaft, Bedrohung durch Strukturwandel, da besetzen die Grünen immer die jeweils anderen Pole. Das heißt, je positiver die wirtschaftliche Entwicklung, je weniger Jobs bedroht sind und je wohlhabender Kreise sind, desto höher die Wahrscheinlichkeit, dass Grüne gewählt werden.“  

Diese Polarisierung zwischen AfD und Grünen werde sich bald auch mehr auf Bundesebene zeigen, glaubt der Experte. Denn während die AfD im Osten, im ländlichen Bereich und bei älteren Bevölkerungsschichten beliebt sei, würden die Grünen besonders im Westen, in boomenden Städten und bei jüngeren Wählern Erfolge feiern. Das Nachsehen hätten CDU und SPD, da die politische Mitte mittelfristig wegbreche.

Skeptisch ist Prof. Kritikos, was einen möglichen wirtschaftlichen Aufschwung im Osten angeht. Das habe vor allem damit zu tun, dass sich neue Unternehmen lieber im Westen ansiedelten, wo einerseits die Infrastruktur besser ist, wo andererseits aber auch mehr Arbeitskräfte zu finden sind:

„Das Problem ist die Tatsache, dass Unternehmen derzeit gerade nicht in Kreise gehen, die von Abwanderung gezeichnet sind. Weil sie genau dort die Fachkräfte, die sie bräuchten, nicht finden. Das heißt, wir werden in den nächsten Jahren sehen, in wie weit der AfD-Erfolg eine Last für die Wirtschaft wird, wenn es darum gehen wird, attraktiv für Zuwanderung zu werden. Und die wird man in Ostdeutschland brauchen, wenn sich das Land weiterentwickeln soll.“

Ob das tatsächlich so eintreffe, darüber ließe sich aktuell nur mutmaßen. Fakt sei bisher aber, dass Regionen, die Zuwanderung von allem von Fachkräften unterstützen, wirtschaftlich bessere Perspektiven hätten.

Bringt man es also auf einen wissenschaftlichen Nenner, hieße das, dass Regionen mit schlechten Lebensverhältnissen eher AfD wählen und Regionen mit besonders guten Aussichten eher die Grünen bevorzugen. Sagt das im Umkehrschluss auch aus, dass sich Wähler der Alternative für Deutschland vor allem um sich selbst sorgen, während grüne Wähler sich wegen ökologischer Inhalte eher global Gedanken machen?

„Es geht ja um persönliche Bedürfnisse. Und die Forschung macht deutlich: Solange es mir gut geht, bin ich in der Lage, verantwortungsvoll in die Zukunft zu schauen.“

Wenn man sich allerdings um seine eigene Zukunft sorge, sei man weniger bereit, darüber hinaus weitere Verantwortung zu übernehmen – man ist sich eben selbst der Nächste.

Wichtig ist Prof. Kritikos aber zu erwähnen, dass die Forschung zum Wahlverhalten auf reinen Zahlen und Fakten beruhe, bei denen es auch immer Ausnahmen gebe. So sei bei den Wahlen in Sachsen und Brandenburg erstmals zu beobachten gewesen, dass sich auch jüngere Menschen für die AfD entschieden hätten. Wohin die Reise politisch in Deutschland also geht, lässt sich zwar anhand von Berechnungen vermuten, doch letztendlich wird man immer erst am Wahlabend erkennen können, wie die Realität aussieht. Hinterher ist man eben immer schlauer...

sputniknews


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