Zwischen Neutralität und Nazi-Raubgold: Die Schweiz und ihre Rolle im Holocaust

  13 September 2019    Gelesen: 626
    Zwischen Neutralität und Nazi-Raubgold:   Die Schweiz und ihre Rolle im Holocaust

Die Rolle der Schweiz im Zweiten Weltkrieg ist ein umstrittenes Thema, dass das Land in den 90er Jahren zum Umdenken brachte. Welche Anschuldigungen, von Nazi-Raubgold, bis hin zu abgewiesenen Flüchtlingen stimmen? Die „Neue Zürcher Zeitung“ befasst sich in einem Beitrag mit der großen Geschichtskontroverse des Landes.

In einem Beitrag der „Neuen Zürcher Zeitung“ (NZZ) verdeutlicht deren Autor Marc Tribelhorn die Rolle der Schweiz im Zweiten Weltkrieg. Es war in den 1990er Jahren, als die Schweiz die bis dahin wohl größte historische Identitätskrise durchgemacht hat. Internationale Vorwürfe, in Bezug zum Schweizer Verhalten zu Zeiten des Holocausts, dominierten die Presse. Sie versetzten das Land in eine Lage, als bestünde es nur aus „Hehlern und Mordkomplizen“, wie es der „Spiegel“ damals beschrieb.

Die Haltung der Schweiz: Bewährung

Lange Zeit nach dem Ende des Krieges hatte die Schweiz eine eher unbekümmerte Haltung zum Thema Zweiter Weltkrieg. Ihre prekäre Selbstdarstellung passte sich an das „Motto Bewährung“ an, wie es die NZZ formuliert. Denn tatsächlich hatte die Schweiz, vor allem im Vergleich zu anderen Ländern, keine größeren Schäden erdulden müssen.

Der schweizerische Historiker Thomas Maissen, Direktor am Deutschen Historischen Institut Paris, hält es wie folgt fest: Die Schweiz hätte sich eine Heldengeschichte aus ihren vermeidbaren und unvermeidbaren Fehler, wie auch ihrer abstrusen Lage, umgeben vom Faschismus, gestrickt. In den 70er Jahren entstand aus dieser Einstellung der Bewährung fast schon ein Anspruch auf einen Verdienst. Unzählige inländische Autoren versuchten auf die Verlogenheit der Sachlage aufmerksam zu machen. Das brachte ihr Geschichtsbild zwar zum „Wanken“, nicht aber zum „Einsturz“, so die NZZ.

Erst mit dem Druck der ausländischen Presse gab die Schweizer Regierung nach. Durch die Beschädigung des Rufes des neutralen Staates handelte der Bundesrat entsprechend. Auf seine Bitte veranlasste eine Bankvereinigung eine Fahndung aller Kreditinstitute in der Schweiz, deren Resultate schockierten: 54.000 Konten wurden gefunden, die wahrscheinlich im näheren Zusammenhang mit dem Holocaust standen.

Die Unabhängige Expertenkommission

Erstmalig stellte der Bundesrat 1996 eine Unabhängige Expertenkommission (UEK) ein, um die Wahrheit vollständig ans Licht zu bringen. Im Rahmen dieses Projektes arbeiteten 40 Wissenschaftler sowie ein internationales neunköpfiges Gremium miteinander zusammen. Der Bundesrat finanzierte diese Forschung mit 22 Millionen Franken (etwa 20,15 Millionen Euro).

Die ersten Resultate der UEK seien jedoch auf Empörung gestoßen, schreibt die NZZ. Aus dem Befund herauszulesen war eine viel größere Beteiligung der damaligen Akteure als zuvor angenommen. So hätten sich Vertreter der Aktivdienstgeneration (in der Schweiz ein allgemein gebräuchlicher Begriff für Menschen, die zwischen 1939 und 1945 in der Schweizer Armee Dienst „zur Abwehr von äußeren und inneren Gefahren“ leisteten – Anm.d.Red.) gleichermaßen wie bürgerlich-konservative Kreise stark gegen die wissenschaftliche Forschung ausgesprochen.

Die Bedeutung der UEK

Fünf Jahre dauerte die Arbeit der Kommission. Schon 1998 hätten sich Banken dazu bereiterklärt, 1,25 Milliarden US-Dollar an die Überlebenden des Holocausts zu zahlen. Mit dieser Geste schaffte es die Schweiz, ihren guten Ruf wiederherzustellen. Allgemein sprach diese Durchleuchtungs-Aktion der Schweizer Geschichte für die Glaubwürdigkeit und Ehrlichkeit des Landes. In dem Sinne hatte die Regierung von dieser Kommission profitiert. Ein weiterer positiver Aspekt war die Beseitigung der schlimmsten Anschuldigungen gegenüber der Schweiz. So hat die UEK festgestellt, dass sich der Krieg nicht aufgrund der Wirtschaftsbeziehungen mit der Schweiz verlängert hatte. Es fuhr nie ein Zug mit Deportierten durch das Land, und auch die Prosperität der Banken kann man nicht auf den Holocaust zurückführen.

Die UEK findet ihre größte Bedeutung jedoch nicht in der historischen Aufarbeitung. Auch wenn sie Wissen vertiefen konnte, so trug sie primär nicht dazu bei, neue Forschungen zum Zweiten Weltkrieg anzuregen. Sie gilt jedoch als ein Paradebeispiel und Vorbild für ähnliche Vorhaben der Aufarbeitung.

Was in den 90er Jahren geschah, sei nun laut Jakob Tanner, einem ehemaligen Kommissionsmitglied, von den Bürgern verstanden worden: „Doch unser Fazit, dass das Verschontbleiben vom Krieg mit großen moralischen und politischen Kosten verbunden war und dass die Schweiz insbesondere in der Flüchtlingspolitik ihre eigenen humanitären Grundsätze verraten hat, ist im öffentlichen Bewusstsein angekommen“. In den heutigen Ausgaben von Schulbüchern seien die Befunde der UEK wiedergegeben. Aus multiperspektivischer Sicht geschrieben, werde den Schülern die Vernachlässigung der Neutralität im Zweiten Weltkrieg als ein Fakt mitgegeben.

sputniknews


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